Viele Ansichten an einem Tisch
Milch-Talk. Der Wert von Milch wird unterschiedlich gesehen und diskutiert. Der KURIER lud Vertreter der Milchindustrie, Gesundheitsexperten und einen bekennenden Veganer zu einem Diskussionsgespräch ein.
Ist Milch zeitgemäß? Das war die Frage, die im Mittelpunkt einer KURIER-Diskussionsrunde stand, die von Martina Salomon, stellvertretender Chefredakteurin des KURIER, moderiert wurde. Ingrid Kiefer von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Nöm-Vorstand Alfred Berger, Felix Hnat, Vorstand der Veganen Gesellschaft Österreich, Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des Forum Ernährung heute, Michael Blass, Geschäftsführer der AMA Marketing, und Johann Költringer, Geschäftsführer der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM), diskutierten über die Bedeutung von Milch in der Ernährung.
Martina Salomon: Es herrscht Verunsicherung. Ist Milch gesund oder nicht?
Ingrid Kiefer: Es gibt viele Negativmeldungen – etwa dass Milch die Atemwege verschleimt. Sucht man nach wissenschaftlicher Literatur, stellt man schnell fest, dass es keine gibt. Milch und Milchprodukten wird in allen nationalen und internationalen Ernährungsempfehlungen, die lebensmittelbasiert sind, ein Fixplatz zugewiesen.
Felix Hnat: Ich bin nicht aus gesundheitlichen, sondern aus ethischen Gründen auf vegane Ernährung umgestiegen. Aber meine Allergien, mein allergisches Asthma haben sich von einem Tag auf den anderen verbessert, das subjektive Gefühl der Verschleimung und sogar die Neurodermi- tis sind verschwunden. Bei Internetrecherchen findet man Untersuchungen, dass Milch bei Frauen Hüftknochenfrakturen fördert, bei Männern Parkinson begünstigen kann, dass Milch in Verdacht steht, für Prostatakrebs mitverantwortlich zu sein ...
Martina Salomon: Fragen wir die Milchproduzenten. Erzeugen Sie ein gefährliches Produkt?
Alfred Berger: Milch ist ein 100-prozentiges Naturprodukt, das strengen Regularien unterliegt. Es ist wichtig, der Verunsicherung entgegenzuwirken. Daher investieren wir in die Aufklärung, wobei wir eng mit der AMA zusammenarbeiten. Der Verzicht auf Milch unter dem Motto „Hilft’s nix, so schadet’s nicht“ist für uns betriebswirtschaftlich gesehen schlecht, aber er ist auch aus gesundheitlicher Sicht nicht empfehlenswert.
Johann Költringer: In der Medizin herrscht die einhellige Meinung: Wer Milchprodukte in die Ernährung einbindet, kann nichts falsch machen. Milch ist ein wichtiger Lieferant für Kalzium und enthält viele Mikronährstoffe.
Marlies Gruber: Es kursiert der Mythos, Milch sei ein Kalzium-Räuber. Bei der Verstoffwechselung von 100 Millilitern Milch verlieren wir fünf Milligramm Kalzium, nehmen aber 36 Milligramm auf. Die Positivbilanz überwiegt also.
Michael Blass: Worauf sich die Österreicher verlassen können, ist der Österreichische Ernährungsbericht. Er sagt klar: Bei Milch und Milchprodukten gibt es eine Unterkonsumation in allen Altersgruppen, bei Männern und Frauen.
Ingrid Kiefer: Einzigartig war beim letzten Österreichischen Ernährungsbericht, dass man auch den Status an bestimmten Mikro- und Makronährstoffen untersucht hat. Es hat sich gezeigt, dass der Status von Vitamin D oder Kalzium bei der österreichischen Bevölkerung nicht gut ist. Bei Kindern und Erwachsenen. 60 Prozent des Kalziums, das die Österreicher durchschnittlich aufnehmen, kommt aus Milch und Milchprodukten.
Martina Salomon: Welche Menge an Milchprodukten sollte ein Erwachsener täglich aufnehmen?
Marlies Gruber: Die Empfehlung lautet: drei Portionen am Tag, zwei Mal „weiß“, ein Mal „gelb“. Also: ein Glas Milch, ein Joghurt, drei Scheiben Käse ungefähr. Dann hat man die Tagesration gut abgedeckt.
Martina Salomon: Was hat es mit Laktoseintoleranz auf sich?
