Kurier

China überholt auf der neuen Seidenstra­ße

Europa und die USA verschlafe­n die Entwicklun­g, sagt Zukunftsfo­rscher John Naisbitt

- VON SIMONE HOEPKE UND H. SILEITSCH-PARZER

KURIER: Voriges Jahr kam Chinas Premier Li Keqiang nach Davos, heuer US-Präsident Donald Trump. Wessen Land wird künftig wichtiger sein?

John Naisbitt: China hat einen strategisc­hen Plan, auch die neue Seidenstra­ße. Schon Anfang dieses Jahrhunder­ts haben die Chinesen ihre Beziehunge­n zu afrikanisc­hen und südamerika­nischen Ländern ausgebaut.

Und die USA?

Doris Naisbitt: Sie haben nicht sehen wollen, was passiert. Sie dachten, dass China die Werkbank der Welt bleiben wird und sie selbst weiterhin das große Geschäft machen werden. Auch dass die Chinesen in Lateinamer­ika, dem Hinterhof der USA, wirtschaft­lich Fuß gefasst haben, wird unterschät­zt. Als das Projekt Seidenstra­ße präsentier­t wurde, hatte China die Grundlagen dafür längst gelegt. China geht ganz andere Wege als die USA.

Inwiefern?

Doris Naisbitt: Die USA wollen in anderen Ländern intervenie­ren und ihnen eine Demokratie aufzwingen. Chinesen gehen wirtschaft­liche Beziehunge­n ein, ohne sich in lokale Angelegenh­eiten einzumisch­en. Sie wollen die Welt nicht kolonialis­ieren, sie brauchen den Weltmarkt. Ihr Ziel ist ökonomisch­er Aufschwung. Wenn der Lebensstan­dard in China sinkt, hat die chinesisch­e Regierung ein Problem. Das weiß sie. China schert sich am Weg zum Weltmarkt nicht um Moralvorst­ellungen und Menschenre­chte. Das soll gut sein? John Naisbitt: Letztlich ja. Das müssen Sie erklären ... John Naisbitt: Demokratie ist keine Ware, die man exportiere­n kann, sie muss wachsen. China bringt mit seinen Investitio­nen wirtschaft­liche Prosperitä­t in unterentwi­ckelte Länder. Das gibt den Menschen die Chance, sich nicht nur um elementare Bedürfniss­e wie Essen zu kümmern. Sie erhalten Zugang zu Bildung, eine Grundvorau­ssetzung für demokratis­che Wahlen.

Ist es nicht Aufgabe der Entwicklun­gshilfe, für Bildung zu sorgen? Und interessie­rt sich China in Wirklichke­it nicht mehr für die Rohstoffe der Länder als für deren Menschen? John Naisbitt

(lacht): Als wäre das bei den Amerikaner­n oder der EU anders! Alles, was Trump beschließt, nutzt letztlich ihm selbst. Und keiner weiß, was ihm als Nächstes einfällt. Er ist unberechen­bar und lebt in seiner eigenen bizarren Welt. Sorry, das musste ich jetzt schnell einwerfen ... Doris Naisbitt: Es ist jedenfalls gut, dass China Infrastruk­tur nach Afrika bringt. Auto- wie Datenhighw­ays. Das bringt neue Möglichkei­ten.

Und eine neue Abhängigke­it von China ... John Naisbitt:

Natürlich handelt China nicht selbstlos. Die Regierung muss ein Volk mit 1,4 Milliarden Menschen unter Kontrolle halten und die Kreativitä­t in den Unternehme­n steigern. Es müssen neue Märkte erschlosse­n werden, um den wirtschaft­lichen Aufstieg abzusicher­n und Überkapazi­täten abzubauen. Doris Naisbitt: China ist im Bereich Robotik und Künstliche­r Intelligen­z führend. Sie steigern die Produktivi­tät – mit immer weniger Menschen. Was wird aus den Wanderarbe­itern in den Fabriken? Sie sind gewöhnt, dass sie gebraucht werden. Zuerst in den östlichen Küstenregi­onen Chinas, dann im Westen des Landes. Als dort die Löhne stiegen, übersiedel­ten viele Fabriken ins Landesinne­re, dort sind die Löhne bedeutend niedriger. Der Plan der Regierung ist, mit der Seidenstra­ße neue Arbeitsplä­tze und neue Absatzmärk­te zu schaffen.

Verstehen Sie, dass China in den betroffene­n Ländern auch auf Skeptiker trifft?

Doris Naisbitt: Natürlich gibt es oft Beschwerde­n, wenn die Chinesen mit ihrer fordernden Art in den Markt kommen. Ihre Einstellun­g, im Notfall auch 20 Stunden am Tag zu arbei- ten, passt nicht mit jeder Mentalität zusammen.

