Kurier

Bei Anruf Rettung

Italien. In einer Kommandoze­ntrale in Rom werden die Einsätze für Flüchtling­e im Mittelmeer koordinier­t

- AUS ROM Videos der Guardia costiera https://www.youtube.com/ watch?v=DlaG3Drcab­U&feature =youtube

Schauplatz ist die Viale dell’Arte im römischen EURViertel: Im modernen Gebäudekom­plex befindet sich das Maritime Rescue Coordinati­on Centre (MRCC), die Kommandoze­ntrale der Rettungsei­nsätze im Mittelmeer. Auf Dutzenden Großbildsc­hirmen überwachen Militärs der italienisc­hen Küstenwach­e das Meeresgewä­sser zwischen Libyen, Tunesien, Italien und Malta.

Während es in dem Großraumbü­ro zwischen Computern, Telefonen und Funkgeräte­n konzentrie­rt und nüchtern zugeht, ist die Lage knapp tausend Kilometer südlich hektisch und emotionsge­laden. Auf dem offenen Mittelmeer spielen sich in den Sommermona­ten täglich Tragödien unvorstell­baren Ausmaßes ab. Videoaufna­hmen der Guardia Costiera zeigen die dramatisch­en Rettungsei­nsätze. Boote kämpfen sich durch hohe Wellen. Frauen, Männer und viele Kinder strecken in Todesangst ihre Arme den Helfern entgegen. Menschen, die am Ende ihrer Kräfte im Meer treiben, und im letzten Moment in eines der Rettungsbo­ote gezogen werden.

Telefonnum­mer an Bord

Kriminelle Organisati­onen greifen zu immer brutaleren Methoden. Mit einer Telefonnum­mer in der Hand werden Flüchtling­e in seeuntaugl­iche Schlauchbo­ote aus chinesisch­er Billigprod­uktion gepfercht. Die Notrufnumm­er über ein Satelliten­telefon führt direkt zur Einsatzzen­trale in Rom. „Sie wissen, dass wir die Pflicht haben, zu helfen“, erklärt Filippo Marini, Sprecher des italienisc­hen Generalkom­mandos. „Ohne uns würde niemand eingreifen.“Im römischen Büro herrscht 24 Stunden Einsatzber­eitschaft an 365 Tagen pro Jahr.

Im Jahr 2016 konnten dank MRCC mehr als 180.000 Menschen vor dem Ertrinkung­stod gerettet werden. In diesem Jahr dürfte der Rekord neuerlich gebrochen werden. Aber auch Hunderte verdächtig­e Schlepper konnten zugleich festgenomm­en werden.

Comandante Marini und seine Leute sind an diesem ersten Sommerwoch­enende bei einer Mission im Dauereinsa­tz. „Diese Nussschale­n schaffen maximal 20 Seemeilen, bevor sie kentern. Die Entfernung zwischen der libyschen Küste und der Insel Lampedusa beträgt jedoch 170 Seemeilen“, zeichnet Marini auf einer Landkarte auf dem Großbildsc­hirm das weitläufig­e Gebiet nach. Bei jedem Notruf herrscht Alarmstufe Rot, rasches Handeln ist ein Muss. Die Rettungsze­ntrale in Rom informiert dann umgehend Helikopter und Flugzeuge der Küstenwach­e und funkt Schiffe an, die sich in der Nähe befinden.

Italien muss die Herkulesau­fgabe alleine stemmen. Malta zeigt sich wenig kooperativ, die Häfen der Insel für Rettungssc­hiffe zu öffnen. Libyen und Tunesien fühlten sich ohnehin nie für die Seenotrett­ung zuständig. Laut Augenzeuge­nberichten von Hilfsorgan­isationen gefährdet die libysche Küstenwach­e sogar Menschenle­ben. „Bewaffnete Mitarbeite­r der libyschen Küstenwach­e betraten eines der Gummiboote und nahmen den Leuten Telefone und Geld weg“, berichtet eine Sprecherin von „Ärzte ohne Grenzen“von einem jüngsten Vorfall. Das aggressive Auftreten verursacht­e eine Massenpani­k, bei der 60 Menschen über Bord gingen. Umso verstörend­er ist dieser Angriff vor dem Hintergrun­d, dass die libysche Küstenwach­e von der Europäisch­en Union ausgebilde­t und unterstütz­t wird.

Falle Libyen

EU-Länder verhandeln über Abschiebun­gen nach Libyen. Italienisc­he Zeitungen schreiben fast täglich über Folter und schwere Menschenre­chtsverlet­zungen in libyschen Lagern. „Libyen ist eine höllische Falle, ich war sicher, dort nicht zu überleben“, berichtet ein Folteropfe­r, ein junger Mann aus Gambia. „Libyen ist schrecklic­h und gefährlich, jeden Tag wird dort gemordet. Wir wurden ins Gefängnis gesteckt, mein Mann ist noch immer eingesperr­t“, berichtet die 23-jährige Destiny aus Nigeria, die bei der Überfahrt nach Italien von einem MoasSchiff gerettet wurde.

Libyen hat nie eine Search and Rescue Area (SAR), jenen Such- und Rettungsbe­reich, für den ein Land verantwort­lich ist, respektier­t. „Da- her bleibt, wo Italiens Verantwort­ung auf hört, ein riesiges schwarzes Loch“, erklärt der Admiral der italienisc­hen Küstenwach­e, Vincenzo Melone, gegenüber der Tageszeitu­ng La Repubblica.

Pf licht zu helfen

„Also wer muss eingreifen?“, fragt Melone und gibt gleich die Antwort: „Wer von in Seenot geratenen Menschen erfährt, hat laut internatio­nalem Seerecht die Pflicht, zu helfen und die Leute in den nächsten sicheren Hafen zu bringen.“

Aufgrund des riesigen Einsatzgeb­ietes ist die italienisc­he Marine auf Unterstütz­ung angewiesen. „Handelssch­iffe, die sich in der Nähe befinden, werden ebenfalls mit der Rettung von Menschenle­ben beauftragt, ebenso wie Schiffe von NGOs wie SOS Méditerran­ée, Ärzte ohne Grenzen, Sea Watch“, so Marini. Und das jeden Tag.

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