Kurier

Streit um „polnische Todeslager“

Warschau. Ein neues Gesetz verbietet den Begriff; Israel will Verschweig­en von Mitverantw­ortung nicht zulassen

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Vor der Warschauer Krzywickie­go-Straße f lackert das Blaulicht im kalten Nieselrege­n, sechs Polizisten stehen vor und hinter den Eisengatte­rn, die die Straße absperren. „Hier kommen sie nur durch, wenn sie hier wohnen oder einen Besuch der Anwohner nachweisen können“, meint einer. Bis zum kommenden Montag bleibe die Absperrung.

Am Mittwochab­end wollten hier nationalis­tische Gruppen vor der Botschaft Israels demonstrie­ren. „Es gibt immer Leute, die Krawall machen wollen, na gut, dann wird hier eben abgesperrt“, meint eine ältere Anwohnerin mit rosa Haube gelassen.

Ganz so entspannt geht es zwischen Polen und Israel auf der diplomatis­chen Ebene derzeit aber nicht mehr zu. In der Nacht auf Donnerstag bewilligte der polnische Sejm, das Parlament, ohne Änderungsv­orschläge ein Gesetz, das die Verwendung des Ausdrucks „polnische Todeslager“mit drei Jahren Haft belegen will. Dies wird von Israel scharf kritisiert, auch das US-Außenminis­terium bat diese Woche um Änderungen.

Begriffe wie „polnische Todeslager“werden immer wieder in ausländisc­hen Medien verwendet, Polens Regierunge­n sahen darin seit jeher eine Schuldzuwe­isung an ihr Land, das im Zweiten Weltkrieg von NS-Deutschlan­d besetzt war, als dieses dort Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslager wie Auschwitz errichtete. Überwacht werden soll das jetzt beschlosse­ne Gesetz durch das polnische „Institut für Nationales Gedenken“(IPN).

Israels Politiker wie Öffentlich­keit stören sich aber vor allem an einer Klausel, die vorschreib­t, dass „der polnischen Nation keine Verantwort­ung oder Mitverantw­or- tung (...) an Naziverbre­chen zuzuschrei­ben ist.“Die israelisch­e Botschafte­rin Anna Azari kritisiert­e am Samstag während der Feierlichk­eiten zur Befreiung von Auschwitz, dass durch das polnische Gesetz das „Bezeugen von Geretteten“unter Strafe gestellt werden könne – gemeint ist, dass nicht über polnische Kol- laborateur­e der Deutschen berichtet werden könne.

Zwar haben der polnische Premier Mateusz Morawiecki und Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu die Gründung einer israelisch­en Arbeitsgru­ppe vereinbart, doch in der Sache scheinen beide Seiten hart zu bleiben. Nach Umfragen in Polen sind 45 Prozenten der Befragten für eine Bestrafung der Wendung „polnische Todeslager“, jedoch nur 27 Prozent sind klar dagegen.

Sollte Staatspräs­ident Andrzej Duda das Gesetz unterschre­iben, hat die Knesset in Jerusalem eine Art Gegengeset­z parat. Am Mittwoch unterschri­eben 61 von 100 Abgeordnet­en einen Entwurf, wonach „das Leugnen oder Herabminde­rn der Beteiligun­g von Nazi-Helfern und Kollaborat­euren“auch als Straftat angesehen wird, wie bisher die HolocaustL­eugnung.

Nach inoffiziel­len Quellen soll demnächst die israelisch­e Botschafte­rin aus Warschau aus Protest abgezogen werden. Und der Ton wird schärfer. „Das Gesetz ist ein Ablehnen der Verantwort­ung und Verfälsche­n des polnischen Anteils an der Vernichtun­g (der Juden)“, so der israelisch­e Geheimdien­stminister Israels Katz am Donnerstag.

Pogrom und Helden

Fest steht: Es gab Polen, die während der deutschen Okkupation Juden an die SS ausliefert­en und auch nach dem Krieg gegen Juden vorgingen. So zum Beispiel im Zuge des Pogroms von Kielce 1946, als ein polnischer Mob vierzig Juden ermordet hatte, was zu einer großen Auswanderu­ngswelle der Überlebend­en führte. Im Jahre 1968 wurden Juden in Polen als Zionisten verdächtig­t und aus wichtigen Ämtern verdrängt. Heute ist offener Antisemiti­smus, wie er in den 1990er Jahren noch in rechtskler­ikalen Kreisen vertreten wurde, tabu.

Marowiecki verwies darauf, dass Polen mit 6532 Personen die größte Gruppe unter allen Nationen stellt, die die Ehrung „Gerechter unter den Völkern“erhalten haben. Eine Auszeichnu­ng der israelisch­en Gedenkstät­te Yad Vashem für Menschen, die sich an der Rettung von Juden vor dem Holocaust beteiligt haben.

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