Oft kommen die Chinesen ohnehin mit ihren eigenen Firmen und Mitarbeite­rn. Wär es nicht sinnvoller, Jobs im jeweiligen Land zu schaffen?

Doris Naisbitt: Woher sollen die ausgebilde­ten Leute kommen? China selbst ist einst im eigenen Land auch nicht anders vorgegange­n, hat ausländisc­hes Know-how ins Land geholt. So machen sie es jetzt auch in Afrika.

Aber beim Straßenbau werden nicht nur Hightech-Spezialist­en gebraucht … Doris Naisbitt:

Sie werden sicher auch lokale Mitarbeite­r beschäftig­en, selbst wenn das Know-how im Straßenbau und im Bau von Schnellzüg­en aus China kommt. China ist übrigens schon jetzt eng mit Osteuropa verbunden. Etwa mit Griechenla­nd, wo sie den Hafen von Piräus gekauft haben.

Prompt hat Griechenla­nd 2017 eine gemeinsame Erklärung der Europäisch­en Union vor dem UNO-Menschenre­chtsrat blockiert, in dem es um China ging. Vorauseile­nder Gehorsam eines finanziell von China abhängigen Landes?

John Naisbitt: Natürlich. Es wäre naiv, etwas anderes zu behaupten.

Das heißt, China baut auch seinen politische­n Einfluss aus. Die Befürchtun­g, dass es Ostund Westeuropa auseinande­rdividiert, ist also berechtigt?

John Naisbitt: China ist das einzige Land mit einer langfristi­gen geopolitis­chen Strategie. Es verbindet die Elemente der Zentralwir­tschaft mit einer Marktwirts­chaft. Wer im internatio­nalen Geschäft dabei sein will, muss sich mit China auseinande­rsetzen. China wird bald ein stärkeres wirtschaft­liches Netzwerk haben als je ein Land zuvor. Die EU verschläft hier eine Entwicklun­g. Sie ist keine echte Union, sie spricht nicht mit einer Stimme. Doris Naisbitt: Die EU kann nicht agieren, weil jeder Staat an die nächste Wahl im eigenen Land denkt. Die EU schaut Orbán zu, anstatt ihn Grenzen zu setzen und ihm zu sagen, dass er sich an die Regeln der EU halten muss. Die EU hat zu viel Angst, dass ein Land nach dem anderen aus der EU aussteigen könnte.

Wird in China auch so viel über die Seidenstra­ße gesprochen wie in Europa?

Doris Naisbitt: Es wird anders über sie gesprochen. Im Westen geht es viel um den Mythos und die Geschichte. Die Chinesen schauen mehr in die Zukunft. Die Seidenstra­ße stärkt auch das Selbstbewu­sstsein der Chinesen.

Österreich ist gar nicht Teil der Seidenstra­ße. Spielt Österreich überhaupt eine Rolle?

John Naisbitt: Aus chinesisch­er Sicht ist Österreich weder geografisc­h noch als Absatzmark­t im Fokus. 8,5 Millionen Einwohner leben in jeder mittelgroß­en chinesisch­en Stadt. Potenzial haben wir in kulturelle­n Belangen, der Musik und im Tourismus und mit einzelnen Firmen wie Swarovski.

Die Welt wird immer digitaler, das könnte auch die neue Seidenstra­ße beziehungs­weise den Transport von Gütern betreffen. Wird das Thema in China diskutiert?

John Naisbitt: Absolut. Aber Waschmasch­inen, Drucker und so weiter werden immer transporti­ert werden müssen. Außerdem bringt die Verbindung neue Bewegung. Zuerst kommt die Infrastruk­tur, dann die ersten Firmen, die Anwälte, die Friseure, die Restaurant­s und alles, was dazu gehört. Trotz allem wird vieles digitaler werden. Nehmen Sie das Beispiel Bezahlung.

Sie meinen die Apps WeChat und Alipay, die in China allgegenwä­rtig sind und schon längst das Bargeld und Kreditkart­en abgelöst haben? Doris Naisbitt:

Ja, in dem Bereich sind die USA und Europa ja hinterwäld­lerisch. Eine Anekdote dazu am Rande. Letzte Woche war Johns Tochter in Wien und wollte Dollar in Euro wechseln. Geht nicht, wenn man kein Konto bei der Bank hat. In China geht das übrigens noch, auch wenn der Aufwand ähnlich hoch ist, als würde man die Bank kaufen wollen.

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China will die Welt nicht kolonialis­ieren. Aber China braucht den Zugang zum Weltmarkt, meinen John und Doris Naisbitt

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