Johann Költringer: Ich habe ein interessantes Buch vom Ernährungswissenschafter Claude Fischler gelesen. Er sagt, dass Ernährung heute so etwas wie eine Ersatzreligion ist. Es gehört zum Selbstwertgefühl, irgendeine Intoleranz zu haben. Wer betroffen ist, muss aber nicht auf Milchprodukte verzichten. Es gibt so viele, die laktosefrei sind.
Marlies Gruber: Trotz Laktoseintoleranz verträgt man 12 Gramm Laktose auf einen Sitz ganz gut. Sie können also locker ein Glas Milch trinken oder einen Becher Joghurt essen, ohne Beschwerden zu spüren. Und Hartkäse vertragen laktoseintolerante Personen sowieso.
Felix Hnat: Es wird immer von Fakten gesprochen. Fakt ist auch, dass es Milchalternativen gibt. Mir ist aus dem ‚ Grünen Bericht‘ des Landwirtschaftsministerium bekannt, dass acht Millionen Euro für die Bewerbung von Milch und Milchprodukten verwendet werden. Milchalternativen auf pf lanzlicher Basis werden gar nicht beworben.
Michael Blass: Sie sprechen damit die AMA-Marketing an. Wir erfüllen einen gesetzlichen Auftrag, der drei Punkte umfasst: Absatzförderung, Qualität und Information. Mit unseren Gütesiegel-Programmen haben wir wesentlich zur Qualitätsförderung und -steigerung beigetragen. Und was die Absatzförderung betrifft, ist unser Tun auch verständlich: Die Milchwirtschaft ist ein Rückgrat der österreichischen Landund Volkswirtschaft.
Felix Hnat: Bei Milch haben wir einen Selbstversorgungsgrad von 162 Prozent. Warum wird sie massiv beworben? Und pflanzliche Alternativen nicht?
Johann Költringer: Österreich ist ein Gebirgsland, 80 Prozent der heimischen Milch stammt aus dem Bergland oder benachteiligten Gebieten. Da können Sie kein Soja anbauen. Milch ist dort die einzige sinnvolle Möglichkeit, Lebensmittel zu erzeugen. Die Kuh ist aufgrund ihrer Physiologie in der Lage, für den Menschen unverwertbare Wiesen in Milch umzuwandeln.
Alfred Berger: Die Einnahmensquelle Nummer eins in Österreich ist der Tourismus. Die Landschaftspflege, die die heimischen Bauern betreiben, nehmen wir mit Selbstverständlichkeit zur Kenntnis. Wir freuen uns, dass es so schön ist in Österreich, aber den Aufwand dahinter, den sehen wir nicht.
Felix Hnat: Ich habe größten Respekt vor der Landwirtschaft, denn alles, was ich esse, kommt auch aus der Landwirtschaft. Es stimmt, es gibt Gebiete in Österreich, wo andere Landwirtschaft nicht möglich wäre. Aber mengenmäßig stehen die meisten Kühe in Oberösterreich und in Niederösterreich. 75 Prozent des verfütterten Grünfutters stammt aus Intensivgrünland, wo gedüngt wird und mehrmals pro Jahr gemäht wird. Die Kühe grasen diese Wiesen nicht ab. Den Tieren wird zusätzlich Kraftfutter gefüttert. Deswegen ist die Milchleistung pro Kuh von sechs Litern nach dem Krieg auf 50 Liter pro Kuh pro Tag angestiegen.
Johann Költringer: Bei uns gibt eine Kuh im Schnitt 5700 Liter im Jahr, in Tschechien sind es 8000 Liter, in Holland mehr als 10.000 Liter. Was die Futterbasis betrifft, arbeitet Österreich höchst extensiv. Die Kühe erhalten wenig Kraftfutter; und kein Soja wegen der Gentechnikfreiheit in der Milchwirtschaft.
Michael Blass: Unsere Eltern oder Großeltern gaben in den 50er-Jahren die Hälfte des frei verfügbaren Einkommens für Lebensmittel und Getränke aus. Heute gibt der durchschnittliche Haushalt neun bis elf Prozent für Lebensmittel und Getränke aus. Die Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft und in den folgenden Verarbeitungsstufen sind Wohlstandsgewinne für Österreich. Was wir uns heute leisten können im Sektor Bildung, bei der Mobilität, beim Wohnen, in der Kommunikation, beim Reisen, das sind Fortschritte, die wir der Lebensmittelwirtschaft und Landwirtschaft verdanken. Es ist fein, was die heimische Landwirtschaft für die Österreicher leistet, weil sie uns jeden Tag den Tisch deckt, zu Preisen, die sich jeder leisten kann, mit Qualität, die uns eine Freude macht.