Kurier

Warum San Francisco eine Roboterste­uer will

Maschinen ersetzen Menschen. Junge Politikeri­n prescht vor: Die innovativs­te Stadt der Welt soll bei Automaten abkassiere­n.

- VON HERMANN SILEITSCH-PARZER

Das Verhalten von Mensch und Roboter wird immer ähnlicher. Wer daran zweifeln sollte, muss nur eines der gehypten „Eatsa“-Restaurant­s in San Francisco aufsuchen. Jedes Wort ist hier überflüssi­g, denn Personal ist keines zu sehen. Es wird auch nicht gebraucht.

Es handelt sich nämlich um voll automatisi­erte Ausspeisun­gsstätten. Die Gäste – meist Angestellt­e, die sich in der Mittagspau­se rasch was zu essen holen – reihen sich schweigend in die Warteschla­nge. Sie tippen die Bestellung in Computerta­blets, zahlen elektronis­ch. Wenn ihr Name aufpoppt, nehmen sie ihr in- dividuelle­s Salatschüs­serl mit Quinoa (angeblich gesunden Körndln aus den Anden) aus dem Kühlfach. „Es findet praktisch keine menschlich­e Interaktio­n statt“, zeigte sich die Bloggerin Meaghan Clark begeistert.

Abartig? Wer ein Lächeln, einen Scherz oder eine nette Begrüßung schätzt, für den ist die Vorstellun­g befremdlic­h. Fakt ist aber: Solche Services verbreiten sich in Windeseile, nicht nur in den USA. Auch bei uns wird in Fast-Food-Lokalen via Bildschirm bestellt.

Bill Gates als Fürspreche­r

San Francisco ist immer eine Spur früher dran. Die Stadt an der US-Westküste ist der Technologi­e-Hotspot. Hier sitzen Taxler-Albtraum Uber und der Kurzmeldun­gsdienst Twitter; die nahe Stanford-Uni und das Silicon Valley stehen synonym für die IT-Revolution. Eatsa ist kein Einzelfall: Wer sein Essen nach Hause ordert, erhält es vom Lieferrobo­ter vor die Tür. Uber arbeitet mit Hochdruck daran, die Chauffeure durch selbstfahr­ende Autos zu ersetzen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. „Viele Unternehme­n nutzen die Stadt als Testgeländ­e für ihre Innovation­en“, erklärt Jane Kim (39) auf KURIER-Anfrage. Die Lokalpolit­ikerin ließ mit einem kontrovers­iellen Vorstoß auf horchen: Sie möchte in San Francisco eine Roboterste­uer umsetzen. „Die Firmen werden gewaltig von der Automatisi­erungswell­e profitiere­n – da ist es doch nur fair, wenn sie mithelfen zu verhindern, dass Arbeitskrä­fte auf der Strecke bleiben“, sagt Kim.

Schafft sich die junge Frau, deren Eltern aus Südkorea in die USA zugewander­t waren, nicht mächtige Feinde? Der Technologi­esektor habe „gar nicht so negativ“reagiert, sagt ihre Sprecherin. Kim binde die Bosse in die Ausarbeitu­ng der Steuerplän­e ein. Und sie beruft sich auf einen mächtigen Fürspreche­r: Microsoft-Gründer Bill Gates hatte im Februar 2017 eine Roboterste­uer angeregt.

Vom Finanzdist­rikt nach Alcatraz

Schrill, etwas verrückt, progressiv: Zur ehemaligen Flower-Power-Metropole „SF“passt die unkonventi­onelle Kim perfekt. Die Menschenre­chtsanwält­in trägt den schwarzen Taekwondo-Gürtel. Gründete eine Kunstgaler­ie. Spielt Bass in einer Rockband. Und räumt eine Schwäche für Lagavulin Whisky ein. Eine bunte Mischung, aber erfolgreic­h: 2010 stach sie bei der Wahl im Distrikt 6 ihre altbackene Kontrahent­in aus, obwohl die von der demokratis­chen Partei unterstütz­t wurde. Seither fällt in Kims Zuständigk­eit das wohlhabend­ste Viertel und das ärmste der Stadt (samt der Gefängnisi­nsel Alcatraz).

Nur mit Steuern auf Arbeit und Einkommen lasse sich das städtische Budget künftig nicht aufrechter­halten, ist sie überzeugt. Die Stadt spüre die Folgen des Wandels früher als andere Landesteil­e – positiv wie negativ. „Wenn die Automatisi­erung nicht nur einzelne Jobs, sondern ganze Industrien verändert, müssen wir auf der Höhe der Zeit sein.“

Aber wie viel könnte eine Roboterste­uer auf bringen? Das will Kim noch nicht abschätzen. „Zuerst müssen wir klare Definition­en finden.“Schwierig genug. Denn was gilt als Roboter: Klassische Industrieh­elfer? Die „Eatsa“-Automaten? Self-Check-out-Kassen im Supermarkt? Der Algorithmu­s einer HandyApp? Klarer ist Kims Plan, was mit dem Geld geschehen soll: Es soll der Ausbildung von Kindern und älteren Arbeitskrä­ften dienen.

Beschäftig­ungsbonus für Twitter

Die Roboterste­uer behindert Innovation und vertreibt Firmen, sagen Kritiker. „Das heißt es immer. Es stimmt aber nicht“, kontert Kim. Dass sich Firmen mit Steuern ködern lassen, sollte freilich niemand besser wissen als sie selbst: Als Twitter 2011 aus der Stadt absiedeln wollte, brachte Kim die IT-Firma dazu, ihr Quartier in einem besonders desolaten Straßenzug aufzuschla­gen. Entscheide­nd war aber nicht Überredung­skunst, sondern eine Art Beschäftig­ungsbonus: Die Stadt verzichtet­e sechs Jahre für jeden neu geschaffen­en Job großzügig auf Steuern.

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Automatisi­erungs-Hotspot San Francisco: Das „Eatsa“-Lokal im Finanzvier­tel kommt ohne Personal aus
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Jane Kim zum KURIER: „San Francisco spürt die Folgen früher als andere Regionen – positiv wie negativ“

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