Hasstirade kostet Vizepräsidenten das Amt
Nazivergleich. Entschuldigen wollte er sich nicht, nun wählten die EU-Abgeordneten den Polen ab
Harte Bandagen ist Roza Thun gewohnt: Immer wieder wird die gemäßigt-konservativepolnischeEU-Abgeordnete von Warschaus erzkonservativer RegierungsparteiPiSattackiert. Dochals sie ihr Landsmann Ryszard Czarneckials„Szmalcownik“beschimpfte, war nicht nur Thun schockiert: Eine schlimmere Beleidigung gibt es im Polnischen kaum. „Szmalcownik“– das waren währendderNazi-Besatzung polnische Kollaborateure, die von Juden Geld erpressten, mitderDrohungsiesonst auszuliefern.
Das Europäische Parlament griff deswegen gestern zu einer noch nie da gewese- nen Maßnahme: Czarnecki, einer der Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses, wurde mit großer Stimmenmehrheit der Parlamentarier seines Amtes enthoben.
„Für derart widerwärtige Nazi-Vergleiche ist an der SpitzedesEuropaparlaments kein Platz“, begründete ÖVPDelegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, die Abwahl des Vizepräsidenten. Dieser Schritt sei aber „nicht gegen Polen oder die PiS gerichtet“. Die Partei und ihre Fraktion EKR dürfen einen Nachfolger nominieren.
„Völlig überzogen“
Als Strafaktion gegen die polnische Regierung, die aus Sicht der EU immer öfter mit den Grundwerten der Union kollidiert, empfindet dies auch der EU-Abgeordnete Zdislaw Krasnodebski nicht. „Aber dieser Schritt ist völlig überzogen“, glaubtderParteifreund des geschassten Vizepräsidenten. „Czarnecki hat das ja nicht in einer Parlamentssitzung gesagt, dann wäre diese Strafe verständlich.“Eine Entschuldigung, so der Philosophie-Professor Krasnodebski zum KURIER, sei nicht zu erwarten. „Czarnecki ist überzeugt, dass Roza Thun den Staat Polen beleidigt hat.“
Das aus der Sicht der polnischen RegierungsanhängerunverzeihlicheVergehen: In einer Doku der hatte die 63-jährige Abgeordnete der konservativen Bürgerplattform die Regierungspolitik kritisiert: „Wir haben Jahrzehnte für die Demokratie in Polen gekämpft und jetzt wollen sie das alles wieder zerstören.“Und sie warnte: Polen werde zur Diktatur, wenn das so weitergehe.
Dass sich dieser innerpolnischeStreitzureuropäischen Affäre auswuchs, hat mit dem Amt Czarneckis zu tun. „Ein Vizepräsident des EU-Parlaments sollte als Vorbild vorangehen, sich respektvoll gegenüber seinen Kolleginnen und KollegenäußernunddieInstitution des Hauses ehren“, sagt Josef Weidenholzer, SPÖ-EUAbgeordneter. „Dieser Aufgabe ist Czarnecki nicht gerecht geworden.“RozaThunwiederumistnurfroh, wiesiegegenüber dem KURIER ausführt, „dass meine Kollegen im EUParlament so empfindlich sind und so ein klares Signal setzten.“
DaheiminPolenaberdürfte Czarnecki die Absetzung nichtschaden, glaubtseinParteifreund Krasnodebski: „Viele sehen ihn als Opfer einer Haltung, bei der man Polen immer mit zweierlei Maß
misst.“–