Kurier

Vom tiefen Fall aus der Mitte

Sozialdeba­tte. Eine Autorin fühlt sich von der Politik alleine gelassen. Ihre Situation berührt, auch der Sozialexpe­rte sieht Handlungsb­edarf

- VON UWE MAUCH

Ihre Fingernäge­l sind gepflegt und lackiert, die modischeBr­ille passt zum dunklen Sommerklei­d. Die schmucke Bauern stube ihres Einfamilie­nhauses vermittelt den Eindruck von Geborgenhe­it und einem gewissen Wohlstand.

Doch der erste Eindruck in einer ebenso schmucken Gemeinde im Bezirk Neun kirchen trügt .„ Ich bin empört und traurig“, erklärt Evelyne Kwas im Gespräch mit dem KURIER. Es fällt ihr dann nichtganzl­eicht, abersiesag­t es: „Das Haus haben mein Mann und ich unseren Kindern überschrie­ben, weil wir uns die Erhaltung alleine nicht mehr leisten können.“

Mit 50 plus arbeitslos

Die Mittfünfzi­gerin zählt zu jener Generation, über die Direktoren vom Arbeitsmar­kt service und wahl kämpfende Politiker nur sehr ungern reden. Was Evelyne Kwas dazu bewogen hat, ihre Empörung in einem Buch festzuhalt­en (siehe rechts unten).

Sie hat ebenso wie ihr Mann seit der Schulzeit immer bravge arbeitet, mehrere Jahre alsFilial leiterin namhafter Mode ketten. Doch als sie 50 wurde und in ihrer Firma unter Mithilfe der Politik die Arbeitszei­t verlängert wurde, musste die täglich mit dem Zug aus dem südlichen Niederöste­rreich einpendeln­de Angestellt­e pas- sen: „Ich habe das nicht mehr verkraftet, habe bemerkt, dass meine Gesundheit auf dem Spiel steht.“

Weil ihr der Arbeitgebe­r keinen Schritt entgegenko­mmen wollte, hat sie sich einvernehm­lich getrennt und den Weg zum Arbeitsamt angetreten. Dort habe man ihr keinen einzigen Job vermitteln können, und weil auch ihre 300 Bewerbunge­n unbeantwor­tet blieben, machte sie sich selbststän­dig.

Natürlich gibt es sie, die supererfol­greichen Quer einsteiger, die nach vielen Jahren als Angestellt­e mit ihrer großen Leidenscha­ft eine Firma gründen und damit glücklich werden. Doch EvelyneK was muss der Hochglanzd­er Wirt schafts kammer ihre Lebens realität entgegense­tzen. In Neunkirche­n hat sie einen kleinen Laden eröffnet, der für ältere Menschen wunderbare und vor allem leistbare Alltagshil­fen anbietet. „Wenn das Geschäft gut geht, können wir die Strom- oder Wasserrech­nung begleichen.“Doch es geht nicht immer gut.

„Ich bin immer gerne ins Kaffeehaus gegangen“, sagt sie dann. „Aber heute kann ich mir oft den kleinen Braunen nicht mehr leisten.“Der Erlag schein geht vor. Verhungern würden ihr Mann und sie nicht. „Zum Glück kann ich noch kochen, aber wenn du dir nur mehr die Billig marken leisten kannst, ist die eine Hälfte der Kartoffeln nach 15 Minuten kochen noch immer steinhart – und die andere zerfällt zu Brei.“

Es ist ein Phänomen, das österreich­ische Soziologen bereits in den 1930er-Jahren beschriebe­n haben: Wer unverhofft verarmt, hängt das nicht an die große Glocke. Evelyne Kwas, der es als Verkäuferi­n nie schwer gefallen ist, auf die Leute zuzugehen, sagt plötzlich verschämt :„ Sie können sich das vielleicht gar nicht vorstellen. Aber es ist schon so: Dass ich mit Ihnen rede, kostet mich viel Kraft. Sie glauben gar nicht, wie ich mich geniere.“

Soziale Absturzgef­ahr

„Das persönlich­e Risiko, einen sozialen Abstieg zu erleiden, ist heute größer als noch vor ein paar Jahren “, erklärt dazu Marti nS chenk von der Armutskonf­erenz. Glück im Unglück: Österreich genießt im Vergleich zu anderen europäisch­en Ländern diesbezügl­ich eine Sonderstel­lung: „Es fällt auf, dass die Haushalt einkommen insgesamt stabil bleiben. Diese Sonderstel­lung führt Schenk auf die vergleichs­weise höheren Sozial standards in Österreich zurück :„ Ohne die noch bestehende­n Sozialleis­tungen wären viel mehr mittlere Haushalte stark abstiegsge­fährdet .“Auch die zuletzt gestiegene Erwerbsquo­te der Frauen hilft: „Dadurch sind auch die Haushaltse­inkommen höher .“

Der Sozialexpe­rte erklärt außerdem, dass die bekannten Probleme wie nicht leistbares Wohnen, prekäre Jobs und chronische Krankheite­n von der Politik dringend gelöst werden müssten.

Armut ist in jedem Fall auch in der Mittelschi­cht ein relativerB­egriff: EvelynKwas kann sich nicht erinnern, wann sie zuletzt mit ihrem Mann auf Urlaub war. Und sie hofft, dass die Elektroger­äte in ihrer Bauernstub­e nicht den Geist aufgeben.

„Dass ich mit Ihnen rede, kostet mich viel Kraft. Sie glauben gar nicht, wie ich mich geniere.“Evelyne Kwas Buchautori­n

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Empört sich nun öffentlich: Evelyne Kwas in ihrer Bauernstub­e

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