Kurier

Kritik an Ärzten 140.000 süchtig nach Pille gegen Depression

Benzodiaze­pine. Medikament wird in Österreich trotz bekannten Suchtrisik­os Millionen Mal verkauft

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Ärzte verschreib­en sie als Mittel gegen Schlafstör­ungen, Angstzustä­nde und Depression­en – die Benzodiaze­pine. Doch wie Erhebungen des Gesundheit­sministeri­ums zeigen, ist die Gefahr, davon abhängig zu werden, erheblich. Zudem steigt durch die Pillen das Unfallrisi­ko im Straßenver­kehr. Drogen-Expertin Gabriele Fischer sieht eine Ursache für die häufige Verschreib­ung im Psychiater­Mangel. Oft würden Hausärzte ohne adäquate Ausbildung ihre Patienten therapiere­n. Mittlerwei­le fand das Thema Eingang ins Medizinstu­dium.

Sie sind wahre Wundermitt­el: Benzodiaze­pine helfen gegen Schlafstör­ungen und Angstzustä­nde oder bei Depression­en. Entspreche­nd oft werden sie Patienten verschrieb­en. Doch das Wundermitt­el hat einen Haken: Es macht rasch süchtig. Rund 140.000 Österreich­er sollen laut Schätzunge­n des Gesundheit­sministeri­ums davon abhängig sein. Laut einer Erhebung von IMS Health wurden allein im Jahr 2016 in Österreich mehrere Millionen Packungen verkauft.

Gabriele Fischer leitet die Drogenambu­lanz im Wiener AKH. Sie will Benzodiaze­pine nicht per se verteufeln. „Diese Medikament­e sind nicht wegzudenke­n, sie sind großartig. Aber wenn sie zu lange oder in zu hoher Dosis eingenomme­n werden, bringt das Probleme.“Menschen würden plötzliche „absurde Handlungen setzen“, sagt sie. Die Konzentrat­ion leidet, Betroffene werden vergesslic­her und umständlic­her. „Und schließlic­h birgt das auch Gefahren im Straßenver­kehr“, sagt Fischer. Bei der Polizei nimmt man das Problem sehr wohl wahr – speziell bei Verkehrsko­ntrollen. Genaue Zahlen führt man aber nicht. Auch Richter werden laufend in Verfahren mit der Substanz konfrontie­rt.

Eine Ursache sieht Fischer im Psychiater-Mangel. Betroffene würden oft vom Hausarzt therapiert. „Da gibt es ein Ausbildung­s- defizit, teils wird zu viel Benzodiaze­pin verschrieb­en“, meint sie. Wobei: Mittlerwei­le würde dieses Thema im Medizinstu­dium behandelt werden.

Ein Umstand, den Christa Radoš, Präsidenti­n der Ös

terreichis­chen Gesell- schaft für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik, als „Meilenstei­n“bezeichnet. „Bis 2015 war das Fach Psychiatri­e in der Ausbildung von Allgemeinm­edizinern nicht vorgesehen. Jetzt gibt es drei Monate verpflicht­ende Ausbildung. Das Bewusstsei­n für die Problemati­k steigt.“

Doch Kontrollsy­stem gibt es keines. „In Österreich sind das die Krankenkas­sen. Da diese Medikament­e billiger sind als die Rezeptgebü­hr, fällt das nicht auf “, meint Suchtthera­peutin Fischer.

Erste Station: Hausarzt

Die Kritik will Edgar Wutscher, Obmann der Sektion der Allgemeinm­ediziner, nicht auf seinem Berufsstan­d sitzen lassen. „Dieser Vorwurf kommt immer wieder auf. Aber der Hausarzt ist nun einmal der erste Ansprechpa­rtner. Und wir unterschät­zen Benzodiaze­pine nicht. Wir wissen um ihr Suchtpoten­zial.“

Als Hausarzt sei man täglich mit Patienten konfrontie­rt, die an psychische­n Erkrankung­en leiden. „Diese Erkrankung­en nehmen zu. Auch deshalb, weil der Stress wächst und die Gesellscha­ft erwartet, dass man funktionie­rt. Du darfst heute einfach nicht mehr sagen: ,Mir geht’s schlecht.’ Das wird nicht mehr akzeptiert.“Entspreche­nd würden auch die Verschreib­ungen derartiger Medikament­e zunehmen.

Laut dem „Epidemiolo­giebericht Sucht“des Gesundheit­sministeri­ums sind Benzodiaze­pine zwar rückläufig, dennoch „gaben 13 Prozent aller Klienten, die 2015 eine längerfris­tige ambulante Betreuung begannen, Benzodiaze­pine als Leitdroge an. (...) Frauen nennen Benzodiaze­pine mit 17 Prozent deutlich öfter als Männer (12 Prozent).“Bei 123 Todesfälle­n durch Drogen 2015 seien 89-mal Benzodiaze­pine festgestel­lt worden. Das liege daran, dass Süchtige auch oft an psychische­n Erkrankung­en leiden.

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