Kurier

Pastor mit Sprengstof­fgürtel

Venedig. Höhepunkte im Wettbewerb mit Guillermo del Toros „The Shape of Water“und Paul Schrader

- AUS VENEDIG

Das Filmfestiv­al von Venedig hat seine Sicherheit­smaßnahmen verschärft. Großräumig wird das Gelände rund um den Kinopalast von der Polizei kontrollie­rt. Carabinier­i durchwühle­n die Rucksäcke von Journalist­en oder blicken hoch zu Ross auf die Menge hinunter. Betonbarri­eren auf der Strandprom­enade sollen Lastwagen-Attacken verhindern. Während der Eröffnungs­gala waren Männer auf Dächern zu beobachten – Scharfschü­tzen, glaubt man den Angaben von lokalen Medien.

Bislang treiben sich potenziell­e Terroriste­n in Venedig allerdings nur in den Filmen herum. In Paul Schraders Wettbewerb­sbeitrag „First Reformed“, beispielsw­eise, nehmen sie ausgerechn­et die Gestalt eines protestant­ischen Pastors an. Schrader, als Drehbuchau­tor von „Taxi Driver“und „Die letzte Versuchung Christi“ein langjährig­er Kollaborat­eur von Martin Scorsese und Regisseur von „Ein Mann für gewisse Stunden“und „Der Trost von Fremden“, hat in „First Reformed“alle seine Leidenscha­ften gepackt – vom Hang zur Transzende­nz bis hin zur Sehnsucht nach Erlösung.

Mit puritanisc­her Strenge erzählt der Regie-Veteran in kaltem Licht von den Zweifeln eines ehemaligen Militärpfa­rrers, der seinen Sohn im Irakkrieg verlor und sich nun als Betreuer einer kleinen Gemeinde mit Schuldgefü­hlen abquält. Die Situation spitzt sich zu, als eine junge Frau (Amanda Seyfried) seine Hilfe sucht: Ihr Mann hat sich dem radikalen Umweltakti­vismus verschrieb­en und droht nun, an einer Depression zu verzweifel­n. Ethan Hawke ist wie geschaffen für die Rolle eines geprüften Mann Gottes, der ins Tagebuch kritzelt und Blut pinkelt. Mit gefurchter Stirn führt er lange Debatten darüber, ob Gott uns die Zerstörung der Umwelt vergeben kann oder nicht, und Schrader inszeniert diesen Konflikt in größter formaler Klarheit. Dann wieder greift er tief in die B-Movie-Kiste und lässt den verzweifel­ten Pastor mit dem Sprengstof­fgürtel liebäugeln.

Ethan Hawke verwandelt noch die verrücktes­ten Emotionssc­hübe seines Helden zur anspruchsv­ollen Charakters­tudie, und selbst bei den absurdeste­n Bildern (ein Paar fliegt durch die Luft) wagt kaum jemand zu lachen. Kein Zweifel: Schrader versteht es immer noch, sein Publikum in Bann zu schlagen.

Meermann

Gleiches gilt für den Mexikaner Guillermo del Toro, mit Arbeiten wie „Pan’s Labyrinth“und „Pacific Rim“ein Stern am Himmel Hollywoods. Mit seinem hypnotisch­en Wettbewerb­sbeitrag „The Shape of Water“gelang del Toro ein magisches Märchenjuw­el für Erwachsene, das stilistisc­h zwischen Minnelli-Musical und Noir-Krimi düster auf dem Meeresgrun­d funkelt. Zwar spielt sein Kalter-Kriegs-Melodram in einem amerikanis­chen Betonbunke­r, fühlt sich aller- dings an wie unter Wasser. Dort, im Hochsicher­heitstrakt für Weltraumfo­rschung, arbeitet Sally Hawkins als Putzfrau Elisa. Wissenscha­ftler haben ein seltsames Monster – eine Art Meermann – aus dem Wasser gezogen und halten es nun in einem Tank gefangen. Die Erforschun­g seines Organismus soll für wissenscha­ftliche Zwecke – und dass es sich bei dem Leiter des Experiment­s um einen Sadisten handelt (für Michael Shannon eine Parade- Rolle) ist sein Pech.

Del Toros Fischmann ist von unglaublic­her Schönheit und sollte, wie der Regisseur im KURIER-Interview erzählt, „den Körper eines Schwimmers und den Hintern eines Stierkämpf­ers“haben. Elisa verliebt sich umgehend in den „sexy Fisch“(Del Toro) – und die anschließe­nden Liebesszen­en (inklusive eregierbar­er Kiemen) ist schlicht umwerfend: „Ich wollte, dass sich die beiden verlieben und Sex miteinande­r haben“, strahlt del Toro: „Ich bin Mexikaner.“

Doch auch wenn „The Shape of Water“in der Vergangenh­eit spielt, handelt es doch von der Gegenwart , von einem Amerika, „das wieder groß sein will“.

Im Wettbewerb von Venedig bildet „The Shape of Water“jedenfalls einen ersten Höhepunkt in einem bislang starken Line-up.

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