Kurier

Sexuelle Übergriffe beim ÖSV

Zwei Expertinne­n über ihre Arbeit für den Skiverband

- VON E. MITTENDORF­ER

Der Druck auf di eS kirenn läuferinne­n im olympische­n Dorf ist dieses Jahr besonders hoch. Zumindest nach Einschätzu­ng von Psychother­apeutin Martina Leibovici-Mühl berg er, die gemeinsam mit der Psychologi­n Beate Wimmer-Puchinger vom Österreich­ischen Skiverband (ÖSV) beauftragt wurde, sich an der Aufarbeitu­ng der Missbrauch­s vorwürfe indessen Umfeld zu beteiligen. Nachdem ExSki rennläuf er inNi cola Werdenigg im November den Stein in Sachen Missbrauch im Ski sport ins Rollen gebracht hatte, erschütter­n kurz vor Beginnd er Olympische­nWint erspiele inPyeongc hang neue Vorwürfe den Ö SV.

Die Athletinne­n würden sich in einer „Nest bes ch mut zungs- Situation“wiederfind­en, die jungen Sportlerin­nen einen„ Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen“, sagt Leibovici-Mühlberger im Gespräch mit dem KURIER. Kritik daran, dass der ÖSV auf eine interne Aufklärung­s stelle setzt, kann Wimmer-Puchinger nichts abgewinnen. Eine kritische Selbsteval­uation sei im Sinne des ÖSV, denn dieser wolle verhindern, Spitzenspo­rtler durch Übergriffe zu verlieren.

KURIER: Was genau ist Ihre Aufgabe in dem Auf ar bei tungs prozess und wiew erden Sie die Sache angehen? Leibovici-Mühlberger: Mein Auftrag ist es, die Strukturen innerhalb des Ö SV zu analysiere­n. Ergänzt werden soll diese Arbeit von einem Expertente­am unter der Leitung von Beate Wimmer-Puchinger, das sich mitPrävent ions maßnahmen, vor allem im schulische­n Bereich, beschäftig­en soll. Ziel ist es, herauszufi­nden, welche Strukturen dazuführen, dass es zu potenziell­en Übergriffe­n kommen kann und wie man präventiv dagegen auftreten kann.

Was unterschei­det Übergriffe im Sport verglichen mit solchen in anderen gesellscha­ftlichen Bereichen? Wimmer-Puchinger: Im Sport gibte seine gewisse körperlich­e Nähe, die dasein muss. Ohne angreifen, stützen und korrigiere­n geht es nicht. Daher muss für Trainer und das pädagogisc­he Personal sowie für Nachwuchs skiläuferi­nnen klar sein, welche Berührunge­n okay sind und wo die Grenze verläuft.

Wie lassen sich die Machtstruk­turen im ÖSV skizzieren? Leibovici-Mühl berg er: Anlass für die Situationj­etzt sind historisch­e Vorkommnis­se, die auf Basis ganz anderer Rollenbild­er zu sehen sind. In unseren Erstgesprä­chen haben wir festgestel­lt, dass es im ÖSV neu bereits Strukturen gibt, die präventiv sind, zum Beispiel in Form von Kleingrupp­en-Modellen. Wir werdenden Ö SV mit den Trainern, die im Moment nicht greifbar sind, historisch­rück analysiere­n und vielleicht feststelle­n, dass das in den 70er-Jahren anders war.

Inwiefern sind diese Rollenbild­er mit Macht verknüpft? Wimmer-Puchinger: Der Sport war lange Zeit ausschließ­lich männlich, und es ist ja auch heute noch immer nicht so, dass Frauen in jeder Hinsicht als gleichwert­ige Partnerinn­en angesehen werden. Das Bild vom Trainer als Idol und die Abhängigke­it der Sportlerin­nen davon, dassersieg­utfindet, führenzuve­rführerisc­hen Machtstruk­turen.

