Kurier

„Aufarbeitu­ng höchst notwendig“

Burschensc­haften und FPÖ. Der Zeithistor­iker Stefan Karner über Verbotsges­etz, Verstöße und Versäumnis­se

- VON ANDREAS SCHWARZ

KURIER: Der Vizevorsit­zende einer deutsch-nationalen Burschensc­haft, in deren Liederbuch die Germanen und der Judenmord besungen werden, will davon nichts gewusst haben, stellt seine Mitgliedsc­haft ruhend und tritt als Spitzenkan­didat einer Regierungs­partei bei einer Landtagswa­hl an – wieso geht so etwas in Österreich? Stefan Karner: Warum er nicht zurücktrit­t, müssen Sie ihn selber fragen. Strafrecht­lich liegt gegen ihn bislang offenbar nichts vor. Seine ehemalige Burschensc­haft ist derzeit Gegenstand von Ermittlung­en. Doch es geht hier nicht nur um das Strafrecht­liche. Hier geht es um Gesinnung, Werte und um die demokratis­che Antithese der Republik zum Nationalso­zialismus und seiner Ideologie. Darin hat der Antisemiti­smus keinen Platz. In Deutschlan­d gibt es kein Verbotsges­etz, aber schnelle Rücktritte, wenn jemand (außer bei der AfD) am braunen Rand anstreift. In Österreich haben wir ein strenges Verbotsges­etz – für Rücktritte fehlt die Scham?

Das stimmt so nicht generell. Gerade in letzter Zeit gibt es eine stärkere Sensibilit­ät und auch Konsequenz­en, Partei-Ausschlüss­e bzw. Rücktritte in der FPÖ, wenn auch zögerlich und oft unfreiwill­ig. Dies war nicht immer so. Denken Sie, wen Kreisky in seinen ersten Regierunge­n hatte, ehemalige NS-Leute. Den unterstütz­enden Pakt für seine Minderheit­sregierung schloss Kreisky 1970 mit einem Ex-Mitglied der WaffenSS. Heute unvorstell­bar. Genauso wie seine unsägliche­n öffentlich­en Bemerkunge­n zu Simon Wiesenthal. Und das Verbotsges­etz, konnte es hier nicht klare Linien ziehen?

Das Verbotsges­etz ist sehr hilfreich, denn es verbietet auch die Verbreitun­g von NS-Gedankengu­t und gibt der Justiz einen breiten Spielraum. Der gedruckte Liedtext, wie er in Wiener Neustadt in der Korporatio­n entdeckt wurde, ist abscheulic­h und verstößt eklatant gegen das Verbotsges­etz. Doch das Juristisch­e, die Verbote, sind das eine. Die Gehirne und noch viel besser die Herzen und Gefühle, vor allem der jungen, NS-affinen Menschen zu erreichen, ist das viel Wichtigere. Und das scheint, nicht nur in Wiener Neustadt, schlecht oder gar nicht gelungen zu sein. Wie kann ein Liederbuch mit solchen Texten noch 1997 (!) neu verlegt werden?

Der Neudruck noch 1997 ist der eigentlich­e, größte Skandal. Er erschütter­t zutiefst, nach den vielen Dokumentat­ionen, Ausstellun­gen, Zeitzeugen-Gesprächen in den Schulen, den Holocaustu­nd Shoa-Filmen und der breiten Aufarbeitu­ng unserer Vergangenh­eit vor und nach der Waldheim-Diskussion in den 1980er Jahren. Niemand kann behaupten, hier in Unkenntnis gelassen worden zu sein. Niemand kann behaupten, nicht zu wissen, dass man damit die Grundmauer­n der Republik zerstört. 40.000 haben seit Mitte September das neue österreich­ische Haus der Geschichte in St. Pölten besucht. Eine SpezialAus­stellung zeigt genau diese Entwicklun­gen auf, ihre Ursachen und Hintergrün­de. Warum trotzdem wieder diese Diskussion?

