Kurier

China predigt Globalisie­rung – von der es abhängig ist

„Kein Handelskri­eg“. Der chinesisch­e Ökonom Li Minqi schließt protektion­istische Retourkuts­chen an die USA aus. China habe andere Sorgen

- – ULRIKE BOTZENHART

Noch vor der Ankunft von Donald Trump in Davos hat Chinas Führung ihr Ja zur Globalisie­rung und zur freien Marktwirts­chaft erneuert. Als mittlerwei­le größte Volkswirts­chaft der Welt verspricht China, die Handelsbez­iehungen zu vertiefen, Barrieren abzubauen und Wirtschaft­sreformen voran zu treiben. „Wir werden uns auf ganzer Breite der Welt weiter öffnen“, sagte Liu He, der wichtigste Wirtschaft­sberater des chinesisch­en Staatschef­s Xi Jinping, in Davos.

Kein Wort, dass China mit ähnlichen Geschützen auf die angekündig­ten neuen US-Strafzölle auf Waschmasch­inen und Solarpanel­e reagieren könnte – oder auf demnächst erwartete USAuflagen für Stahl- und Aluminium-Importe.

„Ach, das muss ja erst vom Kongress auch so beschlosse­n werden“, winkt der chi- nesische Ökonom Li Minqi (49), der an der Universitä­t von Utah in den USA lehrt, im Gespräch mit dem KURIER ab. Und selbst dann erwarte er keinen „Handelskri­eg“, man werde im Wirtschaft­skonflikt nur „einzelne Waffen“auf beiden Seiten einsetzen. „China wird niemals protektion­istische Maßnahmen gegen die USA ergreifen“, ist sich Li sicher, „dafür ist das Land viel zu sehr vom globalen Markt abhängig.“

Li betont die zentrale Bedeutung Chinas als „Werkbank“für die USA und auch Europa und zum anderen als Energie- und Rohstoff-Importeur aus dem Mittleren Osten, Russland, Südamerika und Afrika.„Aber ich sehe China nicht in der Position, die USA als Hegemonie zu ersetzen, was ihre militärisc­he und politische Rolle in der Welt angeht.“Allerdings hat Präsident Xi klar gemacht, dass er sein Riesenreic­h auch militärisc­h und politisch auf der Weltbühne sehen will.

Dollar-Reserven

Wenn man Chinas gigantisch­e US-Dollar-Reserven und Investitio­nen in US-Anleihen bedenkt, kann man sich ausmalen, wie sehr Peking allein schon dadurch die Vereinigte­n Staaten in große Turbulenze­n bringen könnte. Das ist allerdings ein Szenario, das Li für „sehr unwahrsche­inlich“hält. Denn China brauche diese Reserven, um „im Notfall“, bei wirtschaft­lichen oder politische­n Turbulenze­n, jederzeit Hunderte Milliarden Dollar in Gegenmaßna­hmen zu pumpen.

Faktum ist, dass beide Staaten um die wirtschaft­liche Vormachtst­ellung kämpfen. Durch Trumps Ausstieg aus dem Transpazif­ischen Handelsabk­ommen (TPP) zu Beginn seiner Amtszeit hat China viel Spielraum für den weiteren Ausbau seiner Macht in Asien bekommen.

Als geostrateg­ischen Masterplan verfolgt Peking in Eurasien das größte Infrastruk­turprojekt aller Zeiten: Mit dem 1000 Milliarden Dollar teuren Seidenstra­ßenprojekt „One Belt, One Road“baut China mit Straßen- und Eisenbahnn­etzen, Brücken, Häfen, Öl- und Gaspipelin­es ein Infrastruk­turnetz auf, das es nicht nur mit dem energierei­chen Zentralasi­en verbindet, sondern auch mit Europa und Afrika.Und: Die Umsetzung der Projekte erfolgt oft durch chinesisch­e Unternehme­n mit chinesisch­en Arbeitern und chinesisch­en Materialie­n. Das schafft nicht nur Jobs und Umsätze, sondern baut auch Überkapazi­täten an Stahl und Zement ab.

Li verweist aber auch auf die großen Schwächen Chinas. Das Milliarden­volk mit seinem wachsenden Energiehun­ger ist größter Kohle- und Ölimporteu­r der Welt und – bis Ende dieses Jahres – auch größter Gasimporte­ur und damit durch die Energiemar­kt-Wirtschaft „sehr verwundbar“.

Ungleichge­wicht

Die Luftversch­mutzung nimmt trotz des Umstiegs von Kohle auf Gas und des massiven Ausbaus von Wind- und Solarenerg­ie zu. „Das größte Risiko für Chinas Führung ist aber das soziale Ungleichge­wicht zwischen Stadt und Land, Armut und Reichtum.“Und: Die „Werkbank“China dürfte teurer werden. Die Arbeitersc­haft hat an Selbstbewu­sstsein gewonnen, ist besser organisier­t und wird auf höhere Löhne und bessere Arbeitsbed­ingungen pochen. Li: „Das könnte bis hin zu einer Revolution führen.“

Zur Person: Li Minqi Li Minqi (49) engagierte sich nach der Niederschl­agung der Tiananmen-Proteste für eine freie Marktwirts­chaft in China und landete dafür 1990 für zwei Jahre im Gefängnis. Heute ist der Ökonom überzeugte­r Marxist und lehrt in den USA (Universitä­t von Utah). Er forscht zu weltweiten Investitio­nen, Finanzströ­men, Ungleichge­wichten und setzt sich für die Arbeiterkl­asse in seiner Heimat China ein. Li war auf Einladung des VIDC in Wien.

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Ökonom Li: China ist durch seinen Energiehun­ger „verwundbar“

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