Jugend ohne Gott. „Zwiespältigkeit sieht man mir an“
Fahri Yardım über die Verfilmung von Horváths Roman, Social Media und sein „Zwischenkind“
In den 30er-Jahren prangerte Ödön von Horváth in „Jugend ohne Gott“die zunehmende Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit der nachkommenden Generation an. Kurz nach Erscheinen wurde das Buch von den Nationalsozialisten verboten.
Im Mittelpunkt der Geschichte – erzählt aus der Sicht eines desillusionierten Lehrers – stehen ein Mord und die Frage nach Moral und Verantwortung. Die dystopische Verfilmung von Regisseur Alain Gsponer („Heidi“) kommt heute in die Kinos. KURIER: Waren Sie enttäuscht, dass Ihre Rolle, der Lehrer, im Film weniger Platz bekommt als in der Vorlage? Fahri Yardım: Nein, ich wusste, dass es eine moderne Adaption sein soll, die eine andere Erzählstruktur verlangt. Im Buch geht es sehr stark um die Innenwelt des Lehrers – seine Gedankenwelt, seine sehr scharfen und starken Beobachtungen, seine Dilemmata. Im Film musst du das Innerliche nach außen tragen. Keine Sorge, ich war nicht narzisstisch gekränkt. Der Film erinnert stark an „Die Tribute von Panem“oder „Maze Runner“. War es notwendig, die Geschichte in so eine Umgebung zu übersetzen, um junge Leute ansprechen zu können?
Das ist nicht der einzige Grund. Ich glaube, es geht eher darum, auch in der Relevanz des Themas eine Anschlussfähigkeit wiederherzustellen und den geschichtlichen faschistoiden Kontext, der ja oft bedient wurde, sei es filmisch oder künstlerisch, vielleicht gerade deswegen zu verlassen. Um wieder eine Nähe herzustellen zu unserer Zeit und den radikalen, destruktiven Tendenzen, in denen wir leben. Denn wenn wir sie radikal weiterdenken, wäre diese Dystopie durchaus vorstellbar. Aber radikale politische Tendenzen kommen im Film, anders als im Buch, nicht vor.
Es ist eher radikal im Sinne einer erkalteten, einer entfremdeten Gesellschaft, die sich endgültig einem Leistungsprinzip unterworfen hat: Einerseits ist da eine privilegierte Schicht, die im Korsett ihrer eigenen Leistungsfähigkeit an Lieblosigkeit nicht zu überbieten ist, und andererseits sind da die Abgehängten, die in unmenschlichen Sektoren, gettoartigen Gegenden leben, die sogenannten Illegalen. Das ist eine radikale Beobachtung einer Welt, die wir schon kennen, aber die in gewisser Weise eine ehrliche Version dessen ist, was wir heute vorführen. Alle scheinheilige Höflichkeit ist aufgebraucht, da geht es dann knallhart her. Anstelle von Solidarität tritt die pragmatische Einteilung in Gewinner und Verlierer. Sie haben in einem Interview gesagt, der Lehrer habe eine ge- wisse „Eierlosigkeit“. Ist das nicht verständlich, dass man sich Sorgen macht um seinen Job und Kompromisse eingeht?
Wenn es nur Kompromisse wären, wär’s in Ordnung. Die Frage ist, wann ein Kompromiss faul wird. Oder wann ein Bruch mit den eigenen Idealen beginnt; wann die Persönlichkeit leidet, weil man sich selbst verleugnet. Der Lehrer hat eine gewisse Feigheit, einen Opportunismus und traut sich nicht, die Haltung für seine Überzeugungen einzunehmen. Aber das Spannende an ihm ist, dass er in diesem Dilemma steht, in diesem Spannungsverhältnis zu seinem eigenen humanistischen Geist, und dass er durch Zach
erinnert wird an diese Urmenschlichkeit, die ihm innewohnt. Angeregt durch den jugendlichen Eifer macht er eine überraschende Entwicklung. Der Lehrer wird zwar kein endgültiger Held, aber er bricht zumindest mit dem Konsens seiner Zeit. Sie beschreiben sich selbst als „Zwischenkind“, als jemanden der schwer Entscheidungen treffen kann. Fiel es Ihnen leicht, sich mit dem Lehrer zu identifizieren?