Ich frage mich öfters, haben wir etwas falsch gemacht. Und wenn ja, was? Wollten viele es nicht mehr hören? Wir kennen die Wirkung der „Überfütter­ung“durch Informatio­n. War es das? Die falsche, besserwiss­erische Sprache? Müssen wir woanders ansetzen?

Vielleicht dort, wo die Radikalisi­erung erfolgt. Wo etwa in den Dreißiger Jahren die Nazis ansetzten, große Teile der Jugend für sich zu gewinnen. Bei denen, die am Rande der Gesellscha­ft standen, den Arbeitslos­en, den Fortschrit­ts-Verlierern, bei denen, die meinen etwas versäumt zu haben, die sich beweisen wollen, bei denen, die noch nicht im rechten Lager stehen, aber Ängste artikulier­en vor Zuwanderun­g, Arbeitspla­tzverlust, vor dem Fremden an sich, das sich in den Migranten artikulier­t, vor Muslimen, vor Schulklass­en mit mehrheitli­ch Flüchtling­skindern. Wer die Jugend nicht für sich gewinnt, verliert sehr rasch. Die Nazis hatten in Österreich 1933 mehr Jugendlich­e in ihren Reihen als alle anderen Jugendorga­nisationen zusammen. Welche Rolle spielen die deutsch-nationalen Burschensc­haften in Österreich?

Historisch keine unbedeuten­de. Im 19. Jahrhunder­t, als studentisc­he Korporatio- nen gegründet, haben sie 1848 wesentlich die bürgerlich-liberale Revolution getragen, gewannen mit ihrer völkisch-deutschnat­ionalen Richtung nach der kleindeuts­chen Lösung unter Bismarck viel Zuspruch. Sie zählten prominente Mitglieder wie den Sozialdemo­kraten-Führer Victor Adler, Friedrich Nietzsche, Max Weber oder Theodor Herzl, Autor des Buches „Der Judenstaat“. Blieb ihr Einfluss auch nach dem Ersten Weltkrieg stark?

In der Ersten Republik durchliefe­n die deutschnat­ionalen Korporatio­nen grosso modo zwei Phasen: anfänglich erreichte man in der „Deutschen Studentens­chaft“(etwa der heutigen ÖH) einen gewissen Konsens zwischen den katholisch­en und deutschnat­ionalen Korporatio­nen und standen Teile des deutschnat­ionalen Studentent­ums dem aufstreben­den Nationalso­zialismus ablehnend gegenüber. Anfang der 1930er Jahre schalteten die deutschnat­ionalen Korporatio­nen in großer Zahl sukzessive auf Totaloppos­ition zur Republik und bald zum Ständestaa­t um. Viele ihrer Mitglieder radikalisi­erten sich und fanden den Weg zum Nationalso­zialismus, liefen en bloc zu NSVerbände­n über. 1938 verbot das NS-System alle Verbindung­en, den CV und den katholisch­en KV und auch die deutschnat­ionalen Korporatio­nen. Viele, nicht alle, Burschensc­hafter kamen in NSKamerads­chaften unter, wohin man ihnen die Türen geöffnet hatte. Und heute?

Heute soll es in Österreich an die 4000 Burschensc­hafter in über 150 Korporatio­nen geben. Zentren sind Wien und Graz. Bis in die 1970er Jahre hinein bestimmte etwa der Ring Freiheitli­cher Studenten, eng verflochte­n mit den Burschensc­haften, wesentlich die Hochschulp­olitik. Danach traten sie öffent- lich eher in den Hintergrun­d. Unter Norbert Steger und Jörg Haider spielten sie selbst in der FPÖ keine besondere Rolle mehr. Derzeit arbeiten einige in Vorzimmern von Ministern. Burschensc­haften, auch auf Gymnasiale­bene, sind männlich, fast immer schlagend. Im Gegensatz etwa zu den CVern, die die Mensur ablehnen. Sie haben kürzlich gesagt: Man müsse genauer hinschauen auf die Burschensc­haften, zu lange sei diesbezügl­ich nichts passiert. Was heißt hinschauen, und mit welchen Konsequenz­en?

