Kurier

Prozesslaw­ine für Geschworen­e

Überfällig­e Reform. Staatsanwä­lte klagen immer öfter Mordversuc­h an, das Ergebnis sind meist kleine Strafen

- VON RICARDO PEYERL

Nicht weniger als sieben Berufsrich­ter und 18 Laien richter( plus einige Ersatz geschworen­e) waren neun Tage damit beschäftig­t, einen Häftling wegen Brandstift­ung in erster Instanz für zwölf Jahre hinter Gitter zu schicken. Als Rückfallst­äter war bei dem Angeklagte­n eine Höchststra­fe bis zu 15 Jahren Haft möglich.

Dieses Urteil hätte auch schon im ersten der drei Prozesse von einem Schöffense­nat (ein Berufs richter als Vorsitzend­er plus zwei Laien richter) gefällt werden können. Der Senat erklärtes ich im April 2017 nach drei Verhandlun­g s tagen jedochfü run zuständig, weil versuchter Mord( Straf drohung bis lebenslang) im Raum stehe, der vor einem Geschworen­engericht verhandelt werden müsse. Der 32- jährige Algerier hat team 15. Oktober 2016 inder Justiz anstalt Wien-Josef stadt seine Zelle angezündet, weiler verlegt werden wollte. Seine Mit häftlinge hatte er mit vorgehalte­nem Messer daran gehindert, Hilfe zu holen. Die Feuerwehr griff erst spät ein, drei Zellengeno­ssen erlitten schwere Verletzung­en, elf Justizwac he-Beamte mussten wegen Rauch gas vergiftung­en behandelt werden.

Nach drei Verhandlun­g s tagen wurden acht Geschworen­e gefragt, ob sie die Tat bloß für eine Brandstift­ung mit Körperverl­etzung oder für mehrfachen versuchten Mord halten. Es stand vier zu vier, in dem Fall zählt das für den Angeklagte­n günstigere Urteil, aber das wollten die drei Berufsrich­ter nicht akzeptiere­n. Sie setzten das Urteil wegen„ Irrtums der Geschworen­en“aus.

Nun musste ein drittes Mal mit neuen Geschworen­en und drei anderen Berufsrich­tern verhandelt werden. Nach weiteren drei Tagen kam Ende vergangene­r Woche das gleiche Ergebnis( vier zu vier) heraus. Das muss akzeptiert werden, die Strafe von zwölf Jahren wegen Brandstift­ung ist aber noch nicht rechtskräf­tig.

Rekordzahl

Dieser Fall ist einer von über 70 Geschworen­en prozessen, die im vergangene­n Jahr allein am Wiener Landes gericht abgehalten wurden. Das ist Rekord und hat da zugeführt, dass im Grauen Haus zwei neue Schwurgeri­chts abteilunge­n installier­t und Richter von anderen Bereichen abgezogen wurden.

Die Prozesse wegen versuchten Mordes nehmen insgesamt rasant zu. Das liegt einerseits daran, dass die Staatsanwa­ltschaft nach zwischenme­nschlichen Attacken nun lieber gleich Mordversuc­h anklagt, statt die Täter nur wegen geringerer D eli kte(z.B. Körperverl­etzung) vor Gericht zubringen. Und anderersei­ts daran, dass„ Stich attacken im Oberkörper zugenommen haben “, wie Gerichts sprecherin Christina Salzborn attestiert. Wen nein gerichtsme­dizinische­s Gutachten ergibt, dass die zugefügte Verletzung lebensbedr­ohend war, dann bleibe dem Staatsanwa­lt gar nichts anderes übrig, als eine Anklage wegen Mordversuc­hs. Freilich bindet das dann drei Berufsrich­ter, die sich in dieser Zeit nicht um andere Fälle kümmern können.

Die Ergebnisse zeigen allerdings regelmäßig, dass auch mit kleinerer Besetzung das Auslangen hätte gefunden werden können. Ein kleiner Auszug:

Nur Fahrlässig­keit

Ein 35-jähriger Wiener hatte den Ex-Freund seiner Lebensgefä­hrtin mit dem Auto angefahren: Die Geschworen­en verwarfen die Anklage wegen Mordversuc­hs und verurteilt­en den Mann bloß wegen grober Fahrlässig­keit zu acht Monaten bedingt.

Ebenfalls kein Mordversuc­h und acht Monate bedingt: So lautete das Urteil über eine 18-Jährige, die einem Burschen ein Messer in die Brust gerammt hatte, weil er sie zuvor beschimpft hatte.

Ein 25- jähriger Mann hatte seiner Ehefrau im Streit die Spitze seines Regenschir­ms ins Auge gerammt: Kein versuchter Mord, drei Jahre Haft wegen Körperverl­etzung.

Wobei die Urteile der Geschworen­en (von denen keine Begründung verlangt wird) ebenso undurchsch­aubar bleiben wie die Entscheidu­ngen der Berufsrich­ter, wann sie ein Urteil für einen Irrtum halten und aussetzen und wann nicht. Seit vielen Jahren wird im Justizmini­sterium erwogen, die Geschworen­en gerichtsba­rkeit zu reformiere­n bzw. zu vereinfach­en. Das Projekt wurde nun aber erneut auf die ganz lange Bank geschoben.

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Geschworen­e entscheide­n allein und ohne Begründung, Berufsrich­ter können das als Irrtum werten

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