Der Sportler steht nicht mehr Mario Stecher.
Olympiasieger, Weltmeister und ein Mann klarer Worte. In seiner Kolumne „Gut kombiniert“wird Mario Stecher für den KURIER die Spiele in Korea analysieren.
Mario Stecher war von 1994 bis 2014 bei sechs olympischen Winterspielen am Start und ist damit der österreichische Rekordteilnehmer. In Turin (2006) und in Vancouver (2010) holte der 40-jährige Eisenerzer mit dem Kombinierer-Team Gold. Bei den Spielen in Pyeongchang ist Mario Stecher als Experte für den im Einsatz und beobachtet für den KURIER als Kolumnist die Spiele. KURIER: Ist es nicht komisch, nach so vielen Winterspielen plötzlich auf der anderen Seite zu stehen? Mario Stecher: Als letzte Woche die Einkleidung war und die Verabschiedung durch den Bundespräsidenten, ist mir das so richtig bewusst geworden. Okay, jetzt bist du wirklich nicht mehr dabei. Sind Sie etwa sentimental?
Nein, nein, die Zeit ist vorbei, ich habe mit dem Leben als Spitzensportler komplett abgeschlossen. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich bei Olympia alles erreicht habe und mir es jetzt Spaß macht, den Sport von einer anderen Seite kennenzulernen und zu betrachten. Hat das Karriereende Ihre Sicht auf den Sport verändert?
Definitiv. Als Aktiver hast du im Grunde immer den totalen Tunnelblick. Da schaut man eher selten nach links und rechts, sondern verfolgt seinen Weg und seine Aufgaben. Muss man auch. Und jetzt?
Jetzt passiert es mir immer wieder, dass ich in dem einen oder anderen Sportler den Mario Stecher wiedersehe. Ich fühle mich beim Zusehen immer wieder an meine Karriere zurückerinnert. Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Zum Beispiel wenn sich ein Sportler zu sehr reinsteigert, zu sehr verkopft und einen Weg geht, der nicht wirklich zielführend ist. Oder wenn sich einer im Training extrem ärgert, obwohl es in dem Moment eigentlich um gar nichts geht. Da entdecke ich mich wieder und denke mir: Wenn du jetzt nur eine ganz kleine Sache ändern würdest, wenn du nur ein bisschen weniger besessen wärst, dann würde es doch viel einfacher gehen. Ich finde das faszinierend zu beobachten. Der Sport allgemein ist für mich viel, viel interessanter geworden, seit ich selbst nicht mehr aktiv bin. Und ich sehe überall Parallelen. Welche Parallelen?
Die Karriere, die ich hatte, mit all den Aufs und Abs, mit den Problemen, die mich begleitet haben, die kannst du im Grunde auf alle Sportarten und auf alle Athleten einprojizieren. Nehmen wir zum Beispiel Marcel Hirscher. Was ist mit ihm?
Wenn einer so einen Lauf hat wie Marcel Hirscher in diesem Winter, dann kenn’ ich das und weiß, wie sich das anfühlt. Da bist du in einem Modus, dass du Fehler machen kannst und trotzdem gewinnst oder zumindest vorne dabei bist. Und umgekehrt?
Das ist ja das Interessante, dass es diesen Effekt in die andere Richtung auch gibt. Mir fällt da jetzt gerade Michael Matt ein. Der fährt bei den Slaloms in Wengen und Kitzbühel um den Sieg, ist souverän und sicher, dann fällt er zwei Mal hintereinander aus – und plötzlich wird’s schon schwieriger. Aber das Skispringen ist in dieser Hinsicht wohl am Extremsten. Warum das?
Du brauchst als Skispringer nur einmal einen schlechten Wind haben, es muss dich nur einmal runterholen. Da kannst du noch so die beste Form haben, du fängst dann zwangsläufig zu denken an. Und irgendwann kommt dann der Punkt, an dem du plötzlich nicht mehr an deine Fähigkeiten glaubst. Dieses Phänomen ist gerade bei den österreichischen Springern zu beobachten.
Genau. Du kannst in der Vorbereitung noch so viele Dinge richtig gemacht haben – wenn einmal der Wurm drin ist, dann kann es dich so erwischen. Und die Spirale dreht sich nach unten, und auf einmal weißt du nicht mehr aus und nicht mehr ein. Glauben Sie mir, ich kenne das aus eigener Erfahrung: Um die Überzeugung und Sicherheit zu haben, dass ich in Form bin, das hat oft Wochen gedauert. Aber dass es dich aus der Bahn wirft, dass du die Leichtigkeit verlierst und zu zweifeln beginnst, da hat oft schon ein negatives Erlebnis gereicht. Andererseits ...