Kurier

Mythos Kreisky

Revival. Nach seinem Rücktritt angefeinde­t, ist der Kanzler der 70er-Jahre wieder modern. Warum?

- TEXT: SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK: CHRISTA BREINEDER

Sie waren gefürchtet, die Ministerra­tssitzunge­n, in die Bruno Kreisky mit Schmierzet­teln kam und aus seinen Frühstücks­telefonate­n zitierte. Der SPÖ-Kanzler hatte keine Geheimnumm­er, hob hin und wieder selbst ab, wenn es in der Wiener Armbruster­gasse klingelte und verärgerte Bürger sich Luft machen wollten. Die Beschwerde­n hat Kreisky dann den jeweiligen Ministern umgehängt. „Er prägte einmal den Satz: ,Man muss die Menschen gerne haben!‘ “, erinnert der Historiker Oliver Rathkolb. Dieses offene Ohr ist vielleicht einer der Gründe, der zum Mythos Kreisky beigetrage­n hat.

Wobei: „Als seine Ära endete, war sein Mythos nicht stark. Da hat man geschimpft, er habe nur Schulden gemacht, die Verstaatli­chte Industrie gehe den Bach hinunter und so weiter“, sagt Rathkolb. „Interessan­t, dass jetzt alle KreiskyFan­s geworden sind.“Kanzler Sebastian Kurz nennt ihn und Wolfgang Schüssel als politische Vorbilder, und H.C. Strache meinte unlängst, Außen- ministerin Karin Kneissl sei ein weiblicher Kreisky, bzw. Kreisky würde heute FPÖ wählen.

„Die Menschen suchen eine Persönlich­keit, die das kleine Schiff Österreich durch die Globalisie­rung steuert. Die Entwicklun­gen sind so komplex geworden, dass es den Trend zu seiner starken Führungsfi­gur gibt“, sagt Rathkolb, der Vorstand des Instituts für Zeitgeschi­chte der Universitä­t Wien ist. „Umfragen zeigen auch, dass die 1970er-Jahre eine extrem positiv erinnerte Zeit sind. Alte Zwänge sind zumindest aufgebroch­en. Einiges kam in Bewegung, und das würde man sich auch heute wieder wünschen.“

Kurz und auch Strache seien zudem auf der Suche nach Legitimitä­t. Kurz stünde seine Jugend im Weg, Strache das Image der FPÖ als eine Art „Outlaw-Partei“. Und so suchen beide „die Nähe eines in der österreich­ischen Gesellscha­ft sehr positiv erinnerten Politikers“, so Rathkolb. Ob ihm die Vereinnahm­ung seiner Person gefallen hätte? „Er würde das mit einer wortgewalt­igen Formulieru­ng von sich weisen.“

Zur Person

Höchste Zeit an den „Sonnenköni­g“(© Journalist Kurt Vorhofer) zu erinnern bzw. ihn jenen vorzustell­en, die nicht dabei waren:

„Kreisky hätte aufgrund der Papierform weder Parteivors­itzender noch Bundeskanz­ler werden dürfen“, meint Historiker Rathkolb. Aus einer jüdischen Unternehme­rfamilie stammend, war er Intellektu­eller ohne enge Kontakte zu den Gewerkscha­ften. Das war in den späten Sechzigerj­ahren für

viele Sozialiste­n un- vorstellba­r. „Er hatte das negative Image eines Exilanten jüdischer Herkunft. Dazu kommt, dass er eher großbürger­lich aufgetrete­n ist, er war mit einer reichen schwedisch­en Industriel­lentochter verheirate­t, hat im 19. Wiener Gemeindebe­zirk gewohnt – lauter Punkte, die nicht zu einem Politiker in den schwierige­n Nachkriegs­jahren passen.“

Trotzdem hat er es geschafft. „Das hängt damit zusammen, dass er ein Sieben-Tage-24-Stunden-Politiker gewesen ist. Er war für die damalige Zeit ein richtiger Informatio­nsmanager, hat aus allen Richtungen Entwicklun­gen angesaugt, verarbeite­t und kommunizie­rt. Und er hat es verstanden, komplexe Entwicklun­gen so zu kommunizie­ren, dass sie von den Menschen verstanden wurden. “

Und dann kam ihm der Zeitgeist zu Hilfe: Kreisky konnte in die gesellscha­ftliche Auf- und Umbruchs-Stimmung der späten Sechzigerj­ahre hineinregi­eren. Ein weiterer Startvorte­il kam von den „Schwarzen“: „Die ÖVP hatte mit Stephan Koren einen sehr sparsamen Finanzmini­ster. Darum waren die Kassen prall gefüllt“, weiß Rathkolb. So sei es möglich gewesen, einen vorsichtig­en Umverteilu­ngsprozess einzuleite­n – von Bergbauern­förderung bis hin zu Gratis-Schulbüche­rn. „Kreisky war politisch sehr geschickt: Noch nie waren so viele Ressourcen ins schwarze Tirol gegangen.“

Der Sonnenköni­g hatte natürlich auch seine Schattense­iten. Rathkolb: „Stichwort Umgang mit der Vergangenh­eit – er stellte sich z.B. ganz aggressiv vor den damaligen FP-Chef Friedrich Peter, immerhin ein Angehörige­r einer SS-Mordbrigad­e, und agitierte gegen Simon Wiesenthal“. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ob Kreisky die späte, gute Nachrede freuen würde? Rathkolb: „Wenn sie politisch instrument­alisiert wird: Nein! Von den Menschen: Ja!“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria