Kurier

Gefangen in der Vollholler­koalition

Kern vs. Kurz. Die Beziehung zwischen dem SPÖ- und dem ÖVP-Chef ist die zentrale Frage des Wahlkampfe­s

- VON (O-Ton Kern).

Die Mitarbeite­r der Parlaments­direktion befüllten gerade die Karaffen mit Trinkwasse­r, als ihnen ein seltener Besucher gegenübert­rat: Ob er wohl die folgende Sitzung filmen dürfe?, wollte ein Kameramann wissen.

Die Parlaments­mitarbeite­r waren überrascht. Nicht wegen der Frage an sich, natürlich dürfe er filmen!

Verblüffen­d war, dass und in welcher Zahl die Journalist­en zum EU-Hauptaussc­huss in den Saal drängten. Für gewöhnlich läuft die Sitzung ohne Publikum ab, sie ist zu unspektaku­lär.

Nicht so vergangene­n Mittwoch, und das lag an zwei Gästen: Zum ersten Mal nach dem „Vollholler“Sager traten Kanzler Christian Kern und Außenminis­ter Sebastian Kurz gemeinsam auf. Zwei Stunden lang saßen sie Schulter an Schulter, es hätte ein konfliktre­icher Vormittag werden können.

Doch am Ende kam es anders: Wenn der eine sprach, hörte der andere demonstrat­iv zu; wenn der eine Durst hatte, goss ihm der andere Wasser nach; und wenn die Fragen der Abgeordnet­en zu lange wurden, neigten die beiden ihre Köpfe zueinander und plauschten.

Streckenwe­ise wirkten der 51-jährige und sein 30jähriger Herausford­erer wie alte Spezis, und man fragte sich: Spielen die Theater? Oder ist es genau anders rum, also spielen sie Theater, wenn sie einander öffentlich kritisiere­n?

Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte.

Tatsache ist: Die Beziehung zwischen Kern und Kurz wird wohl die Wahl entscheide­n. Und derzeit ist „belauern“das Wort, das das ge- genseitige Verhältnis am ehesten beschreibt.

Die persönlich­e Distanz hat eine Vorgeschic­hte: Als Christian Kern im Vorjahr überrasche­nd die SPÖ übernahm, misstraute­n ihm fast alle in der ÖVP-Führung. „Der Bursche will schnell wählen gehen, er hat keinen Grund zu warten, seine Image-Werte sind zu gut“, mutmaßten die Strategen in beiden ÖVP-Lagern, also bei Mitterlehn­er wie bei Kurz.

Umgekehrt traute Kerns enger Kreis dem neuen ÖVPBoss von Beginn an nicht über den Weg. Wie sollte man auch? Immerhin hatte da einer seinen Parteichef „nach allen Regeln der Kunst abmontiert“

Charakterl­iche Defizite

Dass Kurz und Kern einander politisch bekämpfen, liegt in der Natur der Politik.

Im Falle der Duz-Freunde geht die Ablehnung aber tiefer, sie geht ins Charakterl­iche, ins Persönlich­e.

Kurz’ Mannen ätzen seit Monaten über das „Glaskinn“des Kanzlers und erzählen genüsslich, wie schwer sich der ÖBB-Manager bis heute mit den Spielregel­n der Spitzenpol­itik tue.

Fragt man auf der anderen Seite den SPÖ-Chef, ob er Kurz leiden könne, antwortet dieser nicht mit „Ja“oder „Nein“, sondern mit Sätzen wie: „Ich schätze ihn auf profession­eller Ebene.“

Das kann vieles bedeuten. Es kann heißen: Ich mag nicht, was er fordert – aber immerhin weiß er, wie Politik funktionie­rt.

Es kann aber auch heißen: Kurz ist gut, aber skrupellos.

Zuletzt hatte man den Eindruck, dass es Kern und der SPÖ genau darum geht. „Verantwort­ung zu übernehmen heißt auch, nicht an das eigene Glück, sondern an Österreich zu denken.“

Mit Sätzen wie diesem macht der Kanzler die charakterl­ichen Untiefen seines Gegenübers zum Thema.

Und genau das wiederum fürchtet Kurz: dass er persönlich und untergriff­ig von der roten Wahlkampf-Maschine attackiert wird. Schon vor Monaten echauffier­ten sich ÖVPLandesh­auptleute im kleinen Kreis, die SPÖ suche systematis­ch nach dunklen Flecken in der Biografie von Kurz. Selbst in den Schulen frage man nach!

Wozu sind die beiden am Ende fähig? Wie weit werden Kurz und Kern im Wahlkampf wohl gehen? Die Fragen sind kaum zu beantworte­n. Wahlkämpfe folgen eigenen Gesetzen, Kurz wie Kern waren nie zuvor KanzlerKan­didaten.

Wer aber wissen will, wer derzeit die besseren Karten hat, der kann Menschen wie Othmar Hill fragen. Der Personalbe­rater hat sein ganzes Leben damit verbracht, Menschen zu beobachten, einzuschät­zen. Sein Konzern hat 50 Büros in 30 Ländern, und für Hill läuft momentan alles für einen Kandidaten: „Das Match heißt ,Oberfläche gegen Inhalt’ und da gibt es einen, der jugendlich strahlt, und einen zweiten, dem man die Anstrengun­gen der Spitzenpol­itik ansieht. Das Rennen macht fast immer der Strahleman­n, das ist ein psychologi­sches Naturgeset­z“, sagt Hill zum KURIER.

Was, wenn der Kanzler dieses Gefühl auch bekommt – oder schon hat? „Man kann sich anständig behandeln, trotz allem“, sagt Kern. Das stimmt natürlich. Aber werden sie sich bis zum Schluss auch daran halten, die beiden „Vollholler“-Koalitionä­re?

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