Sprachlose Lovestory mit Schildkröte
Animation. Michael Dudok de Wit über seinen oscarnominierten Film
Ein Schiff brüchiger strandet auf einer einsamen Insel. Seine Versuche, von dort wegzukommen, werden von einem mysteriösen Wesen vereitelt: Es ist eine riesige rote Schildkröte, die nicht will, dass der Mann weggeht. An Land verwandelt sich die Schildkröte in eine betörende rothaarige Frau, die nicht mehr von seiner Seite weicht.
Es ist Lyrik auf der Filmleinwand, die der niederländische Regisseur Michael Dudok de Wit mit seinem oscarnominierten Animationsfilm „Die rote Schildkröte“(derzeit im Kino) erschaffen hat. Ein stiller Film ohne Dialoge, nur mit Musik und wunderbar poetischen Bildern. KURIER: Sie sind der erste westliche Regisseur, dem das japanische Ghibli-Studio eine Zusammenarbeit angeboten hat. Wie ist es dazu gekommen? Michael Dudok de Wit: Das war sehr ungewöhnlich. Die besondere Ehre für mich war, dass sie auf mich zugekommen sind und meinten, meine bisherigen Kurz-Animationsfilme hätten ihnen so gut gefallen. Sie sagten aber auch gleich, dass sie das Ganze als Risiko sehen, weil sie noch nie mit einem Ausländer zusammengearbeitet hätten. Ich sah es sowieso als Risiko, weil ich noch nie einen Langfilm gedreht hatte. Wir gingen es also behutsam, Schritt für Schritt an. Wir haben die Story gemeinsam entwickelt, uns lange via Skype über Computer verständigt. Erst als das Script fertig war, sind ein paar Studioleute aus Tokio zu mir nach London gekommen. Wir haben dann die Produktion besprochen und kamen zum Schluss, dass es rechtlich zu kompliziert sei, den Film in Japan zu drehen. Wir einigten uns dann auf Frankreich, auf ein Animationsstudio in Angoulême. Haben sich die Ghibli-Leute, bei denen ja Meister des Animationsfilms wie Hayao Miyazaki (der das Studio auch mitgegründet hat) unter Vertrag sind, auch inhaltlich eingebracht?
Nein. Ich fragte sie, ob sie ihren typischen Trickfilmstil bevorzugen würden, aber sie ließen mir freie Hand und meinten, ich solle meinem ei- genen Stil treu bleiben. Aber ich habe mich bemüht, ihrer Ästhetik zu entsprechen. Der Film kommt ohne Worte aus. War das immer beabsichtigt, nur Bilder sprechen zu lassen?
Nein, ich hätte schon gerne Ton gehabt, aber mir fehlten einfach die Mittel. Also musste ich auf das meditati- ve Element des Films und auf Emotionen setzen. Es erschien mir auch schlüssig, dass mein Held auf der Insel nicht spricht. Er ist ja über weite Strecken alleine und für mich war klar, dass er keine Selbstgespräche führt wie Tom Hanks in „Castaway“. Und bei der Schildkröte ist es sowieso natürlich, dass sie nicht spricht. Auch die Japaner haben mich ermutigt, auf Dialoge zu verzichten. Sie erkannten die Schönheit der Reduziertheit des Films. Wie sind Sie auf eine Schildkröte als Titelheldin gekommen?
Über Umwege. Als ich mit dem Script begann, war mein Held ein Vogel aus Mauritius mit mythischem Gefieder. Dann dachte ich, nein, ich brauche ein Meerestier. Ein Tier, das im Wasser lebt, aber auch an Land geht. Die Schildkröte schien mir passend: Sie ist ein friedliches Tier mit menschlichen Zügen. Sie atmet, sie hat Arme und Beine, sie richtet sich am Land ein, um dann wieder im Meer zu verschwinden. Ein mysteriöses Tier, das unendlich alt werden kann – viel älter als wir Menschen. Das ist ja letztlich auch die Story des Films, dass die Schildkröte den Menschen überlebt. Sie haben Werbefilme gemacht, waren Buchillustrator und haben auch für die Disney Company gearbeitet. Bei Pixar. Das war offenbar nichts für Sie …
Nun, ich habe großen Respekt für die Arbeit von Disney. Aber ich könnte nie ein Animator bei Disney sein, weil das eine andere Welt ist als meine. Verstehen Sie mich nicht falsch, dort sind Profis am Werk . Aber sie haben eine Körpersprache und eine Ausdrucksweise, die – sagen wir – sehr amerikanisch ist und mit der ich nichts anfangen kann. Ich kann nur sagen: Ich fühle mich den japanischen Animationsfilmen näher.