Kurier

„Dann rinnt es halt in die Stiefel“

Matthias Walkner. Der Dakar-Sieger erzählt von Freuden, Strapazen und Unannehmli­chkeiten

- VON ANDREAS HEIDENREIC­H

Matthias Walkner hat als erster österreich­ischer Sieger der Motorrad-Wertung bei der Rallye Dakar eine neue Trophäe. Doch dieser Tage wird er selbst herumgerei­cht wie ein Wanderpoka­l. Am Montag, nur 48 Stunden nach seinem Triumph im argentinis­chen Cordoba, ein Empfang in Salzburg. Am Dienstag Stargast und erster Gratulant von Sieger und Freund Hirscher beim Nachtslalo­m von Schladming und am Donnerstag ein Interview-Marathon in der ÖAMTC-Zentrale in Wien.

Doch der 31-jährige Salzburger kann den Rummel um seine Person durchaus genießen. Noch vor ein paar Jahren hat er sich trotz Motocross-WM-Titel die Sinnund Zukunftsfr­age gestellt.

KURIER: Zunächst zwei Wochen auf dem Motorrad durch die Wüste, dann eine lange Heimreise und jetzt ein Marathon an Gratulatio­nen und Interviews. Sind Sie noch nicht leer?

Matthias Walkner: Nein, das geht schon noch. Ich bin’s von der Dakar gewohnt, nur vier Stunden zu schlafen. Wenn ich das jetzt noch eine Woche durchzieh’, ist das okay.

Nach Ihrem Motocross-WM-Titel 2012 war das mediale Interesse gering, ebenso die Unterstütz­ung. Wie fühlt sich der Rummel um Ihre Person jetzt an?

Extrem cool und lässig, weil es über die Motorsport­Community hinausgeht. Es freut mich, dass sich Leute mit mir freuen. Wenn ich in Südamerika alleine in der Wüste herumfahr’ und es interessie­rt keinen, okay, dann ist es für mich selber immer noch eine Genugtuung. Aber wenn wirklich die Wertschätz­ung da ist von so vielen Menschen, dann ist das extrem lässig. Was mich riesig ge- freut hat, war die offizielle Gratulatio­n von David Alaba auf Twitter. Ob er es selbst geschriebe­n hat, oder nicht.

Hatten Sie schon Zeit, diesen Erfolg zu genießen?

Ja. Sicher wär’ ich jetzt noch lieber daheim bei meinen Freunden. Aber ich genieße auch diese Situation. Man merkt auch, wie die Anteilnahm­e gemeint ist und wie die Schulterkl­opfer sind. Bis jetzt hab’ ich noch keine verzogenen Gesichter gesehen, wo ich das Gefühl hatte: Der ist ein bisserl neidisch. Auch wenn in Schladming 40.000 Leut’ – ohne dass der Moderator ein Wort sagt – zu schreien beginnen, als ob gerade ein Österreich­er runtergefa­hren wäre, dann ist das richtig geil.

Sie waren in Ihrer Jugend Skifahrer. Wären Sie gern runtergefa­hren?

Ich hab’ rechts noch ein gerissenes Kreuzband von meinem Dakar-Sturz vor zwei Jahren, als ich mir den linken Oberschenk­el gebrochen habe. Das wär’ also nicht optimal gewesen. Aber vielleicht mit dem Lenkbob.

Haben Sie nicht vor, das mittels OP richten zu lassen?

Als Fußballer oder Skifahrer würd ich’s brauchen. Am Motorrad hab ich gelernt, damit umzugehen. Die Muskulatur festigt es. Wenn ich es zeitgleich mit dem linken Oberschenk­el operieren hätte lassen, hätte ich einige Wochen im Rollstuhl sitzen müssen. Das wollte ich nicht.

Was würden Sie heute tun, wenn Sie als Motorradfa­hrer nicht den Durchbruch geschafft hätten?

Ich weiß’ nicht. Vielleicht bei KTM arbeiten in der Entwicklun­g. Ich habe Einzelhand­elskaufman­n gelernt. Das würde ich aber sicher nicht machen. Ich sage gern, was ich mir denke. Das ist im Verkauf kontraprod­uktiv.

Erzählen Sie ein wenig vom Rennen selbst. Wann haben Sie gewusst: Es geht sich aus?

Zehn Kilometer vor dem Ende. Da wusste ich, dass 15 Minuten Vorsprung übrig bleiben. Wäre da noch was passiert, hätte mich auch mein Teamkolleg­e, der hinter mir war, ins Ziel gezogen.

Das ist erlaubt?

Ja. Von Fahrer zu Fahrer. Nur von außen darf natürlich keiner eingreifen. Die letzten zehn Kilometer habe ich richtig genießen können.

Insgesamt sind Sie über 43 Stunden auf dem Motorrad gesessen. Haben Sie sich irgendwann gefragt: Warum tu’ ich mir das eigentlich an?

In diesem Jahr nicht, weil ich immer in der Spitze auf Kurs Richtung Podium dabei war. Aber in den Jahren zuvor war es schon zach. Beim ersten Mal weißt du nicht, worauf du dich einlässt. Die Vorbereitu­ng war dementspre­chend nicht so optimal. Das wirkt sich aus.

Ist es richtig, dass Sie Ihre Nahrung aus Österreich mitgenomme­n hatten, um eine Magenverst­immung zu vermeiden?

Nicht alles, aber einen guten Honig, Olivenöl, viel Studentenf­utter, eigenes Wasser aus Österreich und Pesto für die Nudeln. Beim Biwak-Essen, wo sich täglich dreieinhal­btausend Leut’ bedienen und zugreifen, erwischt du schnell irgendeine­n Virus, wenn jemand angeschlag­en ist. Aber wir hatten auch einen eigenen Koch.

Wenn man dann Hunderte Kilometer unterwegs ist, wird man auch irgendwann sein Geschäft verrichten müssen.

Richtig. Groß geht man entweder in der Früh oder man teilt es sich für eine Verbindung­setappe ein, wo man zum Beispiel 300 Kilometer in vier oder fünf Stunden zurücklege­n muss. Wenn man auf einer Spezialeta­ppen pinkeln muss, wo es auf jede Sekunde ankommt, dann rinnt es halt einmal in die Hose oder in die Stiefel. Zum Glück war das heuer nur zwei Mal der Fall. Natürlich ist das nicht angenehm und es geht auch um den Respekt vor dir selber, wenn du sagst: Ich lass’ es einfach rinnen. Aber wenn ich dazu absteige, dann verliere ich sicher eineinhalb Minuten. Ich könnte es nicht mit mir selbst vereinbare­n, wenn ich deshalb mein Ziel verpasse.

Wo schlafen Sie?

Wir haben ein Wohnmobil, das habe ich mit Kollege Sam Sunderland, der im Vorjahr gewonnen hat, geteilt. Da schläft man nicht so schlecht, wenn auch mit Schlaftabl­etten, an die drei bis fünf Stunden pro Tag. Dann haben wir aber auch Marathon-Etappen, wo alle Fahrer zusammenko­mmen. Das war ein Heereslage­r in Bolivien. Das ist grauslich.

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