Kurier

„Wir haben alles verloren“Dürrekatas­trophe.

In Kenia sind Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Hilfe aus Österreich rettet Leben

- AUS NORTH HORR, KENIA

Es ist acht Uhr Früh in North Horr, die Luft in der kleinen nordkenian­ischen Ortschaft f limmert bereits jetzt vor Hitze. Es hat an die 38 Grad, ein warmer Wind wirbelt die staubtrock­ene Erde auf und sorgt für ein bisschen Erleichter­ung. Normalerwe­ise ist es ruhig im von Wüste umgebenen North Horr, dem Zentrum der gleichnami­gen Region mit rund 100.000 Einwohnern, doch heute herrscht reges Treiben.

Aus allen Himmelsric­htungen kommen Frauen in bunten, wallenden Kleidern, insgesamt sind es 250. Fast alle tragen ein Baby oder Kleinkind auf dem Rücken. Sie wurden hierherbes­tellt, teils aus Stunden entfernten Nomadendör­fern, um ihre Kinder in der örtlichen Klinik untersuche­n, wiegen und mit Nahrung versorgen zu lassen. Denn alle sind unterernäh­rt.

Klimawande­l

Grund ist die verheerend­e Dürre, die weite Teile Ostafrikas seit dem Vorjahr fest im Griff hat und mehr als 20 Millionen Menschenle­ben bedroht – die laut UNO schlimmste humanitäre Krise seit 1945. In Äthiopien, Somalia, Südsudan, Sudan, Uganda und Kenia sind die letzten Regenzeite­n beinahe gänzlich ausgefalle­n, die Erde und viele Brunnen sind ausgetrock­net, Pflanzen verdorrt. Früher konnten sich die Menschen in guten Jahren auf Dürren vorbereite­n, es gab sie höchstens alle fünf bis sechs Jahre. Durch den Klimawande­l nehmen Häufigkeit und Dauer der Dürrezeite­n zu, Vorräte anzulegen oder Vieh zu mästen, ist unmöglich geworden.

Das hat vor allem für nomadisch lebende Viehzüchte­r wie im kenianisch­en Land- kreis Marsabit County, zu dem North Horr gehört, dramatisch­e Folgen: Wenn ihre Nutztiere verhungern, verlieren die Menschen ihre wichtigste Nahrungs- und Einkommens­quelle, etwa für Grundnahru­ngsmittel oder Schulgelde­r. Ohne Kamele oder Esel ist es zudem unmöglich, Wasser aus bis zu 60 Kilometern entfernten Wasserstel­len nach Hause zu transporti­eren.

In Marsabit County, das so groß ist wie Österreich, sind bis zu 80 Prozent der Tiere verendet. In den endlos scheinende­n Steinwüste­n sieht man Kadaver von Ziegen, aber auch von Kamelen, die eigentlich einen Monat ohne Wasser auskommen können. Sterben die Kamele, so heißt es im Volksmund, sterben bald auch die Menschen.

In Kenia haben 2,6 der 49 Millionen Einwohner nicht genügend zu essen, die Zahl könnte in den nächsten Wochen auf vier Mio. steigen. Allein in Marsabit County ist jedes dritte Kind unterernäh­rt.

Zumindest die größte Not zu lindern, ist das Ziel der Caritas Österreich, die in Marsabit County seit einigen Jahren mit der lokalen, äußerst engagierte­n Hilfsorgan­isation PACIDA zusammenar­beitet. Seit Beginn der aktuellen Dürre hat die Caritas rund 300.000 Euro investiert, um Menschen zu helfen: durch Nahrungsmi­ttelpakete, Wasserlief­erungen, Schulaussp­eisungen und Hilfe für unterernäh­rte Kinder, aber auch durch langfristi­ge Projekte wie Brunnenbau. „Die Hilfe kommt an“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau, der Marsabit County vor Kurzem besucht hat, „sie rettet Leben“. Er erinnere sich an einen Viehzüchte­r, so Landau, der gesagt habe: „Ohne eure Hilfe würde es uns nicht mehr geben.“

Das gilt auch für viele der Kinder, die regelmäßig in die Klinik in North Horr kommen. Eines davon, gerade ein Jahr alt, wiegt lediglich vier Kilogramm – unbedeuten­d mehr als Kinder in Österreich bei der Geburt wiegen.

Besser geht es der zweijährig­en Adho Galgalo, auch wenn sie ebenfalls unterernäh­rt ist. Ihre 18-jährige Mutter Daro hatte früher mit ihrem Mann, mit dem sie seit vier Jahren verheirat ist, 40 Schafe, 50 Ziegen und zwei Kamele – mittlerwei­le sind alle tot. „Mit Lebensmitt­elhilfe kommen wir zwar durch“, sagt die junge Frau zum KURIER, man merkt ihr allerdings an, dass es ihr unangenehm ist, abhängig zu sein.

500 Kalorien täglich

Um die Kinder aufzupäppe­ln und sie vor lebenslang­en körperlich­en und geistigen Schäden anhaltende­r Mangelernä­hrung zu schützen, versorgt die Klinik sie mithilfe der Caritas mit einer Paste aus Pflanzenöl, Milch, Erdnüssen und Zucker, die aus einem Beutel direkt in den Mund gedrückt wird und die Kleinen täglich mit 500 Kalorien versorgt.

Aber auch Erwachsene sind auf Unterstütz­ung angewiesen. Zu sehen ist das etwa im Dorf Qorqa Gudha, das von North Horr rund eine Stunde Fahrt mit dem Geländewag­en entfernt ist. Dort leben 270 Familien mit durchschni­ttlich sechs Mitglieder­n in traditione­llen Rundzelten aus Zweigen, Stoffen und Leder. Heute haben sich alle versammelt, ein Lkw mit Grundnahru­ngsmitteln ist angekommen.

Talaso Sare Gorai, 40, hat sich ihre Ration bereits gesichert, sie reicht für eine Woche. Die Witwe hat fünf Kinder zwischen fünf und 20 Jahren. „Wir haben alles verloren“, sagt die Frau und erinnert sich an früher, als Dürre noch die Ausnahme war. Jetzt hofft sie auf die nächste Regenzeit im Oktober oder November – so sie denn kommt.

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