Ich wurde instinktiv sicher auch deswegen besetzt. Ich glaube, diese Zwiespältigkeit sieht man mir an. Das Kind zwischen den Welten, das schwingt bei mir immer mit, genauso wie diese unheimliche Schwierigkeit, mich festzulegen. Ich kann dieses innere Ringen sehr gut nachvollziehen, weil unterschiedliche Herzen in der Brust schlagen. Gerade in Hinblick auf relevante Themen wird das Spannungsverhältnis manchmal sehr stark. Das kenne ich auch als Schauspieler. Insofern ist mir auch der Opportunismus nicht fremd. Ich kenne aber auch den rebellischen Gestus in mir und dann wieder den resignativen. Ich habe mich immer gern in mehreren Anteilen beschrieben und merke, je stärker einer ausgeprägt ist, desto mehr kämpfen die anderen innerlich und warten darauf, wieder zum Zug zu kommen. Ein Wechselspiel zwischen Mut und Feigheit. Also passt der Lehrer besser zu Ihnen als der typische Deutschtürke, den Sie oft spielen?
Naja, „Deutschtürke“ist ja noch keine Rollenbeschreibung. Es geht um die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit, die erzählt wird. Und wenn sie reduziert ist auf den Migrationshintergrund, dann wird es manchmal langweilig, aber das habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr in der Weise bedienen müssen. Auch der „Tatort“-Kommissar
ist ein Deutschtürke, aber er lebt von seiner Persönlichkeit und nicht von Herkunftszusammenhängen. Im Film geht es auch um Digitalisierung. Sie sind auf Social Media – bis auf zwei Tweets – nicht aktiv. Wieso?
Das ist zum Beispiel ein klassisches Dilemma-Thema, wo es Stimmen gibt, die einem flüstern: Das ist die Zukunft, das musst du machen! Schöpf’ dein Potenzial dahingehend aus! Versorg’ die Öffentlichkeit! Das ist eine neue Geldquelle – Reichweite ist die neue Währung. Und da ist ein unfassbarer Druck mitzumachen. Auf der anderen Seite gibt es einen Teil in mir, der sich im Kontakt mit diesen sozialen Medien oft unlebendig fühlt. Das wahre Leben beginnt oft da, wo man das Handy weglegt. Und so unspektakulär es dann manch- mal ist – im Gegensatz zu einem tollen Katzenvideo oder so – ist es durchaus erhaltenswert. Auch in dieser Hinsicht zeigt sich mein „Zwischenkind“. Waren Sie ein guter Schüler?
Ich war ganz gut. Zu meinen Lehrern hatte ich ein ziemlich gutes Verhältnis, und ich habe früh gemerkt, dass das Zwischenmenschliche wichtiger ist als meine wirkliche Leistung. Ich habe mir sozusagen Fleiß zu Hause gespart und bin mehr in den Austausch gegangen. Im Nachhinein war es vielleicht eine perfide Strategie, aber sie war so nicht geplant. Und Hausaufgaben habe ich eben nicht gerne gemacht, zudem habe ich den Leistungsdruck noch in schmerzhafter Erinnerung. Dafür war es überlebenswichtig zu taktieren. Der Ausbruch aus dieser Leistungsgesellschaft ist zentrales Thema bei „Jugend ohne Gott“. Aber der Mensch möchte doch auch Anerkennung für seine Leistung.
Die Frage ist, was man unter Leistung versteht. Der Mensch braucht nicht Anerkennung für seine Leistung im klassischen Arbeitssinn, sondern es geht eher um die Anerkennung seiner selbst. Das haben wir in unserer radikal fetischisierten Arbeitswelt manchmal vergessen, dass es auch noch ein Selbst gibt, ein Wesen und eine Persönlichkeit. Ich plädiere: Lass’ uns das zurückerobern, die Anerkennung fürs Menschsein und nicht für das Schaffen. Auch, wenn das manchmal zusammengehört. Aber Sie merken, ich hab’ mit dem Leistungsprinzip Schwierigkeiten, weil ich mich da eher entfremdet fühle als verstanden.