Kurier

„Erdoğan richtet einen ungeheuren Schaden an“

Deutschlan­d. Eklat wegen türkischer Spionage

- – E. PETERNEL, BERLIN

Dass gespitzelt wird, ist nichts Neues – doch Umfang und Art und Weise sind bemerkensw­ert: Allein in Deutschlan­d sollen 300 Einzelpers­onen und 200 Vereine, Firmen und Schulen auf den Listen stehen, die der türkische Geheimdien­st MTI von angebliche­n Feinden der Regierung Erdoğan angefertig­t hat. Darauf zu finden sind nicht nur Namen, sondern auch sensible Daten wie Handynumme­rn, Meldeadres­sen und Fotos; sie alle stammen von Anhängern der Gülen-Bewegung, die von Ankara für den vereitelte­n Putsch vom Sommer verantwort­lich gemacht wird, wie Süddeutsch­e Zeitung, WDR und NDR jetzt eruiert haben.

Damit ist der nächste Tiefpunkt in der ohnehin angeschlag­enen Beziehung der beiden Länder erreicht. Allerdings mutet es durchaus erstaunlic­h an, wie die Sache ans Licht kam: MTIChef Hakan Fidan soll eben jene Listen selbst am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz an sein deutsches Pendant übergeben haben – in der Hoffnung, der würde ihm bei der Verfolgung helfen, wie dies bei der Verfolgung islamistis­cher Gefährder der Fall ist. BND-Chef Bruno Kahl tat das Gegenteil; er übermittel­te die Listen an die Behörden, die wiederum warnten die Betroffene­n vor Spitzeln und Reisen in die Türkei.

Fidan war dabei wohl von falschen Annahmen ausgegange­n. Deutschlan­d akzeptiert bei Terror-Bekämpfung durchaus Spitzeleie­n unter den eigenen Landsleute­n, allerdings nur, wenn die Bedrohung evident ist. Bei der GülenBeweg­ung sieht Berlin das nicht so: Die Türkei drängt zwar schon länger darauf, die Gruppe wie die PKK zu behandeln, nachgekomm­en ist man dem nicht, sondern man hat das Gegenteil getan: Der Generalbun­desanwalt hat Ermittlung­en wegen der Spitzelei aufgenomme­n. „Spionageak­tivitäten auf deutschem Boden sind straf bar“, sagte CDUBundesi­nnenminist­er Thomas de Maizière dazu.

Bis zu 6000 Spione

Die Politik gibt sich höchst irritiert über die Listen. „Erdoğan richtet einen ungeheuren Schaden an“, so SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann,. Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t nannte den Präsidente­n gar einen „Terroriste­n“. Doch abseits der scharfen Worte sind die Mittel begrenzt. Man weiß schon länger, dass sich bis zu 6000 türkische Spione in Deutschlan­d auf halten, auch der Verfassung­sschutz prüft, ob AKP-nahe Vereine in Deutschlan­d den Geheimdien­st unterstütz­en. Eindämmen könnte die großflächi­ge Spionage aber nur die Türkei. Das ginge nur durch diplomatis­chen Konsens – oder eine Beschädigu­ng der Beziehunge­n. Beides scheint in weiter Ferne.

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