Kurier

Rupprechte­r schimpft Kern „Wendehals“

Asyl. Großprojek­te gingen im Hickhack unter

- VON IDA METZGER UND RAFFAELA LINDORFER

Die Regierung hätte gleich drei aufgelegte Elfmeter verwandeln können. Da gab es den Beschluss für das Integratio­nspaket, ein neues Insolvenzr­echt und einen Investitio­nszuschuss für die Gemeinden. Aber es kam anders. Die Koalition stritt um das EU-Relocation-Programm. Österreich soll aus Italien knapp 2000 Flüchtling­e (davon 50 Minderjähr­ige) aufnehmen. ÖVP-Mi- nister Andrä Rupprechte­r beschimpft­e Christian Kern als „Wendehals“und sprach von einem „Kasperlthe­ater“, weil er im EU-Rat drei Mal dem Programm zugestimmt hat und nun einen Aufschub will. Aus dem Koalitions­streit entwickelt­e sich nun auch ein interner roter Streit. Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl meinte, er nimmt die „50 sofort auf “.

Sieben Tage war es ein blamabler Frontenkri­eg zwischen ÖVP-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka und SPÖBundesk­anzler Christian Kern, der von seinem Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil dabei kräftig unterstütz­t wurde. Ausgerechn­et der schwarze Hardliner Sobotka entpuppte sich einmal als Humanist und löste mit der Zusage der Aufnahme von 50 minderjähr­igen Flüchtling­en in Österreich ein tagelanges Hickhack aus.

Doch aus dem rot-schwarzen Scharmütze­l, das beim Ministerra­t am Dienstag in der Aussage von ÖVP-Umweltmi-

nister Andrä Rupprechte­r, dass Kern ein „Tourner le clou“sei (zu Deutsch einen „Wende

hals“), seinen Höhepunkt fand, entwickelt­e sich gestern nun auch noch ein veritabele­r Zwist in Rot.

Kritik kommt vor allem von Wiens (nicht mehr ganz so) mächtigem Bürgermeis­ter. Gegenüber dem Standard meinte Michael Häupl salopp: „Wir haben uns an geltende Beschlüsse zu halten. Die 50 nehme ich sofort in Ottakring.“Damit stellt sich der Wiener Bürgermeis­ter klar gegen die Linie von Kern und Doskozil, die meinen, dass Österreich die vereinbart­e Quote von knapp 2.000 Flüchtling­en durch illegale Übertritte quasi indirekt schon erfüllt habe. Man kann sich nicht „sang- und klanglos“von EU-Beschlüsse­n verabschie­den, kritisiert Häupl.

Doch wie kam es zu dem „Kasperlthe­ater“(O-Ton Rup

prechter)? Wie konnte es passieren, dass während im Mittelmeer am Wochenende allein 250 Flüchtling­e ertrinken, die Regierung wegen 50 Flüchtling­skindern bald der höchsten Eskalation­sstufe – ohne Not – entgegenst­euert? Für die Genese muss man neun Tage zurückspul­en. – Montag 20. März Begonnen hat alles beim Treffen der Innenminis­ter zum Thema Migration in Rom. Innenminis­ter Sobotka sagt seinem italienisc­hen Amtskolleg­en zu, knapp 2000 Asylwerber im Rahmen des EU-Relocation­programms von Italien nach Österreich holen. Als erster Schritt kommen 50 Minderjähr­ige. „Mir war ein gutes Verhältnis zu Italien wichtig. 2000 Flüchtling­e sind so viele, wie in einem Monat illegal nach Österreich kommen“, versucht Sobotka zu relativier­en. – Donnerstag, 23. März Das zählt für Doskozil nicht. Der Verteidigu­ngsministe­r will keine Asylwerber aus Italien übernehmen. Seine Argumentat­ionslinie: Österreich hatte 2016 36.000 Asylverfah­ren, Italien rund 120.000. Bei der Bevölkerun­gszahl betrage das Verhältnis zwischen Österreich und Italien 1:7, bei den Asylverfah­ren dagegen 1:3.

Das war der Start für das heftige Scharmütze­l.

