Kurier

Hans-Peter Wipplinger

„Wow!“: der Chef des Leopold Museums über die Horten-Collection

- VON THOMAS TRENKLER

KURIER: Das Leopold Museum präsentier­t ab 15. Februar die bisher unbekannte „Heidi Horten Collection“. Warum? Hans-Peter Wipplinger: Heidi Goëss-Horten hat in den letzten 30 Jahren eine herausrage­nde Sammlung zusammenge­stellt – mit Werken von der letzten Jahrhunder­twende bis heute, darunter die „Kirche in Unterach am Attersee“von Gustav Klimt und außergewöh­nliche Arbeiten auf Papier von Egon Schiele, von denen man lange nicht wusste, wer sie besitzt. Als ich zum ersten Mal einen Einblick in die Sammlung bekam, stellte sich bei mir ein Wow-Effekt ein. Mit Exponaten von Marc Chagall, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Edvard Munch, Francis Bacon, Lucio Fontana, Damien Hirst, Robert Rauschenbe­rg, Gerhard Richter, Andy Warhol und vielen anderen ist die Ausstellun­g tatsächlic­h eine Tour de Force durch die Kunstgesch­ichte der letzten 100 Jahre. Sie wird viel Staunen erregen.

Deswegen der Titel „Wow!“?

Ja, er kommt allerdings nicht von mir, sondern von Agnes Husslein-Arco. Sie hat die Ausstellun­g kuratiert.

Husslein hat einst, als Mitarbeite­rin von Sotheby’s, Heidi Horten Kunst verkauft, sie hat sie beraten, nun zeigt sie die Sammlung – just im Museum der Stiftung Leopold, in dessen Vorstand sie sitzt. Ist die Vielfachfu­nktion nicht sonderbar?

Es besteht eine jahrzehnte­lange Freundscha­ft zwischen den Damen. Dagegen ist nichts zu sagen. Dass die Ausstellun­g hier stattfinde­t, gründet auf mein Werben. Ich wusste, dass Agnes Husslein die Ausstellun­g für das Belvedere geplant hatte. Aber dann kam es eben anders.

Husslein wurden 2016 Verstöße gegen die Compliance-Richtlinie­n vorgeworfe­n. Thomas Drozda, damals Kulturmini­ster, verlängert­e daher nicht ihren Vertrag als Belvedere-Chefin, sondern bestellte Stella Rollig.

Und so habe ich Husslein unser Haus schmackhaf­t gemacht. Auch deshalb, weil es wunderbare Anknüpfung­spunkte zur Sammlung von Rudolf Leopold gibt – mit Werken von Klimt, Schiele und auch Alfred Kubin, von dem Heidi Horten drei geniale Blätter besitzt.

Sie finden auch nichts dabei, dass ein Mitglied des Vorstands eine Ausstellun­g macht?

Das hat schon fast Tradition: Nicht nur Rudolf Leopold, sondern auch andere Mitglieder des Vorstandes haben Ausstellun­gen kuratiert, darunter Ehefrau Elisa- beth Leopold sowie Sohn Diethard Leopold und Carl Aigner, langjährig­er Direktor des Landesmuse­ums Niederöste­rreich. Letztlich geht es doch darum: Was nutzt dem Haus? Und wenn es in der Person von Agnes Husslein nicht nur eine riesige Leidenscha­ft für die Kunst, sondern auch ein großes Knowhow gibt: Dann kann es nur von Vorteil sein, wenn man darauf zurückgrei­ft. Es gibt daher auch den einstimmig­en Beschluss, dass die Ausstellun­g, kuratiert von Agnes Husslein, hier stattfinde­t.

Elisabeth Leopold soll mit dem Projekt aber nicht so glücklich gewesen sein.

Im Gegenteil, sie war begeistert von der Qualität der Werke und anerkennt, dass die Ausstellun­g ein großes Interesse hervorrufe­n wird.

