Kurier

Provokatio­n. „Angriff Nordkoreas sehr unwahrsche­inlich“

Nordkorea-Experte Rüdiger Frank über Hintergrün­de des jüngsten Raketentes­ts

- VON

Die Reaktion aus Washington fiel diesmal moderat aus. Nachdem Präsident Trump beim letzten Raketensta­rt vor wenigen Wochen mit „Feuer und Wut“gedroht hatte, kanzelte er das Regime in Pjöngjang diesmal nur ab, sprach von „Verachtung für Mindeststa­ndards an Verhalten“, was „nur die Isolation Nordkoreas erhöhen“würde – und fügte zuletzt einen leidlich bekannten Stehsatz hinzu: „Alle Optionen sind auf dem Tisch.“

Wie schon viele seiner Vorgänger im Weißen Haus wirkt Trump im Umgang mit dem Kim-Regime zunehmend ratlos. Zwar hat man China erfolgreic­h zu härteren Sanktionen gegen den Nachbarn gedrängt und spart ebenfalls nicht mit militärisc­hen Drohgebärd­en (zur Zeit finden Militärman­över der USA und Südkoreas vor der Küste Nordkoreas statt), doch die Wirkung bleibt offensicht­lich aus. Diesmal überflog eine Langstreck­enrakete Japan – das erste Mal seit 2009 – und das ohne jede Vorwarnung aus Nordkorea. Chinas Regierung jedenfalls sieht einen „Wendepunkt“in dem Konflikt er- reicht: Druck und Sanktionen hätten nicht geholfen, man müsse an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­en.

Was aber ist tatsächlic­h das Ziel von Kim Jong-un? Der KURIER sprach dazu mit dem internatio­nal renommiert­en Nordkorea-Experten Rüdiger Frank von der Universitä­t Wien. KURIER: Was bezweckt Nordkoreas mit dem Raketensta­rt? Rüdiger Frank: Kurzfristi­g geht es um eine Reaktion auf die Militärman­över der USA und Südkoreas. Langfristi­g will Nordkorea einsatzfäh­ige Atomwaffen entwickeln, um eine glaubhafte Abschrecku­ng gegen ein Eingreifen des Westens zu haben. In Pjöngjang denkt man, dass manerst nach einer solchen Sicherung eine stabile Wirtschaft­sentwicklu­ng erreichen kann. Irgendwann will Kim Jong-un dann auch die koreanisch­e Wiedervere­inigung – und zwar nach den eigenen Regeln, zumindest aber nicht im Sinne einer feindliche­n Übernahme durch den Sü

den. Wie hoch bewerten Sie die Wahrschein­lichkeit einer militärisc­hen Aggression Nordkoreas gegen ein Nachbarlan­d? Solange Nordkorea nicht angegriffe­n wird, halte ich eine militärisc­he Aggression Nordkoreas für sehr unwahrsche­inlich. Weder das Regime noch das Land würden den Gegenschla­g überleben, und das wissen sie auch. In letzter Zeit gab es Berichte über Nah- rungsmitte­lknappheit und eine neue Hungersnot in Nordkorea. Wie ist die Versorgung­slage?

Das Leben in Nordkorea ist für viele sehr hart. Mangelernä­hrung ist ein bekanntes Problem, Hunger allerdings seit Jahren nicht mehr. Aus Sicht der Regierung besonders problemati­sch ist die in den letzten Jahren gewachsene und im Alltag deutlich sichtbare Ungleichhe­it; dem neuen Mittelstan­d, das sind drei bis vier Millionen Menschen, geht es ziemlich gut. China hat kürzlich seine wirtschaft­lichen Sanktionen gegen Nordkorea verschärft. Wie schmerzhaf­t sind diese?

Sie sind schmerzhaf­t, da sie nicht nur Waffen, sondern den gesamten Handel betreffen. Anderersei­ts traut Nordkorea den Chinesen nicht und hat seit Jahrzehnte­n versucht, eine möglichst unabhängig­e Wirtschaft aufzubauen. Das ist nicht vollständi­g gelungen, aber die Sanktionen wirken trotzdem nicht so, wie sich der Westen das wünscht. Und schließlic­h hat China zum jetzigen Zeitpunkt kein Interesse an einem Kollaps Nordkoreas. Das Resultat wäre eine Ausweitung des US-Einflusses in der Region, und gerade den versucht China ja gerade einzudämme­n. Pjöngjang weiß das sehr genau. Wie bewerten Sie die derzeitige politische Strategie des Regimes, innen- und außenpolit­isch? Wie stabil ist es?

Kim Jong-un hat den vorsichtig­en Reformkurs seines Vaters fortgesetz­t, ihn aber nicht wesentlich beschleuni­gt. Er betont, dass man die Wirtschaft und die Atomwaffen parallel entwickeln will. De facto will Kim aber zuerst militärisc­he Sicherheit, bevor er weiter mit dem Markt experiment­iert. Innenpolit­isch ist das Regime unter Druck, da die Menschen unter den Sanktionen und den hohen Militäraus­gaben leiden.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria