Kurier

DER PROVOKATEU­R ALS POET

Belvedere 21. Günter Brus wird im Vorfeld seines 80. Geburtstag­s mit einer herausrage­nden Schau gewürdigt

- VON MICHAEL HUBER

Das Belvedere würdigt den Künstler, der im September 80 wird, mit einer Werkschau. Diese zeigt Verbindung­en zwischen Brus’ provokante­n Aktionen der 1960er-Jahre und späteren Zeichnunge­n, Gedichten und Kostümentw­ürfen (Bild: „Das schlaue Füchslein“, 1994)

Günter Brus wird oft als doppelgesi­chtiger Künstler wahrgenomm­en. Den einen gilt er als der radikale Aktionist, der 1968 bei dem Ereignis „Kunst und Revolution“(vulgo „Uni-Ferkelei“) seinen Urin trank und im Hörsaal aufs Pult schiss. Andere wiederum kennen ihn als Schöpfer feingliedr­iger „Bilddichtu­ngen“, ausgeführt mit geschwunge­ner Handschrif­t und wundersame­n Figuren.

Die Schau „Unruhe nach dem Sturm“– die umfassends­te Würdigung, die Brus heuer im Vorfeld seines 80. Geburtstag­s im September zuteil wird – schickt sich nun an zu zeigen, dass es zwischen dem einen und den anderen Werk keinen Bruch, sondern eine Vielzahl von Kontinuitä­ten gibt.

Mehr als 700 Arbeiten sind im oberen Geschoß des 21er Hauses, das seit Kurzem „Belvedere 21“genannt werden will, versammelt – ein dichter Parcours, der sich aber dank eines sensiblen Ar- rangements primär durch ästhetisch­e Verbindung­en und ohne viel didaktisch­es Textwerk erschließt.

Im Grunde stets Maler

Am augenfälli­gsten ist wohl die Erkenntnis, dass sich Brus auch in seinen radikalste­n Aktionen wie auch im späteren Werk noch der Malerei verpflicht­et fühlte.

Der größte Saal der Ausstellun­g, in dem gestisch-abstrakte Bilder der frühen 1960er-Jahre der umfassende­n Foto-Dokumentat­ion der Aktion „Ana“(1964) gegenüberg­estellt sind, spannt hier den Rahmen auf: Nach der ungestümen Malerei auf Leinwand wurde der zu Beginn der Aktion in weißes Tuch gewickelte Künstler zum Maler, zum Pinsel und zum Bildgrund zugleich, breitete sich auf den weiß getünchten Raum aus und verschlang mit der Bemalung des Interieurs und seiner Frau Anna gleich auch das Stillleben, die Aktmalerei und andere Genres in einem Akt der Selbst-Kannibalis­ierung.

Vieles, was der Künstler sonst noch tat – von der als Film gezeigten „Selbstbema­lung“(1965) über den berühmten „Wiener Spaziergan­g“(1967) bis zur „Zerreißpro­be“, mit der Brus 1970 sein aktionisti­sches Werk beendete – wurzelt hier.

Die Hinwendung zur Zeichnung und zur Schrift vollzog sich, so Kurator Harald Kreijci, in Berlin: Infolge der Aktion „Kunst und Revolution“zu einer Haftstrafe verurteilt, f lüchtete Brus in die deutsche Hauptstadt und traf dort mit Protagonis­ten der Wiener Gruppe wie Gerhard Rühm und Oswald Wiener zusammen.

Gesammelte Werke

Wie die Schau demonstrie­rt, funktionie­rte die Bildfindun­g ab 1970 aber nicht so grundlegen­d anders als bei Brus’ Aktionen: Wie in einer Collage sammeln sich auf den Blättern Ausdrücke in Schrift- und Bildform und entwickeln eine Dynamik zueinander. Die Idee der Bildfläche als Sammelbett, die der US-Kritiker Leo Steinberg 1968 mit dem der Drucktechn­ik entlehnten Begriff „f latbed picture plane“fasste, fällt einem dazu ein.

Dass auf Brus’ Sammelfläc­hen auch mehrere Künstler Platz hatten, zeigt ein Saal mit kollaborat­iv erstellten Bildern. Unterschie­dliche Werkgruppe­n werden dort rotierend gezeigt, die Zusammenar­beit mit Arnulf Rainer macht den Anfang. Brus überschrie­b Rainers Malerei 1984 etwa mit Aphorismen: „Am Leben bleibt, wer nicht daran klebt, sondern hauchdünn davon entschwebt“, heißt es an einer Stelle.

Die Lebendigke­it dieser Kunst, die in der geballten Präsentati­on stellenwei­se tatsächlic­h überwältig­t, hat auch mit Dünnhäutig­keit und Sensibilit­ät zu tun: Das Bild des Künstlers als Seismograf­en ist bei Brus kein hohles Klischee, innerer Antrieb und äußere Getriebenh­eit werden in den Bildern sichtbar. Es geht um Beziehunge­n, Familie, um Sex oder die Unerträgli­chkeit gesellscha­ftlicher Zustände. Die Provokatio­n um ihrer selbst willen bleibt jedoch außen vor.

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 ??  ?? Der Aktionist als Maler, Pinsel und Bildgrund zugleich: Günter Brus in der Aktion „Ana“von 1964
Der Aktionist als Maler, Pinsel und Bildgrund zugleich: Günter Brus in der Aktion „Ana“von 1964
 ??  ?? Günter Brus schuf zahlreiche Bilder gemeinsam mit anderen Künstlern, wie hier mit Arnulf Rainer: Werk aus der Serie „Pflanzenbi­lder – Innerhalb der Märchensch­eide“, 1984
Günter Brus schuf zahlreiche Bilder gemeinsam mit anderen Künstlern, wie hier mit Arnulf Rainer: Werk aus der Serie „Pflanzenbi­lder – Innerhalb der Märchensch­eide“, 1984

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