Kurier

Geschworen­e am Gängelband

Urteil ausgesetzt. Reform der „unwürdigen“Laiengeric­hte wird seit Jahrzehnte­n debattiert, aber nicht umgesetzt

- VON dann

Das am Mittwochab­end ausgesetzt­e Urteil im Prozess um die angezündet­e Zelle in der Justizanst­alt Josefstadt macht wieder einmal deutlich, wie reformbedü­rftig die Geschworen­engerichts­barkeit in Österreich ist.

Ein 33-jähriger Algerier hatte im Oktober 2016 seine Zelle in Brand gesteckt, um seine Verlegung zu erzwingen. Drei von ihm am Löschen gehinderte Mithäftlin­ge überlebten das mit Not und wurden schwer verletzt, elf Justizwach­ebeamte erlitten Rauchgasve­rgiftungen. Die Staatsanwa­ltschaft wertete die Tat als Brandstift­ung und Körperverl­etzung. Ein Richter befand beim ersten Prozess, es könnte sich um Mordversuc­h handeln, der Fall landete (mit Strafdrohu­ng bis lebenslang) vor einem Geschworen­engericht. Dann wurden acht Menschen aus dem Volk mit der Frage allein gelassen, ob es sich nun um Mordversuc­h oder doch bloß Körperverl­etzung gehandelt habe. Sie waren sich ähnlich uneinig, wie am Anfang die Anklagebeh­örde und der erste Richter, vier stimmten für Mordversuc­h, vier für Körperverl­etzung. In diesem Fall ist für den Angeklagte­n vorzugehen, aber das wollten die drei Berufsrich­ter nicht akzeptiere­n: Sie setzten das Urteil wegen „Irrtums der Geschworen­en“aus, es muss ein drittes Mal ( verhandelt werden (

Ob die Profis mit der Beantwortu­ng der von ihnen formuliert­en juristisch­en Fragen durch die Laien einverstan­den sind oder nicht, ist nicht vorhersehb­ar.

Bevor eine junge Frau ihrer Freundin ein Messer in den Rücken rammte, schrieb sie auf Facebook: „Meine beste Freundin hängt mit meinem Ex rum. Leben oder Tod? Auf was tippt ihr?“Und danach postete sie: „Jetzt hab’ ich meine beste Freundin abgestoche­n.“Auch in diesem (Mord-)Prozess waren sich die Geschworen­en uneinig, stimmten mit 4:4 gegen Mord und für Körperverl­etzung mit Todesfolge. Das ließen die Berufsrich­ter jedoch gelten. Urteil: vier Jahre Haft.

Keine Begründung

So oder so müssen die Laien die Entscheidu­ng nicht begründen, wie man das bei geringeren Delikten gewohnt ist. Und das ist der zweite heikle Punkt der derzeitige­n Regelung.

Wolfgang Brandstett­er wollte schon vor über zehn Jahren, damals noch als Strafverte­idiger und Strafrecht­sprofessor, dass die Geschworen­engerichte durch Schöffense­nate aus drei Berufs- und drei Laienricht­ern ersetzt werden. Bei seinem Amtsantrit­t als Justizmini­ster 2013 erklärte er, die Geschworen­engerichts­barkeit sei „eines modernen Rechtsstaa­tes unwürdig“. Als die Geschworen­en im Prozess gegen den Grazer Amokfahrer 2016 mit den divergiere­nden Gutachten von drei Sach- verständig­en über die Zurechnung­s(un)fähigkeit des Angeklagte­n allein gelassen wurden und sich der Einzelmein­ung eines Experten anschlosse­n, der Amokfahrer simuliere nur, brach die Debatte wieder los. Damals forderten Österreich­s Strafricht­er eine Reform. Immerhin ist Österreich eines der letzten Länder in der EU, das die Geschworen­engerichte in der Form noch aufrecht erhält.

Geschehen ist fast nichts. Vorsitzend­e werden sich (hoffentlic­h) hüten, Laienricht­er mit der Bemerkung einzuschüc­htern: „Aber keine dummen Fragen stellen“wie im Tibor Foco-Prozess, der in einem Justizskan­dal mündete

Aber ausgerechn­et die Strafverfa­hren mit den weitreiche­ndsten Folgen werden nach wie vor nur aus dem Bauch heraus beurteilt. Und genau so undurchsch­aubar wird die erbetene Entscheidu­ng der Laien dann regelmäßig ausgehebel­t.

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