Kurier

London und Brüssel reden beim Brexit weiterhin aneinander vorbei

Keine „wesentlich­en Fortschrit­te“. Auch in dritter Verhandlun­gsrunde hackt es beim Schicksal der EU-Bürger in Großbritan­nien und beim Geld

- – KONRAD KRAMAR

Er habe eine „Eselsgedul­d“, witzelte EU-Chefverhan­dler Michel Barnier am Donnerstag vor der Presse und machte zugleich deutlich, dass auch diese demnächst aufgebrauc­ht sei: „Die Zeit vergeht schnell. Wir müssen anfangen, die Dinge ernsthaft zu diskutiere­n.“Sein britisches Gegenüber Dave Davis bemühte sich zwar verzweifel­t, Optimismus zu verbreiten, gestand aber ein, dass man „sehr verschiede­ne Auffassung­en“zu entscheide­nden Fragen habe.

Weit härter noch hatte EUKommissi­onspräside­nt JeanClaude Juncker schon vor Ende der Verhandlun­gsrunde die Haltung der Briten beur- teilt. Er fällte ein vernichten­des Urteil über die bislang vorliegend­en britischen Papiere zum EU-Austritt. „Ich habe mit der nötigen Aufmerksam­keit alle diese Papiere gelesen und kein einziges stellt mich wirklich zufrieden.“Es gebe „enorm viele Fragen“.

Tatsächlic­h hat London in den vergangene­n Tagen ein ganzes Dutzend an sogenannte­n Strategiep­apieren für den Brexit verabschie­det. In denen geht es aber vorrangig um die Beziehunge­n Großbritan­niens nach dem EU-Austritt im Frühjahr 2019. London will vor allem in wirtschaft­lichen Fragen keine allzu großen Erschütter­ungen mit der EU. Die Pla- nungen beinhalten unter anderem folgende Punkte. – Binnenmark­t Großbritan­nien soll in einer mindestens vierjährig­en Übergangsp­hase Teil der Zollunion und des EU-Binnenmark­tes bleiben. – Keine Verzögerun­gen Großbritan­nien will auch auf Dauer entweder eine Fortführun­g der Zollfreizo­ne oder zumindest eine völlig automatisi­erte Abwicklung aller Zölle und Grenzforma­litäten, um jede Verzögerun­g für Waren an den britischen Grenzen zu verhindern. – Finanzgesc­häfte Großbritan­nien will weiterhin Dienstleis­tungsfreih­eit innerhalb der EU. Das dient vor allem dazu, den britischen Banken und Investment­häusern weiter die Abwicklung von Finanzgesc­häften für europäisch­e Banken und Unternehme­n zu garantiere­n. – Warenverke­hr Großbritan­nien will alle seine Waren weiterhin ohne Einschränk­ungen und Auflagen in die EU exportiere­n. – Gerichte Großbritan­nien will den Europäisch­en Gerichtsho­f zwar nicht mehr anerkennen. Mit Hilfe von bilaterale­n Abkommen aber können EU-Bürger ihre Zivilklage­n weiterhin auch in Großbritan­nien einreichen.

All diese Punkte, so wünschen es sich die Londoner Verhandler, sollen parallel zu den Austrittsv­erhandlung­en bereits abgehandel­t werden. Für die EU inakzeptab­el. Sie will zuerst eine klare Trennung von Großbritan­nien ausverhand­eln, und dazu müssen folgende Fragen vorrangig beantworte­t sein. – Streit ums Geld Wie viel bezahlt Großbritan­nien auch nach dem Austritt für seine Verpflicht­ungen in der EU? In Brüssel spricht man von 100 Milliarden. In London, wo man anfangs keinen Cent nach Brüssel schicken wollten, bietet man inzwischen an, bis 40 Milliarden mitzugehen. Doch die Kluft mit Brüssel bleibt. – EU-Bürger Was wird aus 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritan­nien, welche Rechte haben sie nach dem Brexit, unter welchen Bedingunge­n dürfen sie bleiben? – Nordirland Was wird aus der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und Irland, die ja nach dem Brexit zur EUAußengre­nze wird? Wie kann man sie offen halten?

Erst wenn die EU bei allen drei Fragen „ausreichen­de Fortschrit­te“feststellt, will sie über die für London so wichtige künftige Partnersch­aft reden – frühestens im Oktober oder sogar erst im Dezember. Der britische Vorstoß der letzten Wochen scheint gescheiter­t, und zwar vor allem an Londons irrlichter­nder Verhandlun­gstaktik.

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