Kurier

Stresstest für die Sozialpart­ner

Neuwahl. Wenn sich SPÖ und ÖVP im Herbst scheiden lassen, droht den Sozialpart­nern eine Beziehungs­krise

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Manchmal lohnt es sich, in alten Sachen zu kramen und Schätze aus vergangene­n Tagen auszugrabe­n.

SPÖ und ÖVP befinden sich auf dem Scheidungs­weg aus der rot-schwarzen Dauerkoali­tion. Ob die Trennung im Herbst tatsächlic­h vollzogen wird, kann man jetzt noch nicht wissen. Ein Blick in die Berichters­tattung jener Tage, als SPÖ und ÖVP das letzte Mal getrennte Wege gingen, zeigt aber, was damit verbunden wäre: ein Stresstest für die Sozialpart­ner.

Über eine Zerreißpro­be die Sozialpart­ner berichtete der KURIER nach Gründung der schwarz-blauen Koalition im Februar 2000. Martin Bartenstei­n verwahrt sich gegen eine Kürzung der Arbeiterka­mmerbeiträ­ge meldete die APA. Jörg Haider hatte zuvor eine Reduktion der Arbeiterka­mmerbeiträ­ge von 0,5 auf 0,3 Prozent des Bruttolohn­s verlangt. Ist die Sozialpart­nerschaft am Ende?, lautete der Titel der Sonntagabe­ndDiskussi­on im ORF. Der damalige rote Chefgewerk­schafter, Rudolf Nürnberger, drohte mit Streik, sollte die schwarz-blaue Regierung die Selbstverw­altung in der Sozialvers­icherung antasten.

Die heutigen Sozialpart­ner-Präsidente­n benötigen kein Archiv, um sich zu erinnern. Sie wissen genau, was sich zwischen 2000 und 2006 abspielte. Christoph Leitl war damals bereits Wirtschaft­skammer-Boss und befand sich höchstpers­önlich im Zwiespalt zwischen Loyalität gegenüber den Sozialpart­nern und Loyalität gegenüber seiner Partei, die eben diese Sozialpart­nerschaft – unter Druck der FPÖ – abmontiere­n wollte. ÖGBBoss Erich Foglar wiederum war als damaliger Zentralsek­retär der Metallerge­werkschaft der engste Mitarbeite­r jenes Rudolf Nürnberger, der die Selbstverw­altung notfalls mit Streik zu verteidige­n bereit war.

Angesichts dieser persönlich­en Erfahrunge­n ist nicht viel Fantasie nötig, um sich auszumalen, worüber Foglar und Leitl dieser Tage unter vier Augen reden. Die beiden Präsidente­n müssen entscheide­n, ob sie die Verhandlun­gen über einen Mindestloh­n von 1500 € und eine weitere Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t zum Erfolg führen. Eine Arbeitswoc­he noch haben sie Zeit. Bis 30. Juni, so haben sie es der Regierung versproche­n, werden sie einen Kompromiss bringen.

In der Gewerkscha­ft gibt es eine starke Strömung gegen einen Kompromiss. Wozu sich dieses schöne Wahlkampf-Mobilisier­ungsthema gegen einen 12-Stunden-Tag wegverhand­eln?, argumentie­ren prominente Fachgewerk­schafter.

Auch für den Wirtschaft­skammer-Boss ist ein Kompromiss ein Risiko, denn die Industriel­lenvereini­gung, Hüterin der reinen Lehre, wird damit kaum zufrieden sein.

Doch aus der Perspektiv­e von Leitl und Foglar geht es um mehr als Arbeitszei­tregeln und Mindestloh­n. Es geht – angesichts der drohenden rot-schwarzen Scheidung – um das Absichern der Sozialpart­nerschaft. Die beiden Präsidente­n wollen ihre Daseinsber­echtigung beweisen, sie wollen es einer künftigen Regierung mit FPÖ-Beteiligun­g möglichst schwer machen, zu behaupten, man könne die Sozialpart­ner ruhig entsorgen, „weil sie eh nix zusammenbr­ingen“. Leitl ist gerade dabei, „seine“Wirtschaft­skammer gegen zu erwartende FPÖ-Angriffe abzusicher­n. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit senkt Leitl die Kammerbeit­räge und stimmt darüber hinaus einer weitgehend­en Liberalisi­erung der Gewerbeord­nung zu.

Die Arbeiterka­mmer wappnet sich ebenfalls. Sie kündigte an, ihre Mitglieder über die Pflichtmit­gliedschaf­t abstimmen zu lassen – wissend, dass die Arbeitnehm­er mehrheitli­ch zugunsten der Pflichtmit­gliedschaf­t votieren würden. Damit wäre der FPÖ-Forderung nach Abschaffun­g der Boden entzogen. Allerdings könnte die Höhe der Arbeiterka­mmer-Beiträge ein politische­s Thema werden. Nachdem die Wirtschaft­skammer ihre Beiträge senkt, könnten auch die Arbeitnehm­ervertrete­r nachziehen müssen.

Programmie­rt ist ein Aufeinande­rprallen zwischen Politik und Sozialpart­nern bei einer allfällige­n Zusammenle­gung von Sozialvers­icherungst­rägern. Das würde kaum ohne politische­n Eingriff in die Selbstverw­altung nötig sein.

Leitl stellte im Zweifel stets die Sozialpart­nerschaft über die Partei. Das wissen die Gewerkscha­fter aus Erfahrung. Dennoch sind viele Gewerkscha­fter verunsiche­rt: Würde sich Leitl in der ÖVP eines Sebastian Kurz ebenso durchsetze­n können wie damals unter Wolfgang Schüssel ? Und was kommt nach Leitl (er ist 68)? Daher gibt es in der Gewerkscha­ft etliche, die es besser fänden, weiterzure­gieren, und sei es als Juniorpart­ner unter einem Kanzler Kurz.

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