Man hört von Debatten.

Manchmal ist die Frau Doktor eine ausgezeich­nete Mitstreite­rin, manchmal ist sie anderer Meinung, manchmal gibt sie mir wertvolle Tipps, und manchmal gibt es eben keinen Konsens im Stiftungsv­orstand. Streitkult­ur ist grundsätzl­ich positiv.

Über der Schau liegt jedoch ein dunkler Schatten. Denn Heidi Hortens erster Mann, der Unternehme­r Helmut Horten, war ein Ariseur. Und da Geld kein Mascherl hat, könnte man behaupten, dass die Sammlung ein Ergebnis auch der in der NS-Zeit erzielten Profite ist.

Ich will die Geschichte keinesfall­s beschönige­n. Helmut Horten war durchaus ein Profiteur und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg darob in einem britischen Internieru­ngslager festgehalt­en. Nach 1948 fing er von Neuem an. Er erwarb Kaufhäuser von jüdischen Familien, die in die USA emigrieren mussten. Das kann man moralisch bedenklich finden. Aber nicht der Kunst, die wir zeigen, anlasten.

In sozialen Medien wurde kritisiert, dass Agnes Husslein mit ÖVP-Hilfe im Leopold Museum ein Betätigung­sfeld gefunden hat. Ist das nicht problemati­sch?

Nein. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Untersuchu­ngen eingestell­t. Und ich muss, nein, ich möchte Agnes Husslein Rosen streuen. Weil sie sich als Stiftungsv­orstand unglaublic­h für die Interessen des Hauses einsetzt. Sie verfügt über ein riesiges internatio­nales Netzwerk, sie macht weltweit Werbung für das Museum – und sie gewinnt laufend neue Mitglieder für den Circle of Patrons. Dass sich Vorstände ganz einbringen: So soll es doch sein!

Im Erdgeschoß hängt eine neue Dauerleihg­abe, ein sitzender Männerakt von Klimt. Das Gemälde befand sich zuvor im Belvedere. Wie kam es zum Ortswechse­l? Durch Husslein?

Ich möchte grundsätzl­ich antworten: Sammler gebenihreL­eihgabenan­Institutio­nen, die ihnen seriös erscheinen. Es braucht eine Vertrauens­basis zwischen Leihgeber und Direktion. Wir vermitteln den Sammlern, dass wir ihre Werke gut präsentier­en. Letztendli­ch ist es aber immer auch eine persönlich­e Angelegenh­eit. Und Agnes Husslein kümmert sich intensiv um die Sammler. Wenn sie uns vermehrt ihre Werke anvertraue­n, bin ich glücklich. Demnächst werden Sie auch die „Schönbrunn­er Landschaft“bei uns sehen. Es gelang mir, dieses wichtige Gemälde, das einzige Wien-Motiv von Gustav Klimt, als Dauerleihg­abe in unser Haus zu holen.

Die „Horten Collection“von der klassische­n Moderne über die Pop Art bis zur Gegenwart würde eigentlich viel besser ins Museum moderner Kunst passen. Ist „Wow!“daher auch so etwas wie eine Kriegserkl­ärung?

Nein. Die Domäne des Leopold Museums sind Jugendstil und Expression­ismus. So gesehen, gehört die Horten Collection eindeutig hierher. Ich bin vor zweieinhal­b Jahren angetreten, um spektakulä­re, wissenscha­ftlich gut aufbereite­te Ausstellun­gen zu realisiere­n. Man wusste und weiß, dass ich gerne über die Epochen hinweg denke und Dialoge herstelle – zum Beispiel zwischen Carl Spitzweg und Erwin Wurm. Ab 3. März zeigen wir drei Generation­en obsessiver Zeichner in einer Schau: Egon Schiele, Günter Brus und Thomas Palme. Der Einfluss von Schiele auf Brus ist unübersehb­ar; und Palme lässt sich von Schiele und Brus inspiriere­n. Wir bleiben zudem bei unserer Kernkompet­enz, bringen heuer u.a. Anton Romako, Moriz Nähr oder Madame d’Ora. Aber die Exkurse in die zeitgenöss­ische Kunst dürfen nicht fehlen!

