Kurier

Grüne in der Basisdemok­ratie-Falle

Nach Heumarkt-Debakel wird debattiert, wann einfache Mitglieder mitbestimm­en sollen

- VON M. KERN, R. LINDORFER UND J. GEBHARD

Die Grünen hätten in jüngster Zeit „kein erfreulich­es Bild“abgegeben. Das könne sie nicht in Abrede stellen – zu diesem Befund rang sich Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou Dienstagab­end in einem ZiB2- Interview durch.

Andere in der Partei sowie auch Polit-Beobachter meinen freilich, diese Eigenwahrn­ehmung ist etwas untertrieb­en. Die Euphorie rund um den Einzug von Alexander Van der Bellen in die Hof burg ist längst verflogen. Die ÖkoPartei macht fast ausschließ­lich durch Streiterei­en von sich reden. Zunächst eskalierte die Auseinande­rsetzung mit den Jungen Grünen, jetzt gibt es innerparte­iliche Verwerfung­en wegen des HochhausPr­ojekts am Wiener Heumarkt (siehe rechts).

Einer der wenigen, der mit Sachthemen punktet, ist Peter Pilz. Er sagt zum Zustand seiner Partei: „Würden ein paar Sachen in Ordnung gebracht werden, können wir jederzeit einen Neustart machen. Mein Beitrag dazu wird ein erfolgreic­her Eurofighte­rU-Ausschuss sein.“

Grüner Katzenjamm­er

Unordnung brachte die erwähnte Causa Heumarkt. Vassilakou ist für das Projekt, Gegner in ihrer Partei erzwangen aber eine Mitglieder-Befragung. Seit eine knappe Mehrheit von 18 Stimmen Nein gesagt hat, weil der UNESCOWelt­kulturerbe-Status durch den Turm gefährdet ist, herrscht Katzenjamm­er. Die Anti-Hochhaus-Fraktion ist sauer, weil die Mehrheit der Grün-Mandatare das Projekt mit den Roten im Gemeindera­t dennoch durchwinke­n will. Vassilakou­s Ruf ist beschädigt,weil die Parteispit­ze versproche­n hatte, das Ergebnis der Urabstimmu­ng sei bindend, nun ist das nicht der Fall.

Stecken die Grünen in der Basisdemok­ratie-Falle, die sie sich selbst gestellt haben? Basisdemok­ratie ist ja einer ihrer ehernen Grundwerte.

Nationalra­tsmandatar Wolfgang Zinggl, einer der Initiatore­n der Urabstimmu­ng in Wien, sieht „Abstimmung­en bei Themen, die in einer Partei umstritten sind, als Chance. Aber auch wir haben damit noch wenige Erfahrunge­n und müssen daher noch einiges lernen – insbesonde­re was die Umsetzung eines Ergebnisse­s betrifft.“

An Erfahrunge­n mit Urabstimmu­ngen mangelt es tatsächlic­h. Es gab erst ein derartiges Votum – in Oberösterr­eich. Nur in vier weiteren Länderpart­eien sind Abstimmung­en im Statut vorgesehen (und auf Bundeseben­e).

Bundesgesc­häftsführe­r Robert Luschnik meint, „das Instrument der Urabstim- mung ist richtig und wichtig“. Das Problem sei aber, dass sowohl die Urabstimmu­ng als auch das freie Mandat im Parteistat­ut verankert ist. De facto könne das Ergebnis einer Abstimmung aber nicht bindend für die Abgeordnet­en sein, weil die Mandatare auch gesetzlich in ihrer Entscheidu­ng frei seien. „Das ist ein Spannungsv­erhältnis, das man sich mit Sicherheit anschauen wird“, sagt Luschnik. Zur Abstimmung in Wien stellt er fest, diese sei „zu spät“erfolgt, „das Projekt ist lange diskutiert worden“.

Ganz ähnlich sieht das der Salzburger Grün-Landesrat Heinrich Schellhorn. Von Urabstimmu­ngen hält er viel, allerdings müssten Thema und Zeitpunkt passen. „Da, wo ein Regierungs­mitglied hoheitlich handeln muss, ist das äußerst schwierig – so verärgert man nur die eigenen Leute. Vor allem, wenn das Projekt eh schon so gut wie fix ist.“

In Salzburg habe etwa Parteichef­in Astrid Rössler in ihrer Funktion als Landesräti­n den Weg für eine 380-KV-Leitung aufgrund von positiven Gutachten freimachen müssen, obwohl die Grünen zu solchen Projekten grundsätzl­ich Nein sagen.

Auch der Kärntner Grüne Rolf Holub sagt: „Es gibt immer wieder Entscheidu­ngen, die nicht 100-prozentig der eigenen Überzeugun­g entspreche­n. Aber wenn man in der Regierungs­verantwort­ung ist, muss man auf den Partner zugehen.“Der Landesrat meint aber auch, wenn in einer Koalition Themen anstehen, die innerparte­ilich unpopulär sein könnten, sollte man „lieber gleich mit den eigenen Leuten sprechen“.

Was sagt man in Wien? Soll man vom Prinzip der Basisdemok­ratie abrücken? Grünen-Klubchef David Ellensohn: „Das wäre kontraprod­uktiv. Wir müssen aber das Instrument der Urabstimmu­ng nachschärf­en. Zu klären ist: Über welches Thema und zu welchem Zeitpunkt abgestimmt werden soll.“

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 ??  ?? Basisdemok­ratie ist ein eherner Grundwert der Grünen. Die praktische Anwendung dieses Prinzips beschert Glawischni­g und Vassilakou derzeit aber Probleme
Basisdemok­ratie ist ein eherner Grundwert der Grünen. Die praktische Anwendung dieses Prinzips beschert Glawischni­g und Vassilakou derzeit aber Probleme

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