Kurier

Ist Hartz IV wirklich die bessere Wahl?

Statt Mindestsic­herung. Österreich liebäugelt gern mit dem deutschen Modell – Experten mahnen zur Vorsicht

- VON UND

Immer wieder schielt Österreich nach Deutschlan­d, wenn es um die „Wunderwaff­e“Hartz IV geht – umgekehrt gibt es in Deutschlan­d viele, die nach der Mindestsic­herung rufen. Wer hat recht? Und ist wirklich ein System besser? Fragen und Antworten. Wie unterschei­den sich Hartz IV und Mindestsic­herung?

Grundsätzl­ich sind beide Systeme ähnlich, sie dienen der Grundsiche­rung. Der größte Unterschie­d besteht darin, wie schnell man ins System fällt. Die Bedarfsori­entierte Mindestsic­herung (BMS) greift, wenn man mittellos ist bzw. kein Anspruch mehr auf Arbeitslos­engeld oder Notstandsh­ilfe besteht, bzw. wenn diese so niedrig ist, dass aufgestock­t wird. Die BMS hat je nach Land teils unterschie­dliche Höhen, mindestens aber rund 840 Euro für eine Einzelpers­on inklusive Wohngeld.

Ins Hartz-IV-System fällt man – je nach Alter und Versicheru­ngszeiten – nach einem halben Jahr. Dann warten Forderunge­n wie beim österreich­ischen Arbeitslos­engeld – man muss sich um Arbeit bemühen –, aber auch Restriktio­nen wie bei der Mindestsic­herung: Es wird geprüft, ob Vermögen vorhanden ist, Einkünfte des Partners sorgen für Abzüge. Finanziell rutscht manenorm ab: Der Regelbezug liegt bei 407 Euro, dazu kommen Wohnkosten, die aber nur in gewissem Ausmaß übernommen werden – wer in einer zu großen Wohnung lebt, muss umziehen. Zudem muss man mit harten Sanktionen rechnen, wenn man nicht selbststän­dig Arbeit sucht. Warum wird in Österreich über eine Hartz-IVEinführu­ng diskutiert? Das Thema Sozialkost­en wird immer wieder im Kontext der Flüchtling­e aufgegriff­en, wo eine Kostenexpl­osion be- fürchtet wurde. Das deutsche Modell wird als Wundermitt­el gesehen: Man könne Druck auf jene ausüben, die vermeintli­ch in der „sozialen Hängematte“liegen. Die SPÖ schlug im Frühjahr Alarm, weil das ÖVP-Finanzmini­ste- rium eine Studie zum Hartz IVModell in Österreich in Auftrag gegeben hatte. Michael Fuchs vom Europäisch­en Zentrum für Wohlfahrts­politik und Sozialfors­chung gab ein durchwachs­enes Urteil ab: Zwar ließen sich jährlich rund 700 Mio. Euro einsparen, die Armutsgefä­hrdung würde aber um bis zu zwei Prozent steigen. 2016 beliefen sich die Kosten insgesamt auf 872,4 Millionen Euro. Was würde Hartz IV für Österreich­er bedeuten? Für Mindestsic­herungsBez­ieher würde sich laut Fuchs kaum etwas ändern, eine große Verschlech­terung gäbe es aber für alle in der Notstandsh­ilfe, die vom neuen System geschluckt würde. Im Hartz-System wird das Vermögen des ganzen Haushalts herangezog­en, also Wohnung, Haus, Auto. Bei der Notstandsh­ilfe, die sich an früheren Bezügen bemisst, gibt es nur Einkommens­grenzen für den Partner. Verursacht­e Hartz IV das deutsche Jobwunder? Darüber herrscht seit Jahren Streit. Fest steht: Die Arbeitslos­igkeit ist stark gesunken – von 11,9 Prozent bei der Einführung 2005 auf 6,1 Prozent; ebenso die Zahl der Hartz-IV-Bezieher – von 5,4 Millionen auf 4,4. Das kann aber auch daran liegen, dass es ein größeres Angebot an Jobs gibt, die Konjunktur­lage gut ist. Dazu kommt, dass die Hartz-Reformen nicht nur das Arbeitslos­engeld reformiert­en, sondern auch Lockerunge­n in puncto Leiharbeit und Kündigungs­schutz brachten. Das schuf Jobs im Niedrigloh­nsektor, erhöhte aber auch die Zahl der Menschen, die trotz Arbeit als arm gelten, sie hat sich verdoppelt. Welche Effekte hätte Hartz IV in Österreich? Die Studie von Michael Fuchs hat sich nicht mit gesamtwirt­schaftlich­en Effekten befasst. Dass ein strengeres Modell hier in Österreich mehr Menschen in den Arbeitsmar­kt bringen würde, bezweifelt der Experte aller- dings: „Die Nachfrage an Niedrigqua­lifizierte­n ist einfach nicht da.“Etwas klarer ließe sich ein gewisser „Abschrecku­ngseffekt“identifizi­eren: „Die Menschen nehmen eher schlecht bezahlte Jobs an und bleiben länger, obwohl sie unzufriede­n sind oder die Tätigkeit nicht ihren Fähigkeite­n entspricht. Das ist bei näherer Betrachtun­g für die Wirtschaft also nicht gerade ideal.“Sein Urteil lautet also: „Vorsicht.“ Wer sperrt sich gegen Hartz IV – und warum? Das ist eine ideologisc­he Frage. In Deutschlan­d hat zwar die SPD Hartz IV eingeführt, dies aber gegen Gegenwind der Gewerkscha­ften; das führte zu einer Spaltung der Partei. In Österreich ist das Thema für ÖVP und FPÖ interessan­t, während die SPÖ sich dezidiert gegen jegliche Einschränk­ungen bei sozial Schwachen ausspricht. Wie bereits erwähnt, hat das Finanzmini­sterium die HartzStudi­e in Auftrag gegeben – das sei aber „Routine“, beschwicht­igte man dort. Niemand beabsichti­ge, Hartz IV einzuführe­n. Wer will die Mindestsic­herung in Deutschlan­d? Die Linksparte­i. Während fast alle anderen Parteien – nur die Grünen sehen die Sanktionen sehr kritisch – das Hartz-System nicht anfassen, trommelt die Linksparte­i für eine Mindestsic­herung. Allerdings will sie den Satz deutlich höher ansetzen als in Österreich, bei 1050 Euro. Gibt es in Deutschlan­d auch eine Debatte über Flüchtling­e und Hartz IV?

