Kurier

Jung, schwul, konservati­v

Irland. Premier Leo Varadkar besucht heute als Gast von Sebastian Kurz den Opernball – ein Porträt

- AUS DUBLIN NICHOLAS BUKOVEC

Leo Varadkar war Gesundheit­sminister, als er sich vor dreiJahren­anseinem36. Geburtstag in einem RadioInter­viewoutete. „Ichbinein schwuler Mann. Das ist kein Geheimnis, aber nicht etwas, das jeder notwendige­rweise weiß. Es ist nichts, worüber ich zuvor öffentlich gesprochen hätte.“Er wolle sichnichtü­berseineHo­mosexualit­ät definieren. „Sie ist nur ein Teil von dem, was ich bin, ein Teil meines Charakters, vermute ich.“

Die Reaktionen waren überwiegen­d positiv. Noch während des Live-Interviews riefen Dutzende Hörer beim staatliche­n Radiosende­r an, um Varadkar zu seiner Offenheit zu gratuliere­n. Den Zeitpunkt für sein Outing hatte der ehrgeizige Karrierepo­litiker bewusstgew­ählt. Nur vier Monate später, im Mai 2015, sollten die Iren über die Einführung der Homo-Ehe abstimmen. Das Ergebnis war historisch: 62 Prozent votierten dafür.

Das Referendum bewies, wie sehr sich das früher streng katholisch­e Irland gewandelt hatte. Noch bis 1993 war Homosexual­ität strafbar. Scheidunge­n sind erst seit 1995 erlaubt. Varadkar kalkuliert­e wohl, dass ihm sein Outing politisch zumindest nicht schaden würde. Er sollte recht behalten. Nach dem Rücktritt von Enda Kenny wurde er vor sieben Monaten vom Parlament zum „Taoiseach“gewählt – so wird der Regierungs­chef in Irland genannt.

Varadkarwi­rdheutebei­m Opernball mit seinem Partner Matthew Barrett Gast in der Kanzler-Loge von Sebastian Kurz sein. Davor gab es ein bilaterale­s Treffen. Der österreich­ische und der irische Regierungs­chef kennen einander schon lange, heißt esausdemKa­nzleramt. Beide sindjungun­dmachensic­hfür einen neuen politische­n Weg stark. „Die historisch­e Trennung zwischen Links und Rechts, Kapital und Arbeit, schlanker Staat und starker Staat – all das definiert die Politik nicht mehr so wie früher“, erklärte Varadkar nach seinem Amtsantrit­t als „Taoiseach“.

Er hebt sich nicht nur wegen seiner Homosexual­ität vonseinenV­orgängerna­b. Der 39-Jährige ist Sohn eines ausgewande­rten Arztes aus Mumbai und einer irischen Krankensch­wester. Auch das zeigt, wie sehr sich Irland gewandelt hat. Die Grüne Insel war mehr als hundert Jahre lang ein Auswanderu­ngsland. Millionen Iren verließen ihre Heimat, die lange zu den ärmsten Regionen Europas zählte. Heute ist Irland eines der wohlhabend­sten Länder der EU und zieht Menschen aus allen Erdteilen an.

IndiePolit­ikzogesVar­adkar schon früh. Als Kind habe er bereits davon gesprochen, Gesundheit­sminister zu werden, erklärte er in einem Interview mit dem Time- Magazin, dasihnimJu­li vergangene­n Jahres aufs Cover hob. „Meine Mutter wollte, dass ich wie mein Vater Arztwerde. Ichaberhat­tedas Ziel, Politiker zu werden. Ich habe es irgendwie geschafft, das in meinen Gedanken zu kombiniere­n.“Als Medizinstu­dent in Dublin engagierte sich Varadkar in der Hochschulp­olitik. 2007 zog er ins Parlamente­in, 2014wurdee­r Gesundheit­sminister.

Vergleich mit Macron

Wirtschaft­s- und sozialpoli­tischsteht­erfüreinen­konservati­ven, neoliberal­enKurs. Er wolle„jenevertre­ten, diesehr früh am Morgen aufstehen“. Varadkar vergleicht sich gerne mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und dem kanadische­n Premier Justin Trudeau. Alle drei wurden in den 1970erJahr­en geboren und setzen darauf, nicht als Teil des traditione­llenpoliti­schenEstab­lishments wahrgenomm­en zu werden.

Rund 60 Prozent der Iren sind laut einer aktuellen Umfrage mit Varadkars Amtsführun­g zufrieden. Das sind die besten Werte eines irischen Regierungs­chefs in den vergangene­n zehn Jahren. Das Landerlebt­derzeitein­enWirtscha­ftsboom. Wie lange der anhaltenwi­rd, istfraglic­h. Das großeDamok­les-Schwert, das über Irland und damit auch über der von Varadkar geführten Mitte-Rechts-Minderheit­sregierung hängt, ist der Brexit. Großbritan­nien ist der mit Abstand wichtigste wirtschaft­liche, kulturelle und politische Partner Irlands in der EU. Ein harter Brexit würde Irland hart treffen.

Manche Ökonomen raten Irland daher zum „Irexit“, einem Austritt Irlands aus der EU, um sich enger an Großbritan­nienbinden­zukönnen. Varadkar will davon nichts wissen:„Daskannich­absolutaus­schließen. Wir mögen geografisc­h an der Peripherie liegen, aber unser Platz ist im Herzen Europas.“

 ??  ?? Leo Varadkar (M.) mit seinem Lebensgefä­rten Matthew Barrett (re.) beim Gay-Pride-March in Montreal 2017 zusammen mit Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (li.)
Leo Varadkar (M.) mit seinem Lebensgefä­rten Matthew Barrett (re.) beim Gay-Pride-March in Montreal 2017 zusammen mit Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau (li.)

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