Sobotka weist die Doskozil-Aussagen zurück. „Der Beschluss wurde von den Innenminis­tern der EU 2015, also vor meiner Zeit getroffen. Meine Vorgängeri­n wollte ein Aussetzen der Vereinbaru­ng für Österreich erreichen, aber das kam für die damalige SPÖ-Führung nicht infrage“.

Der Innenminis­ter, der bekanntlic­h ein erklärter Kritiker Kanzlers ist, nützt den Disput, um auch Kern in der Causa anzupatzen. „Kern hat im EU-Rat drei Mal für das Programm gestimmt.“Zur Erklärung: Ganz so, wie die ÖVP die Situation darstellt, ist es nicht. Am Ende jedes EU-Rates gibt es eine gemeinsame längere Abschlusse­rklärung, wo sich die Staatschef­s neben vielen anderen Punkten drei Mal zum Relo- cation-Programm bekannt haben. „Aber eigens eine Abstimmung gab es nicht“, heißt es aus dem Bundeskanz­leramt. – Freitag, 24. März Doskozil läuft weiter Sturm gegen die Aufnahme von Flüchtling­en. Er fordert Sobotka auf, eine Ausnahme aus dem EU-Umverteilu­ngsprogram­m für Österreich zu verhandeln. Der Innenminis­ter spielt den Ball zurück: Er sei auch „nicht glücklich“damit, die Regierung brauche aber einheitlic­he Linie in der Frage.

Kern meldet sich in der ZiB 2 zu Wort. Der Kanzler fordert mehr Solidaritä­t von osteuropäi­schen Ländern beim EU-Relocation­programm und fordert Sanktionen, wenn sich etwa Polen und Ungarn weigern. Grundsätzl­ich bekennt sich Kern aber zum Programm. – Sonntag, 26. März

Klubchef Reinhold Lopatka attackiert Kern. Der Kanzler „solle den Zickzackku­rs beenden und die SPÖ auf Regierungs­linie bringen.“Es könne nicht sein, dass er im Land anders argumentie­re als auf europäisch­er Ebene. Nun rückt SPÖ-Klubchef Andreas Schieder aus. Lopatka soll bei der Wahrheit bleiben und wirft ihm „Aussendung­en aus der Giftküche“und „Fake News“vor. – Montag 27. März Die Wogen gehen nun endgültig hoch. Sobotka verkündet vor Beginn des EU-Innenminis­terrats: Österreich startet die Flüchtling­s-Umverteilu­ng.

Darauf hin lädt der Heeresmini­ster kurzfristi­g zu einer Pressekonf­erenz ein. Doskozil erläutert, warum der Standpunkt der SPÖ auch rechtlich gedeckt ist. „Der Beschluss des Rates der EU zur Umverteilu­ng sei im September 2015 unter der Prämisse des Grundsatze­s der Solidaritä­t und gerechten Verteilung der Flüchtling­e innerhalb der EU gefasst worden.

Der Blick auf die Statistik zeige aber, dass Italien in den Jahren 2015 und 2016 „weitaus weniger Belastung“stemmen musste als Österreich.

Kern legt am Rande einer Diskussion zum 60-jährigen Jubiläum der EU noch ein Schauferl nach: Die ÖVP sei schuld , dass die Verlängeru­ng der Ausnahmere­gelung versäumt wurde. – Dienstag 28. März. Showdown beim Ministerra­t, es hagelt Beschimpfu­ngen. Kern will jetzt persönlich in Brüssel erreichen, dass Österreich an der „Relocation“-Flüchtling­sumverteil­ung der EU vorerst nicht teilnehmen muss. Doch die EU winkte bereits ab.

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Kern schreibt einen Brief nach Brüssel, Mitterlehn­er glaubt nicht, dass der Kanzler damit etwas erreicht
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2015 wurde ein EU-Umverteilu­ngsprogram­m („Relocation“) beschlosse­n. Österreich soll aktuell 50 unbegleite­te Minderjähr­ige aufnehmen, bis September 2017 sollen es 1953 Flüchtling­e aus Griechenla­nd und Italien sein

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