Angela Merkels vierte Koalition steht – fast
Noch fehlt SPD-Mitgliederentscheid
Eigentlich wollte man schon vor Tagen fertig sein, gedauert hat es bis Mittwochvormittag: Union und SPD haben sich auf einen 177-seitigen Koalitionsvertrag geeinigt. Personell kommt die CDU unter Kanzlerin Angela Merkel der SPD sehr entgegen. Sie gesteht ihr Schlüsselressorts wie das Finanzund Arbeitsministerium zu. Damit will man erreichen, dass der Pakt wirklich hält, denn die SPD muss ihn noch ihren Mitgliedern vorlegen. Dort ist die Kritik ob des schlechten Wahlergebnisses und der MerkelVerdrossenheit groß. Der angeschlagene SPD-Chef Martin Schulz wird deshalb auch seinen Posten räumen. Er wird zwar das Außenamt leiten, den Parteivorsitz soll Fraktionschefin Andrea Nahles übernehmen.
Mehrals23Stundensindvergangen. Angela Merkel fährt durch die Tiefgarage aus der CDU-Zentrale, schnell den Blazer wechseln, bevores vor diePressegeht. DieSPD-Spitze verkündet die Einigung mit einem Selfie: „Müde. Aber zufrieden! Der Vertrag steht!“Generalsekretär Lars Klingbeilgrinst, flankiertvon Olaf Scholz und Andrea Nahles – aus dem Eck lächelt Parteichef Martin Schulz. Was sofort Spekulationen zu seiner Zukunft auslöst.
So wenig in den vergangenen Tagen durchsickerte, so schnell hagelte es nach der offiziellen Einigung Meldungen. EsgingabernichtumLösungen der großen Streitpunkte in der Gesundheitsund Arbeitsmarktpolitik, die die Verhandlungen so zäh machten, sondern um Personalien. Schnell wird klar: Zum Ärger vieler CDUler hat die SPD die Schlüsselressorts Finanzen, Auswärtiges Amt und Arbeit bekommen. Es wirkte fast wie ein Ablenkungsmanöver für die rote Basis. Denn die Kernfragen, die die Delegierten den SPDVerhandlern mitgaben (Bürgerversicherung, sachgrundlose Befristung und Familiennachzug) wurden minimal gelöst bzw. sind unklar. Arbeitsverträge sollen künftig bei „Ausnahmen“befristet werden. Und bevor etwa die Arzthonorare fürPrivat- undKassenpatienten angeglichen werden, wird eine Kommission gegründet. So steht es im Koalitionspapier, das zwar Probleme aufgreift, aber Details auslässt. Zudem fehlen die großen Ideen, kommentieren Polit-Beobachter. Vor allem von Seiten der CDU sei keine Vision erkennbar.
Merkels Kompromiss
Zuden„schmerzhaftenKompromissen“, wiesieKanzlerin erwartete, gehörensicherdie Personalzugeständnisse. Sie räumte gestern ein, dass es ihrschwerfiel, dasFinanzressort abzutreten. Doch nun habe die CDU „seit Jahrzehnten mal wieder das Wirtschaftsministerium“, versuchte sie Zweifel zu zerstreuen. Merkels Kritiker wird das kaum besänftigen. Wassieebenfallsverstört: ein Jens Spahn steht derzeit nichtaufderKabinetts-Liste– einige sahen Merkels Widersacher schon als Nachfolger.
Was ihre Personalpläne durchaus offenbaren: Die GroKo ist aus ihrer Not entstanden. Um eine stabile Regierung zu bekommen, musste sie die Genossen aus der Schmollecke treiben. Genug Geld, um den Bürgern Guteszutun, gabes. Undeine NeuauflagederGroKowurde vonTeilenderSPDschnellals Chance gesehen. Womit wir bei Andrea Nahles und Olaf Scholz wären. Sie bilden das neue Machtzentrum: Scholz wird als Finanzminister und Vizekanzler gehandelt. Nahles wird den Parteivorsitz übernehmen, wie sie am Abendverkündete. DerWechselgiltalsReaktionaufSchulz’ Schlingerkurs, die verlorene Wahl und soll für die Erneuerung der Parteistehen.
Mit müden Augen und heiserer Stimme trat Schulz am Nachmittag neben der Kanzlerin und Horst Seehofer vor die Presse. Während Seehofer den Vertrag mit einem freudigen „Passt scho“quittierte, wirkte Schulz angeschlagen. Er lobte die Entscheidungen in der Europapolitik. „Deutschland wird eine starke Rolle spielen.“Als künftiger Außenminister wird er dazu beitragen können. Merkel kommt diese Rochade gelegen: beim Juniorpartner könnte endlich Ruhe einkehren. Oder auch nicht. Die Befragung der SPD-Mitglieder steht an. Selbst die CDU darf noch beim Parteitag am 26. Februar abstimmen. Gut möglich, dass dann auch ein paar verärgerte CDUler sagen: „No GroKo“.