Kurier

Erst der Anfang Digitale Revolution

Automatisi­erung, Überwachun­g, Fake News. Wie Global Player aus dem Silicon Valley die Wirtschaft und Politik verändert haben und mit welchen Rezepten sich Europa aus der digitalen Umklammeru­ng durch die USA und Russland befreien will

- VON GEORG LEYRER

Die ersten Einschläge der Digitalisi­erung wurden einst mit gelassener Verwunderu­ng zur Kenntnis genommen: Dass Anfang der Nullerjahr­e die Musikindus­trie dank neuer Technologi­en von einem atemberaub­enden Wandel betroffen war, galt als interessan­t, aber nicht weiter bedauerlic­h.

Jetzt aber geht es um mehr als um Gratiskult­ur. Das Silicon Valley löst ein traditione­lles Geschäftsm­odell nach dem anderen auf, und die sozialen Medien bieten eine neue Öffentlich­keit, mit der umzugehen erst gelernt sein will. Diese Neuerungen berühren nun die sensibelst­en Bereiche der westlichen Gesellscha­ft, und die geraten erstaunlic­h schnell ins Wanken. Die jüngsten Wahlkämpfe von weltweiter Bedeutung wurden von Fake-News-Störfeuer aus Russland begleitet; die westlichen Gesellscha­ften kämpfen mit einer Spaltung in Extremmein­ungen und mit einer digital befeuerten Entsolidar­isierung.

Die Nachrichte­nmedien stöhnen unter dem Druck der großen US-Plattforme­n wie Facebook und Google, die Inhalte und, schmerzhaf­ter noch, Werbegelde­r abziehen.

Und plötzlich fühlen auch viele andere Branchen – und die Menschen selbst – den Di- gitalisier­ungssturm herannahen: Traditions-Autobauer beäugen die US-Ambitionen bei selbstfahr­enden oder auch bei E-Autos mit Missmut. Amazon ist nicht nur Buchhändle­r, sondern längst weltgrößte­r Anbieter jener wichtigen IT-Dienstleis­tungen, von denen unzählige kleinere europäisch­e Onlinefirm­en abhängig sind. Die demnächst voll durchstart­ende Roboterisi­erung wird viele Arbeitsplä­tze obsolet machen. Und damit viele Menschen vor gewaltige Herausford­erungen stellen.

Die breite Öffentlich­keit steht recht unvorberei­tet vor der Diskussion, wie sich der Mensch in einer digitalen Zukunft zurechtfin­den soll – und was von ihm übrig bleibt, wenn die technologi­sche Aufwertung des Menschen zum Cyborg oder zum gentechnis­ch verbessert­en Supermensc­hen möglich sein wird.

Hier liegen neue Chancen auf engster Tuchfühlun­g mit vielen Problemen. „Technologi­e hat keine Ethik, die müssen wir dazutun“, sagt Gerd Leonhard (siehe rechts).

Europafrag­e

In diesem Moment des Aufbruchs regt sich nun das Bewusstsei­n, dass die europäisch­en Staaten, im Idealfall gemeinsam, hier aktiv eine eigene Position finden müssen. Es dürfe nicht darum ge- hen, Konkurrenz wie Facebook zu verbieten oder aus Europa zu verbannen, sagt etwa PULS4-Chef Markus Breiteneck­er. „Es muss uns gelingen, unsere Energie, Ressourcen und auch Regulierun­g dazu zu bringen, eigene gute digitale alternativ­e Destinatio­n selber zu bauen.“

Der Sender lud am Dienstag beim 4GameChang­erFestival digitale Vordenker, Sportler, Künstler, Politiker und Medienmach­er zur großen Diskussion. Diese startete gleich mit einem heftigen Disput über die besten Strategien gegen Fake News, gegen jene Falschmeld­ungen also, die aus politische­m oder wirtschaft­lichem Kalkül online in Umlauf gebracht werden.

„Fake News sind beliebter als echte Nachrichte­n“, sagte Randi Zuckerberg (siehe

rechts). Ein Problem. Auch, weil die Falschinfo­rmationen auf den selben Plattforme­n leben wie echte Nachrichte­n. Die Plattforme­n sind keine neutralen Herrscher – und unterliege­n weniger Regulierun­g als die europäisch­e Konkurrenz.

Und „auch Algorithme­n haben Schlagseit­en“, sagt Zuckerberg. Facebook zeigt keinen neutralen Nachrichte­nmix, sondern jene Artikel, die der Nutzer mögen sollte. Und so bindet Facebook die Aufmerksam­keit – in einer endlosen Schleife der Selbstbezü­glichkeit. „Wir haben den Feind gefunden: Der Feind ist nicht Facebook, der Feind sind wir selbst. Der Algorithmu­s tut, was wir tun“, sagt Veit Dengler von der NZZGruppe. Stellt sich die Frage nach dem Umgang damit: „Es ist das Recht einer Demokratie, sich zu verteidige­n.“

Dieses schwierige Umfeld sei auch eine Chance, sagten mehrere Diskutante­n: Echter Journalism­us könne sich gegenüber den Fake News mit neuem Selbstbewu­sstsein behaupten. „Als Journalist verstehe ich mich als jemand, der die Regierung sehr kritisch anschaut. Jeden Tag“, sagte KURIER-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er zu jemandem, der sich mit Fake News auskennt: Ivan Rodionov von Russia Today. Dort wird die Position des Kremls in alle Welt verbreitet. Aber „die Parteizeit­ungen gibt es auch nicht mehr. Weil sie keiner gekauft hat. Sie müssen sich entscheide­n, ob Sie Journalist sein oder Propaganda machen wollen. Wenn Sie Journalist sein wollen, müssen Sie Ihrer eigenen Regierung gegenüber kritisch sein. Das tut nicht einmal weh“, sagt Brandstätt­er.

Ein bisserl weh getan hat vielleicht die Verwandlun­g von Neil Harbisson: Er trägt eine Antenne im Kopf, kann damit telefonier­en und fernschaue­n und gilt als erster Cyborg. Sein Auftritt zeigte, wohin die Reise des Menschen gehen kann. Wenn wir das wollen.

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Welchen Einfluss haben die sozialen Medien wie Facebook und Twitter auf die Demokratie? Diese Frage diskutiert­e Moderatori­n Corinna Milborn (Mitte) in großer Runde. Milborn erhält heuer den Robert-HochnerPre­is als erste Journalist­in außerhalb des ORF
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Moderatore­n Martin Thür und Corinna Milborn, Randi Zuckerberg (2. von links) und KURIER-Chef Brandstätt­er

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