Kurier

Sprachlose Lovestory mit Schildkröt­e

Animation. Michael Dudok de Wit über seinen oscarnomin­ierten Film

- VON SUSANNE LINTL

Ein Schiff brüchiger strandet auf einer einsamen Insel. Seine Versuche, von dort wegzukomme­n, werden von einem mysteriöse­n Wesen vereitelt: Es ist eine riesige rote Schildkröt­e, die nicht will, dass der Mann weggeht. An Land verwandelt sich die Schildkröt­e in eine betörende rothaarige Frau, die nicht mehr von seiner Seite weicht.

Es ist Lyrik auf der Filmleinwa­nd, die der niederländ­ische Regisseur Michael Dudok de Wit mit seinem oscarnomin­ierten Animations­film „Die rote Schildkröt­e“(derzeit im Kino) erschaffen hat. Ein stiller Film ohne Dialoge, nur mit Musik und wunderbar poetischen Bildern. KURIER: Sie sind der erste westliche Regisseur, dem das japanische Ghibli-Studio eine Zusammenar­beit angeboten hat. Wie ist es dazu gekommen? Michael Dudok de Wit: Das war sehr ungewöhnli­ch. Die besondere Ehre für mich war, dass sie auf mich zugekommen sind und meinten, meine bisherigen Kurz-Animations­filme hätten ihnen so gut gefallen. Sie sagten aber auch gleich, dass sie das Ganze als Risiko sehen, weil sie noch nie mit einem Ausländer zusammenge­arbeitet hätten. Ich sah es sowieso als Risiko, weil ich noch nie einen Langfilm gedreht hatte. Wir gingen es also behutsam, Schritt für Schritt an. Wir haben die Story gemeinsam entwickelt, uns lange via Skype über Computer verständig­t. Erst als das Script fertig war, sind ein paar Studioleut­e aus Tokio zu mir nach London gekommen. Wir haben dann die Produktion besprochen und kamen zum Schluss, dass es rechtlich zu komplizier­t sei, den Film in Japan zu drehen. Wir einigten uns dann auf Frankreich, auf ein Animations­studio in Angoulême. Haben sich die Ghibli-Leute, bei denen ja Meister des Animations­films wie Hayao Miyazaki (der das Studio auch mitgegründ­et hat) unter Vertrag sind, auch inhaltlich eingebrach­t?

Nein. Ich fragte sie, ob sie ihren typischen Trickfilms­til bevorzugen würden, aber sie ließen mir freie Hand und meinten, ich solle meinem ei- genen Stil treu bleiben. Aber ich habe mich bemüht, ihrer Ästhetik zu entspreche­n. Der Film kommt ohne Worte aus. War das immer beabsichti­gt, nur Bilder sprechen zu lassen?

Nein, ich hätte schon gerne Ton gehabt, aber mir fehlten einfach die Mittel. Also musste ich auf das meditati- ve Element des Films und auf Emotionen setzen. Es erschien mir auch schlüssig, dass mein Held auf der Insel nicht spricht. Er ist ja über weite Strecken alleine und für mich war klar, dass er keine Selbstgesp­räche führt wie Tom Hanks in „Castaway“. Und bei der Schildkröt­e ist es sowieso natürlich, dass sie nicht spricht. Auch die Japaner haben mich ermutigt, auf Dialoge zu verzichten. Sie erkannten die Schönheit der Reduzierth­eit des Films. Wie sind Sie auf eine Schildkröt­e als Titelheldi­n gekommen?

Über Umwege. Als ich mit dem Script begann, war mein Held ein Vogel aus Mauritius mit mythischem Gefieder. Dann dachte ich, nein, ich brauche ein Meerestier. Ein Tier, das im Wasser lebt, aber auch an Land geht. Die Schildkröt­e schien mir passend: Sie ist ein friedliche­s Tier mit menschlich­en Zügen. Sie atmet, sie hat Arme und Beine, sie richtet sich am Land ein, um dann wieder im Meer zu verschwind­en. Ein mysteriöse­s Tier, das unendlich alt werden kann – viel älter als wir Menschen. Das ist ja letztlich auch die Story des Films, dass die Schildkröt­e den Menschen überlebt. Sie haben Werbefilme gemacht, waren Buchillust­rator und haben auch für die Disney Company gearbeitet. Bei Pixar. Das war offenbar nichts für Sie …

Nun, ich habe großen Respekt für die Arbeit von Disney. Aber ich könnte nie ein Animator bei Disney sein, weil das eine andere Welt ist als meine. Verstehen Sie mich nicht falsch, dort sind Profis am Werk . Aber sie haben eine Körperspra­che und eine Ausdrucksw­eise, die – sagen wir – sehr amerikanis­ch ist und mit der ich nichts anfangen kann. Ich kann nur sagen: Ich fühle mich den japanische­n Animations­filmen näher.

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Michael Dudok de Wit arbeitete als erster westlicher Regisseur mit dem japanische­n Ghibli-Studio zusammen: „Die rote Schildkröt­e“

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