Erst der Anfang Digitale Revolution
Automatisierung, Überwachung, Fake News. Wie Global Player aus dem Silicon Valley die Wirtschaft und Politik verändert haben und mit welchen Rezepten sich Europa aus der digitalen Umklammerung durch die USA und Russland befreien will
Die ersten Einschläge der Digitalisierung wurden einst mit gelassener Verwunderung zur Kenntnis genommen: Dass Anfang der Nullerjahre die Musikindustrie dank neuer Technologien von einem atemberaubenden Wandel betroffen war, galt als interessant, aber nicht weiter bedauerlich.
Jetzt aber geht es um mehr als um Gratiskultur. Das Silicon Valley löst ein traditionelles Geschäftsmodell nach dem anderen auf, und die sozialen Medien bieten eine neue Öffentlichkeit, mit der umzugehen erst gelernt sein will. Diese Neuerungen berühren nun die sensibelsten Bereiche der westlichen Gesellschaft, und die geraten erstaunlich schnell ins Wanken. Die jüngsten Wahlkämpfe von weltweiter Bedeutung wurden von Fake-News-Störfeuer aus Russland begleitet; die westlichen Gesellschaften kämpfen mit einer Spaltung in Extremmeinungen und mit einer digital befeuerten Entsolidarisierung.
Die Nachrichtenmedien stöhnen unter dem Druck der großen US-Plattformen wie Facebook und Google, die Inhalte und, schmerzhafter noch, Werbegelder abziehen.
Und plötzlich fühlen auch viele andere Branchen – und die Menschen selbst – den Di- gitalisierungssturm herannahen: Traditions-Autobauer beäugen die US-Ambitionen bei selbstfahrenden oder auch bei E-Autos mit Missmut. Amazon ist nicht nur Buchhändler, sondern längst weltgrößter Anbieter jener wichtigen IT-Dienstleistungen, von denen unzählige kleinere europäische Onlinefirmen abhängig sind. Die demnächst voll durchstartende Roboterisierung wird viele Arbeitsplätze obsolet machen. Und damit viele Menschen vor gewaltige Herausforderungen stellen.
Die breite Öffentlichkeit steht recht unvorbereitet vor der Diskussion, wie sich der Mensch in einer digitalen Zukunft zurechtfinden soll – und was von ihm übrig bleibt, wenn die technologische Aufwertung des Menschen zum Cyborg oder zum gentechnisch verbesserten Supermenschen möglich sein wird.
Hier liegen neue Chancen auf engster Tuchfühlung mit vielen Problemen. „Technologie hat keine Ethik, die müssen wir dazutun“, sagt Gerd Leonhard (siehe rechts).
Europafrage
In diesem Moment des Aufbruchs regt sich nun das Bewusstsein, dass die europäischen Staaten, im Idealfall gemeinsam, hier aktiv eine eigene Position finden müssen. Es dürfe nicht darum ge- hen, Konkurrenz wie Facebook zu verbieten oder aus Europa zu verbannen, sagt etwa PULS4-Chef Markus Breitenecker. „Es muss uns gelingen, unsere Energie, Ressourcen und auch Regulierung dazu zu bringen, eigene gute digitale alternative Destination selber zu bauen.“
Der Sender lud am Dienstag beim 4GameChangerFestival digitale Vordenker, Sportler, Künstler, Politiker und Medienmacher zur großen Diskussion. Diese startete gleich mit einem heftigen Disput über die besten Strategien gegen Fake News, gegen jene Falschmeldungen also, die aus politischem oder wirtschaftlichem Kalkül online in Umlauf gebracht werden.
„Fake News sind beliebter als echte Nachrichten“, sagte Randi Zuckerberg (siehe
rechts). Ein Problem. Auch, weil die Falschinformationen auf den selben Plattformen leben wie echte Nachrichten. Die Plattformen sind keine neutralen Herrscher – und unterliegen weniger Regulierung als die europäische Konkurrenz.
Und „auch Algorithmen haben Schlagseiten“, sagt Zuckerberg. Facebook zeigt keinen neutralen Nachrichtenmix, sondern jene Artikel, die der Nutzer mögen sollte. Und so bindet Facebook die Aufmerksamkeit – in einer endlosen Schleife der Selbstbezüglichkeit. „Wir haben den Feind gefunden: Der Feind ist nicht Facebook, der Feind sind wir selbst. Der Algorithmus tut, was wir tun“, sagt Veit Dengler von der NZZGruppe. Stellt sich die Frage nach dem Umgang damit: „Es ist das Recht einer Demokratie, sich zu verteidigen.“
Dieses schwierige Umfeld sei auch eine Chance, sagten mehrere Diskutanten: Echter Journalismus könne sich gegenüber den Fake News mit neuem Selbstbewusstsein behaupten. „Als Journalist verstehe ich mich als jemand, der die Regierung sehr kritisch anschaut. Jeden Tag“, sagte KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter zu jemandem, der sich mit Fake News auskennt: Ivan Rodionov von Russia Today. Dort wird die Position des Kremls in alle Welt verbreitet. Aber „die Parteizeitungen gibt es auch nicht mehr. Weil sie keiner gekauft hat. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Journalist sein oder Propaganda machen wollen. Wenn Sie Journalist sein wollen, müssen Sie Ihrer eigenen Regierung gegenüber kritisch sein. Das tut nicht einmal weh“, sagt Brandstätter.
Ein bisserl weh getan hat vielleicht die Verwandlung von Neil Harbisson: Er trägt eine Antenne im Kopf, kann damit telefonieren und fernschauen und gilt als erster Cyborg. Sein Auftritt zeigte, wohin die Reise des Menschen gehen kann. Wenn wir das wollen.