Der Erfolg scheint Sie zu bestätigen: 380.597 Besucher im Jahr 2017 sind ein neuer Rekord.

Das freut mich natürlich. Und beweist uns, dass wir auch schwierige­re Themen bringen können.

Wie zum Beispiel?

Letztes Jahr stellten wir Victor Hugo als Künstler vor. Heuer folgt Zoran Mušic. Unter dem Titel „Poesie der Stille“präsentier­en wir ab Mitte April sein gesamtes Schaffen, darunter viele Werke aus dem Nachlass, die wir direkt aus seinem Atelier in Venedig bekommen haben. Mušic wurde noch in der Monarchie, 1909 in der Nähe von Görz, geboren; als Student ließ er sich in Wien von Klimt und Schiele inspiriere­n. Es gibt also einen Konnex. Aber ich sehe die Retrospekt­ive auch als Beitrag zum Gedenkjahr 1938. Denn er wurde Ende 1944 ins Konzentrat­ionslager Dachau verschlepp­t – und wir zeigen die Zeichnunge­n, die dort entstanden sind. Danach wollte er den Horror vergessen. Erst in den 70er-Jahren hat er sich wieder mit Dachau beschäftig­t. Mit der Serie „Wir sind nicht die Letzten“ist es Mušic gelungen, den Schrecken des Holocausts künstleris­ch zu fassen. Eine solches Gedenken finde ich viel wichtiger als die x-te Ausstellun­g von einem Starkünstl­er.

Stichwort NS-Zeit: Wie geht es mit der Provenienz­forschung?

Wir haben einen möglichen neuen Fall entdeckt, es geht um fünf Werke. Ich ha- be die Angelegenh­eit bereits mit der Israelitis­chen Kultusgeme­inde besprochen. Vor dem Ende der Untersuchu­ngen möchte ich keine Einzelheit­en preisgeben. Sie können aber sicher sein: Wir werden nichts vertuschen.

Rudolf Leopold hat bis zu seinem Tod im Jahr 2010 Kunst gesammelt. Was passiert nun mit der sogenannte­n „Sammlung II“, die gegenwärti­g als Leihgabe verwaltet wird?

Wir arbeiten mit ihr andauernd. Es wäre ein riesengroß­er Aderlass, wenn die Familie sie abziehen würde. Ich hatte bereits ein Gespräch mit Kulturmini­ster Gernot Blümel; er hat verstanden, dass es wichtig ist, diese Sammlung ans Haus zu binden – auf Basis eines langfristi­gen Leihvertra­gs.

Dass der Staat auch die „Sammlung II“erwirbt?

Kannichmir­nichtvorst­ellen. Denn Leopold hat weiterhin Klimt und Schiele gesammelt. Diese Werke sind unerschwin­glich geworden.

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 ??  ?? Ein erster Blick in die Ausstellun­g „Wow!“: Im Vordergrun­d eine mit Textilien überzogene Skulptur von Niki de Saint Phalle, an den Wänden mehrere Arbeiten von Andy Warhol
Ein erster Blick in die Ausstellun­g „Wow!“: Im Vordergrun­d eine mit Textilien überzogene Skulptur von Niki de Saint Phalle, an den Wänden mehrere Arbeiten von Andy Warhol
 ??  ?? Hans-Peter Wipplinger, 1968 in Schärding geboren, leitete u.a. die Kunsthalle Krems. Seit Juni 2015 ist er Direktor des Leopold Museums.
Hans-Peter Wipplinger, 1968 in Schärding geboren, leitete u.a. die Kunsthalle Krems. Seit Juni 2015 ist er Direktor des Leopold Museums.

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