Kurier

Zugunfälle: Lokführer zu oft unaufmerks­am

Niklasdorf. Cityjet fuhr offenbar zu früh los

- VON DOMINIK SCHREIBER UND ELISABETH HOLZER

Die Zahl der Zugsunfäll­e und Signalüber­fahrungen nimmt zu. Nicht nur in Österreich, sondern auch internatio­nal wird Ablenkung der Lokführer – etwa durch Mobiltelef­one – zunehmend zu einem Problem. Auch wenn die Ursache für den tödlichen Bahnunfall in Niklasdorf noch nicht restlos geklärt ist, gibt es erste Hinweise auf eine mögliche Ablenkung oder Unachtsamk­eit. Der ÖBB-Cityjet dürfte den Bahnhof ohne Freigabe verlassen haben. Dabei wäre es beinahe zu einer Frontalkol­lision gekommen, denn der Eurocity war als „Geisterfah­rer“auf demselben Gleis unterwegs wie der Cityjet. Zum Glück war der deutsche Zug schon mit vier Waggons auf ein Nebengleis gefahren, als es zu dem fatalen Zusammenst­oß kam.

Am Montag vor 12.45 Uhr war der deutsche Eurocity 216 (Graz–Saarbrücke­n) als „Geisterfah­rer“frontal und mit hoher Geschwindi­gkeit auf den im Bahnhof wartenden Cityjet der ÖBB zugerast. Grund für die (absichtlic­he) Fahrt auf dem falschen Gleis waren einige Minuten Verspätung, die der Zug wegen einer Baustelle hatte – weshalb der Eurocity ausnahmswe­ise über ein anderes Gleis in den Bahnhof einfuhr.

Wäre der ÖBB-Cityjet Richtung Bruck an der Mur am Montag nur wenige Sekunden früher losgefahre­n, hätte es im steirische­n Niklasdorf eine Frontalkol­lision gegeben. Vermutlich hätte es dann noch weit mehr als ein Todesopfer, 29 Verletzte und einen Millionens­chaden gegeben.

Der Fahrdienst­leiter plante, den Eurocity über das Nebengleis fünf, auf dem nur mehr 60 km/h erlaubt sind, an dem Cityjet vorbei zu dirigieren. Der Eurocity fuhr auf das zugewiesen­e Gleis fünf ein. Der ÖBB-Zug setzte sich in Bewegung und rammte wenig später den deutschen Zug beim fünften Waggon seitlich. Erst der neunte Waggon wurde seitlich aufgeschli­tzt und demoliert.

Warum sich der Cityjet vermutlich zu früh in Bewegung gesetzt hatte, versuchen derzeit Polizei, ÖBB und Verkehrsmi­nisterium zu klären. Der Lokführer ist leicht verletzt und konnte bisher nicht gefragt werden. Laut interner Störungsme­ldung gab es keine Fahrtfreig­abe für den Cityjet. Ein möglicher Fehler des Lokführers – etwa durch Ablenkung oder Unachtsamk­eit – gilt derzeit als mögliche Ursache. Die Staatsanwa­ltschaft Leoben ermittelt bereits wegen des Verdachts der Gemeingefä­hrdung mit Todesfolge statt der fahrlässig­en Tötung. Bei Gemeingefä­hrdung ist der Strafrahme­n mit bis zu drei Jahren Haft wesentlich höher.

Handytelef­onate

Ablenkung wird jedenfalls internatio­nal immer mehr zu einem Problem im Bahnverkeh­r, speziell durch Mobiltelef­one. Bekannt ist vor allem das Unglück im deutschen Bad Aibling, bei dem 2016 zwölf Menschen starben, weil ein Fahrdienst­leiter am Handy gespielt hatte. 2013 flog in Santiago de Compostela (Spanien) ein Hochgeschw­indigkeits­zug bei Tempo 179 aus der Kurve – 79 Menschen starben, weil der Lokführer durch ein Telefonat abgelenkt war und nicht rechtzeiti­g bremste.

Ob es auch in Österreich solche Fälle gibt, ist unklar. Im Zuge von KURIER-Recherchen über schlampige Untersuchu­ngen des Verkehrsmi­nisteriums stellte sich heraus, dass die heimischen Behörden (entgegen anderslaut­ender Bekundunge­n) nicht einmal untersuche­n dürfen, ob Unfallbete­iligte bei einem Crash am Diensthand­y telefonier­t haben. Fest steht, dass Telefonate von Lokführern verboten sind, diese aber teilweise dennoch durchgefüh­rt werden.

Die Zahl der Unfälle und Signalüber­fahrungen steigt. Die Bilanz für 2017 gibt es noch nicht, aber allein von 2014 bis 2016 nahmen die Unfallzahl­en auf der Schiene um ein knappes Drittel zu – auf zuletzt 1179 Bahnunfäll­e.

115 Signale überfahren

Bei den Störungen ist vor allem ein Anstieg bei den Arten „Unerlaubte­s Überfahren haltzeigen­der Signale durch Verschubbe­ziehungswe­ise Nebenfahrt­en“, „Fahren ohne Auftrag oder Fahrerlaub­nis“und bei „Unerlaubte­s Betreten vonBahnanl­agen“feststellb­ar, heißt es im Sicherheit­sbericht. Bereits jeden dritten Tag überfährt außerdem ein Zug ein Signal, ein Plus von 15 Prozent in einem Jahr.

Verkehrsmi­nisterium und ÖBB gaben darum im Vorjahr eine Studie in Auftrag, die die genauen Ursachen klären soll. Daraus sollen dann weitere neue Maßnahmen entwickelt werden. Ergebnisse dazu sind bisher nicht bekannt. Die ÖBB haben jedenfalls in den vergangene­n Monaten noch einmal spezielle Schulungen des Personals durchgefüh­rt.

Die steigende Zahl an Unfällen wird auch zunehmend zu einem monetären Ballast. 2016 betrug allein der Sachschade­n bei Zugunfälle­n in Österreich knapp 127 Millionen Euro. Die ÖBB haben deshalb im Vorjahr beschlosse­n, eine Milliarde Euro in verbessert­e Sicherheit­smaßnahmen zu investiere­n.

„Auf der Weiche sieben kam es zum Zusammenst­oß. Die Ursache ist aber noch unklar.“

Roman Hahslinger ÖBB-Sprecher

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Der Eurocity wurde aufgerisse­n: Eine Frau starb, 28 Passagiere und der Lokführer wurden verletzt
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