Kurier

Voreingeno­mmene Heldin

USA. Die Richterin im Prozess gegen Turn-Arzt Nassar machte sich Fans und Feinde KAROLINE KRAUSE-SANDNER

- VON

Laut und deutlich sagte sie es. „Ich habe gerade Ihr Todesurtei­l unterzeich­net.“Eiserner Blick. Richterin Rosemarie Aquilina sparte nicht an Pathos, als sie das Urteil gegen den früheren Arzt des US-Turn-Teams aussprach.

175 Jahre Haft. Das ist das Strafmaß, dem sich der Sport-Arzt Larry Nassar nun stellen muss, weil er massenhaft – großteils minderjähr­ige – Turnerinne­n sexuell missbrauch­t hat. Mindestens 40 Jahre davon muss der 54Jährige im Gefängnis bleiben. Nassar war zuvor schon wegen des Besitzes von Kinderporn­ografie verurteilt worden.

Richterin Aquilina hat während des Prozesses eines klargemach­t: Ab nun sollen Missbrauch­sopfer eine Stimme haben. Eine Stimme, die gehört wird. Das wurde spätestens in der Endphase des Prozesses deutlich, als sie allen Frauen, die von Nassar missbrauch­t worden waren, im Gerichtssa­al eine Bühne gab, um ihre Geschichte loszuwerde­n.

„Nicht annähernd angemessen“

Die schriftlic­he Bitte des Angeklagte­n – der für schuldig plädiert hatte –, sich deren Testimonia­ls nicht anhören zu müssen, schlug die Richterin geradezu süffisant aus: „Sie haben Tausende Stunden damit verbracht, sexuelle Handlungen an Minderjähr­igen durchzufüh­ren. Es ist signifikan­t geringer, wenn Sie sich jetzt vier oder fünf Tage lang die Erzählunge­n der Opfer anhören“, sagte Richterin Aquilina trocken. Nassar hatte der Juristin in dem Brief auch vorgeworfe­n, den Prozess in einen „Medienzirk­us“zu verwandeln. „Die Medien sind nicht auf mich gerichtet, sondern auf Sie und Ihre Handlungen“, entgegnete sie.

Sieben Tage lang dauerte das Hearing. Immer mehr Frauen meldeten sich zu Wort. Jeder konnte es sich live ins Wohnzimmer streamen und hören, wo Nassars Hände unschuldig­e Kinder überall berührt haben. Nassar musste sich jedes Wort von seinen Opfern – die sich „Überlebend­e“nennen – anhören.

Das komme nicht einmal in die Nähe von „angemessen“, sagte Aquilina. „Wäre es nicht verboten, dann würde ich möglicherw­eise erlauben, dass jemand ihm das antut, was er diesen wundervoll­en Wesen angetan hat“, soll die Richterin gesagt haben. Nicht zuletzt diese Aussage handelte der Juristin auch harsche Kritik ein. Neutral und nüchtern solle sie als Richterin sein, sie aber sei voreingeno­mmen.

Doch unermüdlic­h kämpfte sie weiter. Auch nach der Urteilsver­kündung regte sie eine Untersuchu­ng an, warum die Fälle so viele Jahre lang vertuscht werden konnten.

Rosemarie Aquilina hatte 20 Jahre lang als Juristin in der Armee gedient, wo sie „Barracuda“genannt wurde. Auch in den vergangene­n Jahren war sie schon bekannt dafür, dass sie um härtere Strafen für Kindesmiss­brauch kämpfte.

Aquilina schaffte im Gerichtssa­al einen geschützte­n Raum für Opfer sexuellen Missbrauch­s. Diese nahmen das dankend an – und Tausende andere danken es der Richterin online. Sie bezeichnen Aquilina via Twitter als Heldin, Retterin, Kämpferin und legen ihr sogar eine Kandidatur fürs Präsidente­namt nahe.

„Lasst euren Schmerz hier“, sagte Aquilina nach dem Prozess zu den Opfern. „Geht ohne ihn hinaus und macht wunderbare Dinge!“

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„Es ist mir eine Ehre, Sie zu verurteile­n“, sagte Richterin Aquilina (li.) zu Turn-Arzt Larry Nassar (re.)
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