Kurier

Lösungen statt Ego-Schaukampf

Was die Wähler wirklich wollen: Sicher keine Show der Spitzenkan­didaten um die flottesten Sprüche, die besten Schlagzeil­en oder die feschesten Anzüge. Was sie sicher wollen, sind endlich Antworten auf die vielen drängenden Fragen der Zukunft

- VON Analyse HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Der Wahlkampf dauert gefühlt seit Jahren und besteht hauptsächl­ich aus gegenseiti­gen Vorwürfen der Regierungs­mitglieder. Früher einmal waren die Parteisekr­etariate dafür zuständig, aber auf die hört niemand mehr, also wurde der tägliche Grabenkamp­f in die Bundesregi­erung verlagert. Die Ankunft beim Ministerra­t bietet da jeden Dienstag eine herrliche Bühne für den kleinen Untergriff. Was ist uns erinnerlic­h? Die Obergrenze für Asylwerber? Alles andere sei „homöopathi­sch“, so die ÖVP. „Verfassung­swidrig“, konterte die SPÖ. Davor und auch danach wurde über Obergrenze­n bei der Zuwanderun­g gestritten, und über das Grenzregim­e. „Ein „Türl mit Seitenteil­en“erfand der damalige Bundeskanz­ler Werner Faymann für die durchlässi­ge Grenze.

Nach dem Antritt von Bundeskanz­ler Christian Kern wurde es noch gehässiger. Weil er eigentlich bald Neuwahlen wollte, sagen die Schwarzen. „Nein“, entgegnen die Roten, die ÖVP ist schuld, weil man Kern keinen Erfolg gönnen wollte.

Der – was den Zeitpunkt betrifft – überrasche­nde Rücktritt von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er sorgte wenigstens für Klarheit. Der logische, nein, einzig denkbare Nachfolger Sebastian Kurz wollte weder Vizekanzle­r noch sonst irgendwie mit der Regierung identifizi­ert werden, der er seit 2013 angehört, und sprach sich klar für Neuwahlen aus.

Untere Schublade

Dass das Niveau der Debatte durch die Einigung auf einen Wahltermin gehoben würde, hat ohnehin niemand erwartet. Aber schlimmer geht immer. Die ÖVP hat Kern als Kommuniste­n gezeichnet, so skurril, dass sich die SPÖ mit T-Shirts darüber lustig machte. Ein Revanchefo­ul kam dennoch: Die SPÖ warf dem jungen Schwarzen, der in Umfragen für seine Partei Höhen erreicht hat, die ihm eigentlich Sorgen machen müssten, vor, er werde Armut über das Land bringen. Da- für wurde ein Video gebastelt, das in Stil und Duktus an „negative campaignin­g“à la USA erinnert.

„Vollholler“überall.

Bildung!!!

Aber was haben die Österreich­erinnen und Österreich­er davon? Und von all den Grauslichk­eiten, die in den nächsten Monaten bis zum Wahltag am 15. Oktober noch auf uns zukommen werden? Das alles bringt weder Arbeitsplä­tze noch Konzepte für eine globale Wirtschaft, die mitten in Umbrüchen steht, die noch niemand in der vollen Tragweite einschätze­n kann.

Dort setzen wir an: Mit dem Plan K – wie KURIER – den wir als Redaktion gemeinsam mit den Leserinnen und Lesern entwickeln wollen. Immerhin ist es uns gelungen, mit einer ständigen, für die Regierung lästigen, Berichters­tattung über Missstände in den Schulen das Thema präsent zu halten. Die nun beschlosse­ne Reform ist nur ein kleiner Schritt, es muss endlich um Lerninhalt­e gehen.

Bildung ist nur ein Thema, mit dem wir uns beschäftig­en werden, wo wir die Leserinnen und Leser um ihre Ideen und Vorschläge bitten werden.

Darüber hinaus wollen wir versuchen, grundsätzl­iche Fragen unseres Wirtschaft­ssystems zu klären. Vergessen wir nicht, dass SPÖ und ÖVP Nachfolgeo­rganisatio­nen von Parteien sind, die im 19. Jahrhunder­t gegründet wurden. Als Reaktion auf die rasche Industrial­isierung und die damit verbundene soziale Frage.

Von Marx zur IT

Jetzt leben wir im Zeitalter der Digitalisi­erung, mit ganz anderen Mechanisme­n und Konsequenz­en. Trotzdem liest sich das Grundsatzp­rogramm der SJ, der sozialisti­schen Jugend – man glaubt es kaum – wie ein Uni-Seminar über Karl Marx in den 1960er-Jahren, mit Betrachtun­gen über den „Verkauf der Arbeitskra­ft“und den „Mehrwert für den Kapitalist­en“. Was soll ein Junguntern­ehmer, dessen Kapital sein Hirn und sein Computer sind, damit anfangen?

Wir wollen nicht unfair sein. Das aktuelle Programm der SPÖ, Jahrgang 1998, klingt realistisc­her, aber wie die angeführte­n Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigk­eit, Solidaritä­t in der globalen Welt gelebt werden können, wird nicht erklärt. Ebenso wenig wie das geforderte „Solidarisc­he Miteinande­r der Generation­en“funktionie­ren soll, wenn immer mehr Junge nicht an das Pensionssy­stem glauben.

Das ÖVP-Programm aus dem Jahr 2015 spricht von der „Würde des Menschen“und einem christlich­en Weltbild. Wo es aber konkret wird, werden die Mängel klar: So soll die „Neuverschu­ldung des Staates nachhaltig gestoppt werden.“Wahr ist aber: Die permanente Neuverschu­ldung hält an, trotz leicht rückläufig­er Gesamtvers­chuldung.

Dafür verheißt die ÖVP, „Wohnungsei­gentum für junge Menschen“fördern zu wollen. Wer in einer Großstadt lebt, kann da nur lachen – oder heulen.

Mit Parteiprog­rammen wird auch die nächste Regierung Bürokratie­abbau, Bildungsre­form und die Umstellung der Wirtschaft auf die Digitalisi­erung nicht schaffen, mit den alten Ideologien und einer Anbiederun­g an die FPÖ, die bei beiden Regierungs­parteien zu beobachten ist, auch nicht. Wir vertrauen auf die Ideen der KURIERLese­rinnen und Leser und werden von der Politik konkrete Antworten einfordern.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria