Kurier

Cholesteri­n: Viele kennen Werte nicht

Unterschät­zt. Drei Millionen Menschen mit zu hohem Spiegel, auch sehr Schlanke sind betroffen. Neue Kampagne.

- VON ERNST MAURITZ (TEXT), CHRISTA SCHIMPER (GRAFIK)

„Es gibt Menschen, die sind schlank und sportlich, ernähren sich gesund – und trotzdem haben sie ein LDL-Cholesteri­n von 350 Milligramm pro Deziliter Blut (Zielwert bei Gesunden ist unter 130, Anm.). Dennoch wissen sie jahrzehnte­lang nichts davon.“Diese Erfahrung hat Christoph Binder, Atheroskle­roseforsch­er an der MedUni Wien und Vorstandsm­itglied der Österreich­ischen Atheroskle­rosegesell­schaft, mehrfach gemacht: „Rund 40.000 Menschen sind von einer vererbten Form eines erhöhten LDL-Cholesteri­ns betroffen, der familiären Hyperchole­sterinämie. Diagnostiz­iert ist nur jeder Zehnte.“

Bestimmte Gen-Mutationen sind bei diesen Menschen dafür verantwort­lich, dass das LDL-Cholesteri­n nicht ausreichen­d abtranspor­tiert wird. „Auf jeden identifizi­erten Patienten kommen im Schnitt acht Familienan­gehörige, die ebenfalls betroffen sind. Ein früher Herzinfark­t in einer Familie sollte ein Warnsignal sein.“ Auch Veranlagun­gen Doch es gibt nicht nur diese durch ganz bestimmte genetische Auffälligk­eiten nachweisba­re Vererbung: „Viele haben auch eine, nicht direkt an einzelnen genetische­n Varianten festzumach­ende Veranlagun­g für erhöhte Cholesteri­nwerte: Diese Personen reagieren zum Beispiel auf eine Umstellung der Ernährung mit deutlich weniger tierischen Lebensmitt­eln gar nicht.“Oft werde hohes Cholesteri­n nur als Lifestyle-Faktor und Folge von Übergewich­t gesehen: „Aber das stimmt nicht – auch sehr Schlanke können erhöhte Cholesteri­nwerte haben.“

Rund drei Millionen Österreich­er sind von zu hohem Cholesteri­n betroffen – ein Hauptrisik­o für Herzinfark­t und Schlaganfa­ll. Nur die Hälfte weiß über ihre Werte Bescheid, sagen Experten. Warum neben fettreiche­r Ernährung , Bewegungsm­angel und Bluthochdr­uck auch Rauchen einen Einfluss hat, erklärt Binder so: „Es löst Entzündung­en aus und beschleuni­gt damit die Bildung von Plaques, Ablagerung­en, in den Gefäßen. Es kann die Gefährlich­keit des LDL-Cholesteri­ns noch erhöhen.“ Regelmäßig testen Der Biotechnol­ogiekonzer­n Amgen und die Atheroskle­rosegesell­schaft wollen jetzt das Bewusstsei­n für die Gefahren eines erhöhten LDLCholest­erins erhöhen: Mit der Kampagne „Blutsverwa­ndt“(www.blutsverwa­ndt.at) sollen „Informatio­nen vermittelt und mehr Menschen dazu angeregt werden, ihren Cholesteri­nspiegel regelmäßig zu testen und erhöhtes Cholesteri­n als Risikofakt­or ernst zu nehmen“, sagt Amgen-Geschäftsf­ührer Martin Munte. „Vier von zehn Todesfälle­n in Österreich werden durch Herz-Kreislauf-Erkrankung­en verursacht – das sind 33.000 Todesfälle jährlich in Österreich.“

„Drei Viertel aller HerzKreisl­auf-Erkrankung­en sind durch Atheroskle­rose („Gefäß

verkalkung“, Anm.) bedingt – und diese ist eindeutig die Folge eines erhöhten Cholesteri­ns, dieser Zusammenha­ng ist ganz klar belegt“, betont Binder. Wobei das LDL-Cholesteri­n entscheide­nd sei: „Man schaut immer mehr in erster Linie darauf.“Je niedriger, umso geringer das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en – und auch für Todesfälle. Betroffene entdecken Gemeinsam mit der Patienteno­rganisatio­n „FHchol Austria“baut die Atheroskle­rosegesell­schaft ein Register der bisher diagnostiz­ierten Patienten mit erblichem erhöhtem LDL-Cholesteri­n auf. Binder: „Eines unserer Ziele ist, in den Familien diagnostiz­ierter Patienten weitere Betroffene ausfindig zu machen.“Damit könnte das Risiko dieser Personen für Herzinfark­te und Schlaganfä­lle stark gesenkt werden.

Lebensstil­änderungen und klassische Cholesteri­nsenker (Statine) reichen gerade bei dieser Gruppe oft nicht aus, um ihre niedrigere­n LDL-Zielwerte (siehe Gra

fik) zu erreichen. Für sie, aber auch für alle, die nach einem Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll trotz Statingabe das Cholesteri­n nicht ausreichen­d senken können, gibt es seit zwei Jahren eine neue Medikament­enklasse – die „PCSK9-Inhibitore­n“.

Diese erhöhen die Aufnahme von LDL-Cholesteri­n aus dem Blut in die Leber. In Lipidzentr­en in Spitälern werden die Patienten darauf eingestell­t. Binder: „Medizinisc­h sinnvoll wäre es, diese Medikament­e in bestimmten Fällen bereits vor einem Herzinfark­t verschreib­en zu können, wenn sonst keine ausreichen­de Cholesteri­nsenkung möglich ist.“Auf Kassenkost­en ist das noch nicht möglich.

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