„Dann rinnt es halt in die Stiefel“
Matthias Walkner. Der Dakar-Sieger erzählt von Freuden, Strapazen und Unannehmlichkeiten
Matthias Walkner hat als erster österreichischer Sieger der Motorrad-Wertung bei der Rallye Dakar eine neue Trophäe. Doch dieser Tage wird er selbst herumgereicht wie ein Wanderpokal. Am Montag, nur 48 Stunden nach seinem Triumph im argentinischen Cordoba, ein Empfang in Salzburg. Am Dienstag Stargast und erster Gratulant von Sieger und Freund Hirscher beim Nachtslalom von Schladming und am Donnerstag ein Interview-Marathon in der ÖAMTC-Zentrale in Wien.
Doch der 31-jährige Salzburger kann den Rummel um seine Person durchaus genießen. Noch vor ein paar Jahren hat er sich trotz Motocross-WM-Titel die Sinnund Zukunftsfrage gestellt.
KURIER: Zunächst zwei Wochen auf dem Motorrad durch die Wüste, dann eine lange Heimreise und jetzt ein Marathon an Gratulationen und Interviews. Sind Sie noch nicht leer?
Matthias Walkner: Nein, das geht schon noch. Ich bin’s von der Dakar gewohnt, nur vier Stunden zu schlafen. Wenn ich das jetzt noch eine Woche durchzieh’, ist das okay.
Nach Ihrem Motocross-WM-Titel 2012 war das mediale Interesse gering, ebenso die Unterstützung. Wie fühlt sich der Rummel um Ihre Person jetzt an?
Extrem cool und lässig, weil es über die MotorsportCommunity hinausgeht. Es freut mich, dass sich Leute mit mir freuen. Wenn ich in Südamerika alleine in der Wüste herumfahr’ und es interessiert keinen, okay, dann ist es für mich selber immer noch eine Genugtuung. Aber wenn wirklich die Wertschätzung da ist von so vielen Menschen, dann ist das extrem lässig. Was mich riesig ge- freut hat, war die offizielle Gratulation von David Alaba auf Twitter. Ob er es selbst geschrieben hat, oder nicht.
Hatten Sie schon Zeit, diesen Erfolg zu genießen?
Ja. Sicher wär’ ich jetzt noch lieber daheim bei meinen Freunden. Aber ich genieße auch diese Situation. Man merkt auch, wie die Anteilnahme gemeint ist und wie die Schulterklopfer sind. Bis jetzt hab’ ich noch keine verzogenen Gesichter gesehen, wo ich das Gefühl hatte: Der ist ein bisserl neidisch. Auch wenn in Schladming 40.000 Leut’ – ohne dass der Moderator ein Wort sagt – zu schreien beginnen, als ob gerade ein Österreicher runtergefahren wäre, dann ist das richtig geil.
Sie waren in Ihrer Jugend Skifahrer. Wären Sie gern runtergefahren?
Ich hab’ rechts noch ein gerissenes Kreuzband von meinem Dakar-Sturz vor zwei Jahren, als ich mir den linken Oberschenkel gebrochen habe. Das wär’ also nicht optimal gewesen. Aber vielleicht mit dem Lenkbob.
Haben Sie nicht vor, das mittels OP richten zu lassen?
Als Fußballer oder Skifahrer würd ich’s brauchen. Am Motorrad hab ich gelernt, damit umzugehen. Die Muskulatur festigt es. Wenn ich es zeitgleich mit dem linken Oberschenkel operieren hätte lassen, hätte ich einige Wochen im Rollstuhl sitzen müssen. Das wollte ich nicht.
Was würden Sie heute tun, wenn Sie als Motorradfahrer nicht den Durchbruch geschafft hätten?
Ich weiß’ nicht. Vielleicht bei KTM arbeiten in der Entwicklung. Ich habe Einzelhandelskaufmann gelernt. Das würde ich aber sicher nicht machen. Ich sage gern, was ich mir denke. Das ist im Verkauf kontraproduktiv.
Erzählen Sie ein wenig vom Rennen selbst. Wann haben Sie gewusst: Es geht sich aus?
Zehn Kilometer vor dem Ende. Da wusste ich, dass 15 Minuten Vorsprung übrig bleiben. Wäre da noch was passiert, hätte mich auch mein Teamkollege, der hinter mir war, ins Ziel gezogen.
Das ist erlaubt?
Ja. Von Fahrer zu Fahrer. Nur von außen darf natürlich keiner eingreifen. Die letzten zehn Kilometer habe ich richtig genießen können.
Insgesamt sind Sie über 43 Stunden auf dem Motorrad gesessen. Haben Sie sich irgendwann gefragt: Warum tu’ ich mir das eigentlich an?
In diesem Jahr nicht, weil ich immer in der Spitze auf Kurs Richtung Podium dabei war. Aber in den Jahren zuvor war es schon zach. Beim ersten Mal weißt du nicht, worauf du dich einlässt. Die Vorbereitung war dementsprechend nicht so optimal. Das wirkt sich aus.
Ist es richtig, dass Sie Ihre Nahrung aus Österreich mitgenommen hatten, um eine Magenverstimmung zu vermeiden?
Nicht alles, aber einen guten Honig, Olivenöl, viel Studentenfutter, eigenes Wasser aus Österreich und Pesto für die Nudeln. Beim Biwak-Essen, wo sich täglich dreieinhalbtausend Leut’ bedienen und zugreifen, erwischt du schnell irgendeinen Virus, wenn jemand angeschlagen ist. Aber wir hatten auch einen eigenen Koch.
Wenn man dann Hunderte Kilometer unterwegs ist, wird man auch irgendwann sein Geschäft verrichten müssen.
Richtig. Groß geht man entweder in der Früh oder man teilt es sich für eine Verbindungsetappe ein, wo man zum Beispiel 300 Kilometer in vier oder fünf Stunden zurücklegen muss. Wenn man auf einer Spezialetappen pinkeln muss, wo es auf jede Sekunde ankommt, dann rinnt es halt einmal in die Hose oder in die Stiefel. Zum Glück war das heuer nur zwei Mal der Fall. Natürlich ist das nicht angenehm und es geht auch um den Respekt vor dir selber, wenn du sagst: Ich lass’ es einfach rinnen. Aber wenn ich dazu absteige, dann verliere ich sicher eineinhalb Minuten. Ich könnte es nicht mit mir selbst vereinbaren, wenn ich deshalb mein Ziel verpasse.
Wo schlafen Sie?
Wir haben ein Wohnmobil, das habe ich mit Kollege Sam Sunderland, der im Vorjahr gewonnen hat, geteilt. Da schläft man nicht so schlecht, wenn auch mit Schlaftabletten, an die drei bis fünf Stunden pro Tag. Dann haben wir aber auch Marathon-Etappen, wo alle Fahrer zusammenkommen. Das war ein Heereslager in Bolivien. Das ist grauslich.