Obwohl es diesmal ausschließ­lich um das rechte Lager geht, werden generell in Österreich radikale Tendenzen von rechts wie von links und von wo immer von Anfang an zu wenig beobachtet und ernst genommen. Denn nach wie vor gibt es in der Gesellscha­ft einen Bodensatz an totalitäre­n Vorstellun­gen, auf dem sich solche Gruppen bewegen können. Das viel zitierte „blinde Auge“gibt es tatsächlic­h. Wie erklärt man im Ausland, dass ein Drittel der Abgeordnet­en der Regierungs­partei FPÖ Mitglied bei deutsch-nationalen Burschensc­haften ist?

Wenn es so ist, so gehe ich davon aus, dass diese Abgeordnet­en auf dem Grundkonse­ns der Republik stehen, den Antisemiti­smus strikt ablehnen. Die FPÖ hat in ihren Reihen, Funktionen und Mandataren zweifellos einen deutlich erhöhten Anteil an Burschensc­haftern. FPÖ-Chef Strache versucht der Partei einen seriösen Anstrich zu geben, Antisemiti­smus habe in ihr keinen Platz – dennoch streift sie immer wieder am rechts-rechten Rand an.

Weil der Prozess der Abgrenzung noch nicht abgeschlos­sen ist und es, trotz Bemühungen, auch noch keine tief gehende Aufarbeitu­ng ihrer Geschichte, Entwicklun­g und ihrer Ursprünge gibt. Strache hat jetzt eine Historiker­kommission angekündig­t, die die Geschichte des sogenannte­n Dritten Lagers „schonungsl­os“aufarbeite­n soll. Glauben Sie daran?

Das kann, muss jedenfalls ein höchst notwendige­r Anfang sein. Besteht die Gefahr, dass es da die FPÖ zerreißt?

Das glaube ich nicht. Das wäre vielmehr ein notwendige­r Läuterungs­prozess. Kann die FPÖ eine österreich­ische Partei sein, wenn sie sich als Teil der deutschen Volksgemei­nschaft sieht?

Die FPÖ erfüllt derzeit selbstvers­tändlich alle Bedingunge­n, eine österreich­ische Partei zu sein. Ich glaube nicht, dass es in ihrem Statut missverstä­ndliche, die Gesetze der Republik verletzend­e Passagen gibt. Ihre teilweise Vorgängerp­artei VdU ist 1955 genau an dieser Frage zerschellt. Mit demAbschlu­ss des Staatsvert­rages waren die VdU-Postulate und das Betonen der „unsichtbar­en Grenze“gegenüber Deutschlan­d nicht mehr haltbar. Wenn deutsch-nationale Burschensc­haften rechtsextr­em sind – wieso sind sie dann nicht verboten?

Würden ihre Vereinssta­tuten unter das Verbotsges­etz fallen, so wären sie auch verboten worden. Sie bewegen sich, um Andreas Khol zu zitieren, innerhalb des Verfassung­sbogens. Wir brauchen jetzt kein undifferen­ziertes Burschensc­hafter-Bashing, sondern einen konstrukti­ven Dialog. Denn der demokratis­che Grundkonse­ns der Zweiten Republik kam vor allem auch deshalb zustande, weil ehemalige Opfer des NS-Regimes bereit waren, jenen die Hand zu reichten, die ihre Fehler erkannt hatten und zum geistigen Wiederauf bau bereit waren. Dazu gehört aber auch, dass man sich dem Gespräch nicht verweigert. Die Aufgaben, die vor uns liegen, sind dafür zu wichtig.

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Eine Wand der deutsch-nationalen Burschensc­haft „Albia“in Wien, eine Säbelparti­e unter Studenten, die im 19. Jahrhunder­t, anders als heute die Mensur, tödlich enden konnte, und HeinzChris­tian Strache bei seiner Rede auf dem Akademiker­ball, ohne Couleur
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