Willkommen in der Wirklichkeit
Reinhold Bilgeri. Der Musiker hat seinen zweiten Kinofilm abgedreht. „Erik. Weltmeisterin“soll im Herbst Premiere feiern.
Für Reinhold Bilgeri ist die letzte Klappe gefallen. Die Dreharbeiten zu seinem zweiten Kinofilm „Erik. Weltmeisterin“sind abgeschlossen. Den schönen Schein der Filmkulissen wird der 66-jährige Musiker („Some Girls are Ladies“) den Großteil des Sommers hindurch mit den vier Wänden eines Schneideraums tauschen müssen, denn sein Film soll im Herbst – rechtzeitig vor den Filmfestspielen in Venedig und Toronto – fertig werden.
Im Mittelpunkt steht Erik Schinegger: Der Mann, der 1966 – damals noch als Erika – Abfahrts-Weltmeisterin wurde und der ein Jahr nach Gold für Österreich durch das Ergebnis eines Geschlechtstests aus der Spur geworfen wurde. Ein schwieriges Schicksal und gerade deshalb ein schöner Stoff für einen internationalen Film. KURIER: Was hat Sie an Erik Schinegger so fasziniert? Reinhold Bilgeri: Ich war in meiner Kindheit schon ein Fan der Erika und ein totaler Ski-Freak. Für mich stehen diese Sportler auf der gleichen Ebene wie große Filmemacher, Rock- und Jazz-Musiker. Wenn heute der Marcel Hirscher einen Super-G runterdonnert, dann habe ich einen erhöhten Puls – so wie früher bei Erika Schinegger. Nicht, weil ich ein chauvinistischer Patriot bin, sondern weil ich dieses radikale Draufgängertum schätze. Wagemut imponiert mir in allen Berufen – nicht nur beim Sport. Wie sehen Sie heute rückblickend Ihre Kindheit?
Ich wollte immer schon raus aus dem verkrusteten Konservativismus, der nach der Nazi-Zeit in Vorarlberg und natürlich auch in ganz Österreich zu spüren war. Obwohl meine Eltern keine Nazis waren. Mein Vater war sogar desertiert, hatte mit griechischen Partisanen gekämpft und geriet später in Ägypten in britische Gefangenschaft. Ihre konservative Haltung konnten meine Eltern allerdings nie wirklich ablegen. Meine Mutter war Dollfuß-Fan, aus einem tiefschwarzen Haus. Das war der einzige Streitpunkt zwischen uns. Sie wurde 101 Jahre alt und ich habe ihr bis zuletzt klar machen wollen, dass das eine Diktatur war. Aber weil der Dollfuß eben religiös war, war das für sie in Ordnung. Sie war Religionslehrerin. Kommen Sie oft und gerne nach Vorarlberg zurück?
Ich liebe dieses Land, aber wenn man Schriftsteller und Filmemacher sein will, dann muss man hinaus. Zuerst einmal nach Wien und danach noch weiter, viel weiter. Für Ihren ersten Film „Der Atem des Himmels“haben Sie Ihre Existenz riskiert – was Sie für Ihre Karriere als Rockmusiker wahrscheinlich nicht getan hätten. Warum bedeutet Ihnen das Filmemachen so viel?
Das hat – wie so vieles – mit meiner Jugend zu tun. Als Kind bin ich einmal über eine Feuerleiter aus dem Internat abgehauen, um mir im Kino „Lawrence von Arabien“anzuschauen. Danach bin ich – völlig paralysiert von der Wucht des Films – zurück in mein Zimmer geklettert. Dort hat schon eine gelbe DejongSchokolade auf mich gewartet – die hat damals zehn Schilling gekostet. Diese Schokolade sollte eine Art „Wegzehrung“sein. Ein Zeichen, dass ich das Internat
verlassen sollte. Am nächsten Tag hat man mich dann hinausgeworfen. Ich hatte Sorge, dass mich zu Hause Schläge erwarten, aber meine Mutter hatte offenbar ein schlechtes Gewissen, mich jahrelang ins Internat gesteckt zu haben. Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Aus diesem Erlebnis ist meine Liebe zum Film entstanden. Wenn man Ihr Filmschaffen betrachtet, dann könnte man Sie als „Jungfilmer“bezeichnen. Wie fühlen Sie sich dabei?
(lacht) Eigentlich sehr gut. Denn ich sehe es als großen Vorteil, wenn man als Jungfilmer eine alte Seele hat. Eine alte Seele bedeutet Lebenserfahrung und eine gewisse Autorität, die man daraus schöpfen kann. Und beides ist bei der Arbeit mit Schauspielern von Vorteil. Außerdem habe ich in meinem Alter mehr zu erzählen, als ich es in meiner Jugend gehabt hätte.