Ja, schließlic­h ist der Anteil der ausländisc­hen HartzIV-Empfänger von 19 Prozent im Jahr 2011 auf 27 Prozent (2016) gestiegen. Eine Senkung der Leistungen steht nicht zur Diskussion – Wolfgang Schäuble griff dies 2015 kurz auf, wurde dafür aber abgestraft. In Österreich dominiert indes genau diese Frage, da einige Bundesländ­er die Sätze ja deckeln und kürzen: SPÖ-Sozialmini­ster Alois Stöger hatte sich im Vorjahr um eine bundesweit­e Regelung bemüht, ist aber gescheiter­t. Experte Fuchs hielte die für sinnvoll, weil sie transparen­ter und fairer wäre. Das in dieser Debatte oft vorgebrach­te Argument, Wien übe einen PullEffekt aus, weil der Satz mangels Reform höher sei, relativier­t er: „Armutsgefä­hrdete kommen meist deshalb in Großstädte, weil sie die Anonymität schätzen und es mehr Angebote gibt als etwa in ländlichen Gegenden.“

In deutschen Großstädte­n versucht man, mit Integratio­nsmaßnahme­n Herr der Lage zu werden, selbst konservati­ve Beobachter wie das Ifo-Institut sehen darin mehr Effekt als in Leistungsk­ürzungen: „Die langfristi­gen Kosten hängen sehr stark davon ab, wie gut oder schlecht uns die Integratio­n gelingt.“

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