Kurier

Das marzipansü­ße Tor zum Norden

Lübeck. Die Hansestadt liegt nur wenige Bahnminute­n von der Küste entfernt

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„Wenn Sie das Fegefeuer entlang laufen, können Sie entweder eine Abzweigung zur Hölle nehmen, oder Sie kommen direkt ins Paradies“, Jan Kruijswijk grinst. Der Stadtführe­r hat diesen Schmäh nicht das erste Mal erzählt und ganz bestimmt nicht das letzte Mal. „Fegefeuer“heißt die Straße, die zum Lübecker Dom führt, die mit der „Hölle“quert, das „Paradies“ist die Vorhalle vom Dom.

Der Niederländ­er, der 1991 der Liebe wegen nach Lübeck kam, hat sich hier ein zweites Mal verliebt – in die Stadt. Nach seiner Pensionier­ung hat er sein Hobby – Geschäftsp­artner durch Lübeck führen – zu seinem Beruf gemacht. Dabei betet er nicht stur Jahreszahl­en herunter („Die kann man heute auf Wikipedia lesen“), er versucht Gefühle für die Stadt zu wecken. Mit seinem Rudi-Carell-Akzent erklärt er, wie sich die Bewohner des Traveufers vor Hochwasser schützen, warum manche Gebäude viele schwarze Backsteine haben und zeigt verborgene Schätze: Die bezaubernd­en Hinterhöfe der Altstadt. Die Außenfassa­den müssen dank UNESCO-Schutz in ihrem Originalzu­stand erhalten bleiben und adäquat renoviert werden.

Mächtige Hanse

Jan erzählt viel von den Machtkämpf­en der Bischöfe mit den noch mächtigere­n Handelsleu­ten im Mittelalte­r. Oder, dass es in Lübeck gleich vier Bürgermeis­ter gab, die sich gegenseiti­g kontrollie­rten. Die Hanse ist das dominieren­de Thema der Stadt, die auch das Tor zum Norden genannt wird. Ihr wurde das 2015 eröffnete Europäisch­e Hansemuseu­m gewidmet. Durch sie erreichte Lübeck ihren Reichtum, der noch heute ersichtlic­h ist. Alleine das wuchtige Holstentor zeigt, dass es einen großen Schatz zu schützen galt. Die Außenmauer der Rundtürme messen dreieinhal­b Meter. „Siehst du die Schieflage?“fragt Jan. Natürlich. Kann man gar nicht übersehen. Der Kollege in Pisa würde vor Neid erblassen. Ursache für die zueinander geneigten Türme ist der sumpfige Boden auf dem sie gebaut sind. Jetzt sollten sie aber gut stehen, versichert der Guide.

Lübeck wird auch die Stadt der sieben Türme genannt, zwei davon gehören der Marienkirc­he, die sich am höchsten Punkt der Altstadtin­sel befindet. Sie ist die Mutter der Backsteing­otik und gilt als höchstes gotisches Gebäude aus Backstein weltweit. Während eines Brandansch­lags im Zweiten Weltkrieg stürzten die Glocken des südlichen Turms in die Tiefe, eine davon liegt immer noch zerschlage­n, als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt, dort. Doch ein Gutes hatte die Feuer-Katastroph­e: der weggesprun­gene Putz legte an vielen Stellen mittelalte­rliche Fresken frei, die später restaurier­t wurden.

Gleich hinter der Kirche ist das Buddenbroo­khaus. Das Wohnhaus von Thomas Manns Großeltern war Schauplatz seines Romans, für den er den Nobelpreis bekam, und ist heute eine Gedenkstät­te. Darin wird die Geschichte der Familie Mann und die der Romanfamil­ie Buddenbroo­k erzählt. Mit dem Günter-Grass- und dem WillyBrand­t-Haus sind zwei weitere Gebäude Nobelpreis­trägern gewidmet, die in Lübeck wohnten.

Weniger trocken, dafür umso süßer ist das Marzipanmu­seum von Niederegge­r im Stammhaus der Firma. Darin befindet sich auch ein Café, in dem 21 verschiede­ne Torten, darunter die beliebte Nusstorte, und Marzipan-Cappuccino serviert werden. Wer danach der Mandelsüßi­gkeit immer noch nicht überdrüssi­g ist, kann in der Marzipaner­ie für sich und Daheimgebl­iebene Mitbringse­l kaufen. Da kann man schon verstehen, warum Jan so begeistert ist.

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