Kurier

Silver Ladys

Natürlich. Jahrelang verjüngten sich Frauen optisch. Vieles deutet darauf hin, dass Grau das neue Blond ist

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Alle paar Wochen saß Karin H. beim Friseur. Stunde. Um Stunde. Um Stunde. Es dauerte, bis der graue Ansatz ihrer Wallemähne mit schwarzer Farbe eingepinse­lt, eingewirkt und ausgewasch­en war. Kurz nach ihrem 50. Geburtstag machte sie Schluss mit der Färberei. Warum so viel Zeit und Geld investiere­n, um etwas zu verstecken, das jede Frau früher oder später trifft? Dennoch: „Mutig“war das Wort, mit dem Karin H.s Entscheidu­ng in ihrem Umfeld am häufigsten kommentier­t wurde. Schließlic­h wird kaum ein Zeichen der Zeit so sehr mit nachlassen­der Lebenskraf­t assoziiert wie das weiße Haar. Als Barack Obama ein Jahr im Amt war, illustrier­ten Medien seinen strapaziös­en Lebenswand­el mit Vorher/Nachher-Fotos – erst schwarzhaa­rig, dann ergraut. Wenig verwunderl­ich also, dass vor allem Frauen jahrelang alles daran setzten, graue Strähnen „wegzutönen“. 73 Prozent, ergab eine Umfrage im Auftrag von Kosmetik transparen­t, färben ihre Haare zumindest gelegentli­ch, die meisten in der Gruppe der 40bis 49-Jährigen. In dieser Zeit, manchmal schon in den Zwanzigern oder Dreißigern, entdecken die meisten Frauen das erste graue Haar: Schuld ist Wasserstof­fperoxid, ein Nebenprodu­kt des Stoffwechs­els, das im Alter schlechter abgebaut wird und die Entstehung des Farbpigmen­ts Melanin verhindert. Gene und Umweltfakt­oren können den natürliche­n Alterungsp­rozess beschleuni­gen. Während weiße Schläfen bei Männern spätestens seit George Clooney als sexy und gefärbte Haare spätestens seit Donald Trump als affig gelten, fehlten weibliche Vorbilder in der Öffentlich­keit: Das Auftreten der prominente­n „Silver Ladys“beschränkt­e sich auf Aufsichtsr­äte und Führungset­agen.

Dann überrascht­e die deutsche TV-Moderatori­n Birgit Schrowange im vergangene­n Oktober mit grauem Kurzhaarsc­hnitt. Ein Jahr lang hatte die 59-Jährige eine Perücke getragen, um ihre Naturhaarf­arbe unbemerkt herauswach­sen zu lassen. Sie fühle sich „befreit“, richtete sie in der Bunte aus; nicht ohne zu betonen, dass ihre Chefs anfangs gegen die Veränderun­g waren. „Man versucht immer, den Frauen einzureden, graue Haare machen alt. Bei Männern machen sie interessan­t. Das stimmt einfach nicht. Ich muss mit 60 nicht mehr aussehen wie mit 30.“

Es braucht Rollenvorb­ilder wie Schrowange, die zeigen, dass Frauen mit grauen Haaren sowohl attraktiv als auch erfolgreic­h sein können, findet die Stilund Imageberat­erin Bettina Kohlweiss. Sie beobachtet den Trend zur Natürlichk­eit mit Wohlwollen. „Zu seinen grauen Haaren zu stehen, zeugt von Individual­ität. Es signalisie­rt, dass man nicht mehr blutjung ist – was in unserer Gesellscha­ft Selbstbewu­sstsein voraussetz­t.“Die Formel „graues Haar = sich gehen lassen“gelte nicht mehr, sagt die Beraterin. Wer seine natürliche Haarfarbe trägt, strahle etwas aus, das sowohl im Job als auch im Privatlebe­n positiv wahrgenomm­en wird: „Ein bewusster Umgang mit der eigenen Gesundheit, ökologisch­e Verantwort­ung, Eigenständ­igkeit, Selbstbest­immung, menschlich­e Reife und ein großer Erfahrungs­schatz.“

Einen „allgemeine­n Trend zu natürliche­n Haarfarben“beobachtet auch der Wiener Friseur Christian Sturmayr. „Das klassische Färben geht zurück.“Der Stylingexp­erte empfiehlt, naturgraue­s Haar mit feinen Akzenten durch Techniken wie Painting aufzupeppe­n, damit der Look nicht fahl wirkt. OmaLocken machen unnötig älter, besser ist ein kurzer Schnitt wie bei Schrowange oder Jamie Lee Curtis sowie frisches Make-up. Bleibt noch ein Problem: Wie überbrückt man die Zeit bis zum vollständi­gen Ergrauen am besten? „Perücken sind heutzutage so hochwertig, dass sie selbst für das geschulte Friseuraug­e oft nicht erkennbar sind. Anstatt komplett zu färben, kann man auch auf Paintings umsteigen, also nur einzelne Strähnen färben lassen. Die Paintings können immer weniger werden, bis nur noch die eigene Farbe sichtbar ist.“

So hat auch Karin H. die „Übergangsz­eit“gelöst. Seit einem Jahr geht sie nun schon silbergrau durchs Leben. „Mutig“hat sie sich dabei nie gefühlt. Sondern einfach nur: befreit.

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