„Im Allgemeinen wächst Ungleichheit“
Buch. Handeln wir nicht, geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf, sagt Mathematiker Molander
Als Per Molander noch studierte, stieß er auf die Theorie von John Nash. Der Mathematiker hatte in den 1950erJahren gezeigt, dass in Verhandlungen der Stärkere immer mehr als 50 Prozent herausschlägt. „Das bedeutet Instabilität, das kann man so nicht hinnehmen“, erboste sich Molander, der in Schweden ein renommierter Verteilungsexperte ist, und begann, sich intensiv mit dem Phänomen der Ungleichheit auseinander zu setzen. Heute erscheint das Ergebnis seiner Bemühungen, sein Buch Die Anatomie der Ungleichheit deutsch. KURIER: Österreich ist im Wahlkampf. Die FPÖ plakatiert „Fairness“, die ÖVP „neue Gerechtigkeit“, die SPÖ „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“. Alle heften sich den Kampf gegen Ungleichheit auf die Fahnen. Ist das gerade modern? Molander: Es ist ein Faktum, dass die Ungleichheit in den OECD-Ländern gewachsen ist. Das hat die politischen Parteien gezwungen, das auf die Tagesordnung zu setzen. Alle Parteien versprechen uns Verteilung, das ist aber nicht so einfach. Warum?
Weil man zuerst die Ungleichheit ernst nehmen muss, wenn man sie beeinflussen will. Es gibt keine schnelle Lösung. Man muss mit einem breiten Spektrum an Maßnahmen arbeiten und an zwei Rädern drehen: Chancengleichheit herstellen, und ich denke, dass Ausbildung hier vielleicht das Wichtigste ist. Aber das reicht nicht. Man muss das, was hinten rauskommt, möglichst gerecht verteilen, etwa durch Steuerpoli- tik; es braucht Absicherung bei Arbeitslosigkeit, im Gesundheitswesen, durch Sozialversicherungen. Die skandinavischen Staaten waren da lange vorbildlich und zeigten: Wohlstand und Gleichheit – das kann funktionieren. Gelungen ist das, weil die Ungleichheit nach dem Zweiten Weltkrieg genau mit diesem breiten Spektrum an Maßnahmen bekämpft wurde. Doch jetzt zeigt sich: Schweden ist das OECDLand, in dem die Ungleichheit am stärksten wächst. Warum?
Wir hatten jetzt einige Rechtsregierungen. Ungleichheit Ideologie?
Rechte möchten diese Frage am liebsten von er Tagesordnung haben. Liberale haben Ungleichheit ernst ge- korreliert nommen, aber sie sind ein wenig zu optimistisch. Typische Liberale glauben, dass sich jeder Einkommens- oder Vermögensunterschied durch unterschiedliche Fähigkeiten oder unterschiedliche Arbeitswilligkeit erklären lässt. Und dass die Unterschiede damit automatisch legitim sind. Das ist falsch, denn es gibt selbstverstärkende Tendenzen, die Reiche reicher und Arme ärmer machen. Liberale Zur Person Zum Buch sind auch damit zufrieden, Chancen auszugleichen. Das ist zu wenig. Denken Sie nur daran, jemand wird krank – das ist keine Frage von Arbeitswilligkeit oder Fähigkeiten. Und was ist mit den Linken? Wenn man alle Unterschiede auszugleichen versucht, schafft man mehr Probleme als man löst. sagen, Frauen sind ein guter Indikator für den Grad der Ungleichheit einer Gesellschaft.
Ja, denn Frauen wurden in praktisch allen Gesellschaften unterdrückt – ein Spezialfall der allgemeinen Ungleichheit. Wird die Unterdrückung des weiblichen Teils der Bevölkerung akzeptiert oder sogar befürwortet, sagt das viel: Man erkennt, welche Bedeutung eine Gesellschaft der Gleichheit beimisst. Gab es das je – Gleichheit?
Im Grunde ist der Mensch von heute nicht anders als der Mensch vor tausenden Jahren. Unsere Natur hat sich nicht verändert. Jäger- und Sammlergesellschaften gelten als egalitär, das Niveau der Ungleichheit ist niedrig. Das ist einfach erklärt: In einer Gesellschaft, die am Existenzminimum lebt, gibt es nichts zu verteilen. Es muss einen Überschuss geben, damit Ungleichheit entsteht. Je mehr es zu verteilen gibt, desto mehr steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die ganze Sache kippt. Im Allgemeinen wächst Ungleichheit. Und das ist um 1970 passiert? Warum?
Wegen der Globalisierung. Bis zum Zweiten Weltkrieg haben viele demokratische Länder allzu starker Ungleichheit entgegengewirkt – jeder für sich. Mit der Globalisierung entwickelte sich ein starker internationaler Finanzmarkt, ohne globale Instrumente, die gegenzusteuern hätten können. Innerhalb der EU spricht man von den vier Freiheiten – freie Bewegung der Waren, der Dienste, der Arbeit und des Kapitals. Das klingt gerecht, aber in Wirklichkeit hat das Kapital eine höhere Mobilität als die Arbeitskraft und kann daher seine Macht auf Kosten der Arbeitskraft vergrößern.