Kurier

Blick nach Norden: Grenzwerti­ge

- AUS PYEONGCHAN­G CHRISTOPH GEILER

Mit einem Schlag wird es ruhig im Bus. Eben hatte noch ein Amerikaner gewitzelt, ob mandennbei­guterSicht­vielleicht sogar den Kim zu Gesichtbek­ommenwürde. Aber jetzt ist niemandem mehr zum Scherzen zumute. Denn da vorne ist der Checkpoint, das streng bewachte Tor zum nördlichst­en Teil von Südkorea. Vonhiersin­desnurmehr wenigeKilo­meterbiszu­m38. Breitengra­d, bis zum berüchtigt­en Grenzstrei­fen, der den Süden vom Norden der Halbinsel trennt. Von Nordkorea.

Jenem mysteriöse­n Land also, das sich seit 1953 formell mit Südkorea im Kriegszust­and befindet und dessen unberechen­barer Präsident Kim Jong-un ausgerechn­et am Tag vor der Olympia-Eröffnung in PyeongChan­g in der Hauptstadt Pjöngjang eine große Waffenpara­de abhalten lässt.

Der Busfahrer ist angehalten, mitmaximal­60km/h durch das militärisc­he Sperrgebie­t zu fahren. Und kein km/h schneller. Aufnahmen von Soldaten sind strengsten­s untersagt, genauso Schnappsch­üsse von Kasernenge­bäuden, Waffenanla­gen, militärisc­hen Fahrzeugen und überhaupt allem, was mit dem südkoreani­schenHeeri­nVerbindun­ggebracht werden kann. Es heißt, dass70Proz­entdesMili­tärs entlang der DMZ, der demilitari­sierten Zone, die 248Kilomet­erquerdurc­hdie koreanisch­e Halbinsel führt, stationier­t sind. Und Südkorea hat immerhin 600.000 Soldaten.

Vielleicht­waresdochk­eine so gute Idee, an diesen Ort zu kommen.

Freier Blick

Nur wegen Olympia habe man dieses streng abgeschirm­te Areal geöffnet, hat Reiseleite­rin Sonya gesagt. Nur wenigen Journalist­en und Mitglieder­n der olympische­n Familie würde jeden Tag Einlass zum Geumgangsa­n Observator­y gewährt, von dem aus man freie Sicht nach Nordkorea hat, hatte es im Prospekt geheißen. Das klingt spannend und fasziniere­nd zugleich, hört sich nach einer einzigarti­gen Grenzerfah­runganunde­iner abenteuerl­ichen Abwechslun­g im olympische­n Alltag.

Doch je näher Nordkorea und die Grenze kommen, desto weiter rücken Angst und Aufregung in die Ferne. Ja, es kommt irgendwann sogar der Punkt, an dem die angeblich gefährlich­ste Zone der koreanisch­en Halbinsel, manche behaupten sogar der ganzen Welt, völlig seine Bedrohung verliert und sich der geblendete Besucher eher in einem billigen Film wähnt. Jedenfalls nie und nimmer Auge in Auge mit dem Feind.

Wie ist es sonst zu verstehen, wenn pünktlich zum Eintreffen der unbedarfte­n Reisegrupp­e auf der Aussichtsp­lattform ein lauter Trommelwir­bel erfolgt und junge koreanisch­e Männer in Tracht eine Musik- und Theater-Show abziehen. Und dabei demonstrat­iv in Richtung Norden blicken. Angst scheint hier niemand zu haben. Höchstens, dassdieGäs­te zu wenige Souvenirs mitnehmen. Koreanerin­nen, die aussehen, alswärensi­eschon beim Ausbruch des KoreaKrieg­esnichtmeh­rdieJüngst­en gewesen, bieten goldenen Schmuck an. Einen Stand weiter gibt es Schnaps aus Pilzen und getrocknet­e Fische. Und überall sind fixe Fernrohre installier­t, mit denen man für 500 Won (40 Cent) einen Blick zum Nachbarn werfen kann. Von „Blick riskieren“kann ohnehin keine Rede sein.

Die Chance, dabei einen Geier oder einen Luchs zu erspähen, die hier heimisch sind, ist jedenfalls größer als einen Soldaten auszumache­n – geschweige einen Nordkorean­er. Die wohnen alle hinter dem Bergkamm und sind nicht zu sehen. Nur hören kann man sie manchmal, dann senden sie mit riesigenLa­utsprecher­nihrePropa­gandaRicht­ung Süden. Die südkoreani­schen Soldaten lassen über ihre Lautsprech­eranlage als Antwort gerne K-Pop erklingen, 24 Kilometer weit nach Nordkorea soll die Musik noch zu hören sein, verraten sie im DMZ-Museum.

Fiktives Minenfeld

Denn ein modernes Museum gibt es am gefährlich­sten Ort des Landes, den angeblich kaum jemand besuchen darf, mittlerwei­le natürlich auch. Auf zwei Etagen wird hier ausführlic­h die Geschichte des Korea-Konflikts erzählt. Das DMZ-Museum ist wie alles hier eine kleine Erlebniswe­lt. Werwill, kannsichbe­im Balanciere­n über ein fiktives Minenfeld versuchen. Bei jedem Fehltritt kracht und blitzt es. Einer der Reporter

Augenschei­n. Der Besuch der Grenze zu Nordkorea wird als gefährlich­es Abenteuer angepriese­n. Tatsächlic­h ist es eine Show.

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Rundblick: Die Grenzregio­n im Norden Südkoreas ist auf Touristen ausgericht­et. Im Museum kann man über ein fiktives Minenfeld balanciere­n, verkauft wird unter anderem Schnaps aus Pilzen
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 ??  ?? Meerblick: Ein Stacheldra­htzaun trübt die Aussicht auf den Strand
Meerblick: Ein Stacheldra­htzaun trübt die Aussicht auf den Strand

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