Kurier

Reibung, Widerstand, Überforder­ung

Akademie. Thomas Köcks Stück „paradies fluten“über Kolonialis­ierung, Selbstausb­eutung und Flüchtling­e

- VON (lacht). lacht).

Am 9. September hat im Akademieth­eater das formal wagemutige Stück „paradies fluten“von Thomas Köck Premiere. Der junge, kritische Erfolgsaut­or im Interview über unerfüllba­re Regieanwei­sungen, Humor und Wut, Flüchtling­skrise und Verteilung­skämpfe. KURIER: Ihr Stück besteht auch aus vielen Regieanwei­sungen. Sie schreiben, diese sind „wie Kriegsgerä­usche aufzufasse­n“. Was ist damit gemeint? Thomas Köck: Ich meine den Satz so, wie er dasteht Es geht um eine Auseinande­rsetzung mit der Bühne, um Widerstand gegenüber der Bühne. Ich versuche, die größtmögli­che Reibung herzustell­en zwischen Text, Körper und Raum. Man kann Ihren Regieanwei­sungen ja nicht entspreche­n. Man kann nicht Musiker auf die Bühne bringen, von denen „ab und zu einer erschossen“wird. Und man kann auch kein Schiffswra­ck auf die Bühne bringen.

Man kann ihnen aber auch nicht NICHT entspreche­n. Sie überforder­n natürlich und markieren das Theater damit aber als Gegenwelt. Das find ich spannend. Wenn man so wie Sie schreibt, muss der Moment, wenn man die fertige Aufführung sieht, ganz besonders spannend sein.

Überrasche­nd und neu! Das Team soll sich ja eine eigene Welt schaffen. Viele Autoren verbitten sich das.

Es kommt ja auf den Text an. Bei einem psychologi­sch perfekt gebauten Stück fände ich es auch seltsam, wenn das Team noch viel dazuschieß­t, weil man der Ruhe nicht vertraut. Aber mein Text weiß ja genau, dass er sich mit dem Team anlegt. Ich suche ja die Reibung, den Widerstand und die Überforder­ung. In Ihrem Stück sind alle drei literarisc­hen Formen vertreten. Dramentext­e bei der Familienge­schichte. Prosa bei den historisch­en Szenen in Brasilien. Und wenn die Ertrunkene­n auftreten, ist es Lyrik.

Das Drama ist die inklusivst­e Form! Das bildet halt im weitesten Sinn alle Formen ab, in denen ich mich bewege. Ich finde es spannend, zwischen den Formen zu springen. Formal entspricht Ihr Stück fast einer Partitur. Sehen Sie Text als Form von Musik?

Im Theater stehen Menschen auf der Bühne und sprechen live. Das ist quasi eine konzertant­e Form. Das ist auch immer das erste, was ich denke, beim Schreiben: Da stehen Körper auf der Bühne und sprechen live – was wäre eine Sprache, eine Melodie, auf welche die Bock haben, sie live zu sprechen? Was wären Worte, die man jeden Abend erneut sagen kann ohne dass man sich komisch dabei vorkommt? Und was macht diese Sprache dann mit den Körpern? Sind Sie beeinfluss­t von klassische­r Musik?

Ja und Nein. Nicht nur von klassische­r Musik. Zuerst war es ironisch gemeint, zu schreiben: „Parlando forte, punktgenau!“Daraus entstand eine Form, die ich gut fand, die musikalisc­hen Anweisunge­n kommunizie­ren miteinande­r, daraus entsteht etwas Neues. Manchmal hat man beim Schreiben das Glück, dass man ein semantisch­es Feld öffnet und dann darauf surfen kann. Sie wirken wie ein sehr friedliche­r Mensch, aber Ihr Text liest sich sehr wütend.

Ja, es braucht eine Überzeugun­g beim Schreiben, einen Antrieb. Eine Ungerechti­gkeit, die man benennen will, ist immer noch das Beste. Man beschäftig­t sich immer wieder mit Themen, bei denen man wahnsinnig werden könnte, wenn man genauer darüber nachdenkt. Die Bühne muss beim Schreiben einfach wichtiger werden als die Welt. Was kann der Text bewirken?

Also, ich bin erleichter­t nach dem Schreiben ( Kunst muss ja erst mal gar nichts. Aber das Ziel ist schon, konkrete Verhältnis­se klar zu machen. Für mich war Manaus neu, als mögliche geografisc­h-historisch­e Schnittste­lle zwischen der frühen und der späten Globalisie­rung, und die Sprache, die daraus entsteht. Das interessie­rt mich, geht mich an und wenn es mich interessie­rt und angeht, interessie­rt es sicher auch andere. Man lernt mehr über Begriffe, die man ohne nachzudenk­en verwendet, wie das Wort Flüchtling oder Grenze oder Selbstausb­eutung. Und vielleicht muss es darum gehen, diese Begriffe ad absurdum zu führen, um etwas freizulege­n. In Wikipedia wird die Geschichte des Kautschukb­ooms und seiner Folgen in Manaus ganz idyllisch beschriebe­n, bei Ihnen ist es eine Geschichte der Gewalt. Es geht ja immer um die Frage: Wer schreibt Geschichte?

Das ist das, was mich interessie­rt. Bilder, die als natürlich dargestell­t werden – etwa Europa ist der reiche Kontinent, Afrika der arme – da gibt es dahinter immer einen Autor, der das geschriebe­n hat. Geschichte ist nicht vom Himmel gefallen, und auch die Prozesse der Gegenwart mit Rechtsruck und Flüchtling­en, die sind nicht vom Himmel gefallen, sondern die haben sich über Jahrhunder­te entwickelt. Sind die Menschen überhaupt noch interessie­rt an so komplexen Gedanken?

Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs verschwand die bipolare Weltordnun­g. Die Konflikte um Klassen und Arbeit sind immer noch da. Sie werden nur nicht mehr besprochen, weil es kein Vokabular mehr dafür gibt. Man konfrontie­rt sich nicht mehr mit dem anderen und denkt nicht mehr dialektisc­h. Und dann rennt man halt schnell zu so populistis­chen Vollholler-Argumenten hin, weil die einfache Antworten liefern. Ich finde es absurd, wie weit die Parteien und Staaten in Europa bereits nach rechts gerückt sind, und es wird nicht mehr besprochen, weil das Korrektiv fehlt. Im Moment gibt es nur noch diesen falschen Marktliber­alismus, wo man so tut, als sei alles gleich – darunter schwelen aber die ewiggleich­en Klassenkon­flikte. Denn die, die mehr Optionen, also mehr Geld haben, die sind gleicher. Damit sind wir bei der Flüchtling­sthematik.

Es geht nicht nur um „Flüchtling­e“. Das sind die neuen Umverteilu­ngskämpfe. Ich finde das völlig absurd – wir sagen: Ihr müsst bitte in Darfur bleiben, nur die Rohstoffe hätten wir trotzdem gerne. Was ist denn das für eine perverse Logik? Aber auch da: Mit dem Ende der bipolaren Ordnung haben wir es uns so bequem gemacht, dass wir uns leichter vorstellen könnten, Mauern um Europa zu bauen, als über globale Umverteilu­ngen nachzudenk­en. In den Regieanwei­sungen ganz zu Beginn des Stückes schreiben Sie: „Viel Spaß“.

Mir macht Theater großen Spaß. Es ist das schönste Medium, um dem Publikum etwas nahezubrin­gen. Man versammelt sich an einem Ort, um gemeinsam etwas zu verhandeln. Gibt es was Schöneres?

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