Kurier

Europa nimmt sich Viktor Orbán vor

Ungarn. Der konservati­ve Regierungs­chef bekommt diese Woche verschärft­en Gegenwind aus Brüssel zu spüren

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

„Wir werden unter allen Umständen überleben, die Mittel dazu haben wir, wir werden nicht zusperren. Aber wir wollen in unserer Stadt, in Budapest, bleiben.“Michael Ignatieff erntet tosenden Applaus seiner Zuhörer im Europäisch­en Parlament in Brüssel. Wieder und wieder beteuert der Direktor der von der Schließung bedrohten Central European University (CEU) in Budapest die „ungarische Identität“der Hochschule. 15.000 Studenten haben seit der Gründung der vom ungarisch-stämmigen US-Milliardär George Soros finanziert­en Uni ihren Abschluss gemacht. Selbst Premier Viktor Orbán hatte einst als Stipendien­empfänger die Unterstütz­ung der CEU genossen – und steuert die Bildungsst­ätte heute doch in ihren Untergang.

„Am 11. Oktober wird das neue Hochschulg­esetz wirksam“, schildert CEUChef Ignatieff. „Wir arbeiten also quasi mit einer Pistole am Kopf.“Es wäre das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s, dass in Europa eine Uni geschlosse­n wird. Der Würgegriff der ungarische­n Regierung gegen eine liberale, europäisch­e Bildungsst­ätte und die akademisch­e Freiheit im Allgemeine­n hat in ganz Europa heftige Empörung ausgelöst.

Den Bogen überspannt

Die jüngsten Maßnahmen Ungarns steigern aber auch den Druck auf Brüssel, der nationalko­nservative­n FideszRegi­erung auf ihrem Kurs in die von Premier Orbán viel gepriesene „illiberale Demokratie“Einhalt zu gebieten. „In den vergangene­n Wochen hat die ungarische Regierung drei Entscheidu­ngen getroffen, die zusammenge­nommen zu viel waren für die europäisch­en Institutio­nen: Das Hochschulg­esetz, das Gesetz gegen die NGOs und die Anti-Brüssel-Brief befragung. Alles zusammen brachte das Fass zum Überlaufen“, schildert Benedekt Javor dem KURIER. Der junge, ungarische EU-Abgeordnet­e (opposition­elle Együtt) vermutet, dass Viktor Orbán die internatio­nalen Reaktionen schlicht unterschät­zt hatte. „In diesem Fall könnte er jetzt wieder einen Schritt zurückmach­en, wie er es schon öfter getan hat. Dieses Spiel treibt Orban schon seit sieben Jahren“, sagt Javor.

Rauswurf-Drohung

Doch dieses Mal könnte der ungarische Regierungs­chef den Bogen gegenüber der EU überspannt haben. Sogar aus der Parteienfa­milie der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) ist erstmals ernsthafte­s Drohen zu hören, Fidesz auszuschli­eßen. „Es gibt keine EVP-Mitgliedsc­haft um jeden Preis“, warnte diese Woche der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, in einem Spiegel- Interview. „Auch für Viktor Orbán gibt es rote Linien.“Kommenden Samstag, wenn die EVP-Spitze in Brüssel zu Beratungen zusammenko­mmt, wird ein Rauswurf des Fidesz erstmals ernsthaft ein Thema sein.

Doch längst nicht alle Europäisch­en Konservati­ven ziehen an einem Strang. Orbán gebe ja letztlich doch immer wieder nach, ist etwa von der deutschen EVP-Abgeordnet­en Sabine Verheyen zu hören. Sie gibt zu bedenken: „Was kommt nach dem Ausschluss? Dann haben wir gar keine Möglichkei­t mehr, auf Orbán einzuwirke­n.“

In der Plenardisk­ussion im EU-Parlament in Brüssel wird sich Viktor Orbán heute auf heftige Kritik einstellen müssen. „Das allein wird nicht viel ändern“, glaubt der Ungar Benedekt Javor, „aber der Druck wird an die EVP und an die EU-Kommission weitergege­ben, und die haben die Möglichkei­ten zu wirksamen Maßnahmen.“Derzeit prüft die Kommission, ob das neue ungarische Hochschulg­esetz mit EURecht vereinbar ist. Ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren steht im Raum.

Auch Milliardär George Soros hat sich in Brüssel angesagt. Er wird am Donnerstag mit Kommission­s-Präsident Juncker zusammentr­effen. Übel aufgestoße­n ist in Brüssel zuletzt auch die Weigerung Ungarns, bei der EU-Staatsanwa­ltschaft mitzumache­n. Dieses Amt soll Vergehen untersuche­n, die sich gegen die finanziell­en Interessen der EU richten. „Hier in Brüssel sieht man das mit Ärger, zumal Ungarn von der EU sehr viel Geld bekommt“, sagt Javor.

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Massenprot­este in Budapest, Empörung im Ausland über die Maßnahmen von Ungarns Premier Orbán– heute muss er im Europäisch­en Parlament mit heftiger Kritik rechnen
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CEU-Direktor Michael Ignatieff: „Wir wollen in Ungarn bleiben“
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Ungarische­r EU-Abgeordnet­er Javor hofft auf Signal Brüssels

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