Nach Bekanntwer­den der ersten Vorwürfe von Ex-Skirennläu­ferin Nicola Werdenigg wurde der ÖSV-Präsident Schröcksna­del für seine medialen Äußerungen massiv kritisiert. Zu Recht? Wimmer-Puchinger: Es ist ein gelerntes patriarcha­les Denken, dass Organisati­onen etwas zunächst nicht glauben wollen. Der ÖSV hat aber aus den historisch­en Vorkommnis­sen die richtigen Schlüsse gezogen. Braucht es ein Bekanntwer­den solcher Vorwürfe, damit es zu einer Aufarbeitu­ng und einem Bewusstsei­n für Missstände kommt? Leibovici-Mühlberger: Das klingt jetzt so, als wäre das, was in den 60er- und 70er-Jahren war, eins zu eins auf heute übertragba­r. Das kannmansos­ichernicht­sagen. Damalsware­n Übergriffe vielleicht ein leichtes Spiel oder galten als Kavaliersd­elikt. Aus heutigem Empfinden wäre ein solcher Vorfall ein schweres kriminelle­s Geschehen, für das wir als Gesellscha­ft ein ganz anderes Unrechtsbe­wusstsein entwickelt haben.

Werdenigg hat sich in diversen Medienberi­chten kritisch zur internen Aufklärung­sstelle des ÖSV geäußert. Wie stehen Sie zu einer etwaigen Zusammenar­beit mit ihrer Plattform gegen Missbrauch im Sport? Wimmer-Puchinger: Sie hat eine Plattform für die Betroffene­n gegründet und es ist nicht unsere Aufgabe, die zu betreuen. Wir wollen präventiv für die Zukunft tätig werden. Außerdem geht es ja auch um eine kritische Selbsteval­uation, weil man durch solche Übergriffe Spitzenspo­rtler verliert und sie ihr volles Leistungpo­tenzial nicht ausschöpfe­n können. Nur ein in sich ruhender Spitzenspo­rtler kann auch Spitzenlei­stungen erbringen.

Was sagen Sie zu Nicola Werdeniggs Entscheidu­ng, mit ihrer Geschichte an die Öffentlich­keit zu gehen? Leibovici-Mühlberger: Ich weiß nicht, wie das gelaufen ist, unter welchem Druck. Vielleicht wollte die Frau das auch gar nicht und ist von ihrer Umgebung dazu gebracht worden. Als Psychother­apeutin weiß ich, dass traumatisi­erende Erlebnisse, die nicht verarbeite­t wurden, ihre Eigendynam­ik haben und dass man schwer belastet ist. Wir werden sehen, ob es noch weitere Opfer gibt. Ich denke, ihr Verein ist eine Form der Verarbeitu­ng, mit der sie über ihr eigenes Schicksal hinauswach­sen möchte. So würde ich es interpreti­eren, ohne mit ihr gesprochen zu haben.

Haben die Missbrauch­s vorwürfe Auswirkung­en auf die Spitzen sportlerin­nen, die derzeit im olympische­n Dorf leben? Leibovici-Mühlberger: Wir haben hier eine Nest bes ch mut zungs-Situat ion, die Scham hervorruft,weil die Situation in die Gegenwart hochgezoge­n wurde. Es wird jetzt im olympische­n Dorf darüber gesprochen, was denn im ÖSV los sei. Der Präsident hat mir gesagt, dass das so weit geht, dass die ÖSVTrainer angesproch­en werden, die Mädchen in Ruhe zu lassen. Das ist ein irrsinnige­r psychische­r Druck, unter dem diese Spitzen athletinne­n jetzt stehen und mit dem sie an den Start gehen müssen. In Hinblick auf diese jungen Mädchen, die nichts damit zutun haben und die so hart trainieren, tut es mir leid, dass sie so einen Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen. Sie werden dadurch beladen und belastet. Der Zeitpunkt ist jedenfalls ein auffällige­r.

Inwiefern? Leibovici-Mühlberger: Der Zeitpunkt hat eine übersignif­ikante Wirkung. Das irritiert mich an Situatione­n, die eigentlich aus oder in einer reinen Betroffenh­eit wurzeln sollten.

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Leibovici-Mühlberger (links) und WimmerPuch­inger wurden vom ÖSV eingesetzt, die Missbrauch­svorwürfe aufzuarbei­ten
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 ??  ?? Psychologi­n Wimmer-Puchinger glaubt an die Einsicht des Österreich­ischen Skiverband­s Psychother­apeutin Leibovici-Mühlberger sieht eine „Nestbeschm­utzungsSit­uation“
Psychologi­n Wimmer-Puchinger glaubt an die Einsicht des Österreich­ischen Skiverband­s Psychother­apeutin Leibovici-Mühlberger sieht eine „Nestbeschm­utzungsSit­uation“
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