Urlaubsland in der Krise
Griechenland. Die Krise hat die Menschen weiterhin fest im Griff, alle Generationen leiden unter ihr
Wie Familien in Griechenland aus dem Mittelstand fallen P O L I T I
Das Städtchen Nea Makri liegt an der Ägäis zwischen der griechischen Hauptstadt Athen und dem historischen Ort Marathon. Sein langer, nicht allzu feiner Sandstrand mag nicht so traumhaft schön aussehen wie auf manchen Inseln. Trotzdem ist er ganz passabel für einen angenehmen Sommerurlaub. Nea Makri zieht vor allem ältere französische Touristen an, junge Familien mit Kleinkindern und all diejenigen, die nicht viel Geld für Luxus übrig haben.
Nea Makri sollte ein guter Ort zum Leben sein, Krise hin, Krise her. Außerdem geht es ja jetzt wieder aufwärts mit Griechenland, so versichert die linksgeführte Regierung unter Premier Alexis Tsipras. Nach Verhandlungen hat sich Athen im Juni eine neue Kreditrate von 8,5 Milliarden Euro von den internationalen Gläubigern gesichert. „Griechenland ist dabei, der Krise ein Ende zu setzen, die unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft geschädigt hat“, schrieb er auf Twitter.
Alle sind deprimiert
Ulrice Niemeyer, eine 50-jährige Deutsche, die seit den 90er-Jahren in Nea Makri lebt, sieht das anders. „Diese Misere, die wir hier durchleben, kann sich keiner in Europa vorstellen.“Es gab eine Zeit, da hatte sie Kräuter am Straßenrand gesammelt, um irgendetwas zum Essen auf den Tisch stellen zu können. Was die Zukunft angehe, seien die Leute entmutigt und deprimiert, auch die Jungen, sagt sie.
Nach Griechenland kam Ulrice Niemeyer, wie so viele, wegen der Liebe. Die aus der Umgebung von Hamburg stammende Frau lernte ihren Ehemann Giorgos Evangelious während eines Urlaubs kennen. Zwei Jahre später übersiedelte sie nach Nea Makri und heiratete. „Giorgos hatte zwei Läden, darunter einen Minimarkt für Lebensmittel. Als die großen Supermarktketten kamen, haben wir eine Creperie aufgemacht, um im Geschäft zu bleiben. Das war viel Arbeit, aber wir kamen gut über die Runden.“
Die Wirtschaftskrise aber spürte das Ehepaar schon gleich nach den Olympischen Spielen 2004. Die Leute hatten plötzlich immer weniger Geld. „Die Krise kam nicht von heute auf morgen. Man hat sie nur langsam bemerkt. Dabei meine ich nicht die Angestellten. Zuerst waren es die Selbstständigen, die unter die Räder kamen.“Das Geschäft von Ulrice und Giorgos hielt bis 2010 durch, dann aber waren sie pleite. Zwei Jahre später zog die Familie ins Haus ihres Schwiegervaters, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnte.
Michalis Kanelopoulos, Ulrices Schwiegervater, war froh, zu helfen. Im patriarchalen Griechenland sehen es Eltern als ihre Pflicht an, den Kindern zur Seite zu stehen. Für den Architekten Kanelopoulos, der auch Häuser mit Mietwohnungen besaß, war es zunächst kein Problem, seinem Stiefsohn eine seiner Wohnungen zu überlassen.
Doch Kanelopoulos’ gesamte Mieteinnahmen schrumpften allmählich um die Hälfte. Zugleich stieg die Grundsteuer so stark, dass sie jetzt drei Viertel seiner Einnahmen verschlingt. Seine Schulden schnellten empor, auch beim Finanzamt, bei der Strom- und der Wassergesellschaft. „Das Schlimmste ist, dass ich meine Nachkommen nicht mehr absichern kann“, sagt der ältere Herr. Seine mehrmals gekürzte Pension von 600 Euro bietet wenig Unterstützung dabei.
So haben es Ulrices Söhne Michalis und Achileas auf sich genommen, ihrem Großvater bei der Rückzahlung der Schulden zu helfen. Der 26-jährige Michalis ist ge- lernter Physiotherapeut. Im Krankenhaus könnte er, falls er denn eine Stelle fände, auf nicht mehr als 400 Euro Lohn pro Monat hoffen. Es macht mehr Sinn, in StrandTavernen in Nea Makri zu jobben. Meist hat er mehr als zwei Stellen auf einmal. Sein 24-jähriger Bruder hat gerade drei Jobs, einen davon als „Barrista“in einem Strandcafé. Nebenbei versucht er, in seinem Traumberuf als Fußballtrainer für Jugendliche weiterzumachen. Zum Leben bleibt keine Zeit, klagt er. „Ich möchte eigentlich gern ein Kind haben, aber wie soll das ohne festes Einkommen gehen? Jobs finden sich meist nur in der Sommersaison“sagt Michalis.
Jeder Job willkommen
„Eigentlich geht es meiner Familie besser als vielen anderen – wir haben immerhin zu essen. Dabei sind wir früher Mittelstand gewesen“, führt Ulrice mit einem traurigen Lächeln aus. Sie hält sich mit privaten Deutschstunden über Wasser. Giorgos, ihr 53 Jahre alter Ehemann, ist eigentlich gelernter Elektriker, macht aber nun alles, was sich findet – streichen, kellnern und so fort. Und das alles – so kann man annehmen – wohl schwarz. Niemand will oder kann es sich leisten, Arbeiter anzustellen.
Längst ist es auch üblich, mehrere Jobs zu haben als Ausgleich für die niedrigen Löhne. „Es sind keine faulen Leute hier um uns herum, wie man in Deutschland oder Österreich vielleicht denkt. Sie sind eben durch die Krise hoch verschuldet“, erzählt Ulrice und blickt sorgenvoll auf die untergehende Sonne.