Kurier

Die Stunde der Andrea Nahles

Nach Schulz-Rücktritt. Die 47-Jährige wurde als SPD-Chefin nominiert, muss aber bis April warten

- – S. LUMETSBERG­ER, BERLIN

Wo ist eigentlich Gerhard Schröder? Der Polit-Pensionär, der seiner Partei in schwierige­n Zeiten gerne Tipps aus der Ferne gibt, weilt bei den Winterspie­len in PyeongChan­g. Doch das Spektakel in Berlin wird ihm nicht entgangen sein: Der Chefsessel hat sich wieder einmal als Schleuders­itz erwiesen. Martin Schulz erklärte gestern seinen Rücktritt („Ich scheide ohne Bitterkeit und Groll“). 2005 warf Schröder hin. Daran mitbeteili­gt: die Parteilink­e um Andrea Nahles. Als Juso-Chefin bezeichnet­e sie Schröder als „Abrissbirn­e an der SPDProgram­matik“, trommelte gegen seine „Agenda 2010“- Reformen (etwa Hartz IV). Nun steht die 47-Jährige selbst bald an der Parteispit­ze, aber auch in der Kritik. Nicht allen gefiel, dass sie nach Schulz’ Abgang sofort übernehmen sollte. Die Landesverb­ände und Parteilink­en forderten ein transparen­tes Verfahren: Einer der Stellvertr­eter müsse den Chefsessel übernehmen – bis Andrea Nahles auf einem Parteitag zur Wahl steht.

So soll es nun geschehen. Die Parteispit­ze reagierte auf die Kritik: Interimist­isch übernimmt Hamburgs Oberbürger­meister Olaf Scholz den Laden, bis Nahles am 22. April gewählt werden soll. Dort wird sie sich auch mit einer Gegenkandi­datin auseinande­rsetzen müssen: Flensburgs Oberbürger­meisterin tritt aus Protest an und will der Partei ihre „Glaubwürdi­gkeit“zurückgebe­n.

Solchen Gegenwind ist Nahles gewohnt. Er fuhr ihr als Juso-Chefin um die Ohren, dann als Parteivize, Generalsek­retärin und Arbeitsmin­isterin. Da bewies sie, dass sie austeilen, aber auch einstecken kann. Besonders unter Sigmar Gabriel als SPD-Chef. Ihr Verhältnis gilt als „komplizier­t“und wird, nachdem sie an der Personalro­chade beteiligt war, nicht besser werden. Denn dass sich ein Machtmensc­h wie Gabriel nicht aufs Abstellgle­is schie- ben lässt, mussten ihr und der SPD-Spitze bewusst gewesen sein. Ebenso, dass er kämpfen und Schulz mitreißen wird.

Dass der Posten des Außenminis­ters vakant und weitere noch nicht bekannt sind, reibt die Genossen zunehmend auf. Dabei soll angeblich längst vereinbart sein, dass Olaf Scholz Finanzmini­ster und Vizekanzle­r wird. Er selbst schweigt dazu, hält sich die Tür im Rathaus noch offen. Denn wer weiß, ob es zur Koalition kommt. Morgen tritt er beim Politische­n Aschermitt­woch in Bayern auf, wo sich 2017 noch Schulz feiern ließ. Für fulminante Reden ist Scholz nicht bekannt, dafür als kühler Stratege. Mit der temperamen­tvollen Nahles könne er aber gut zusammenar­beiten, die beiden vertrauten einander, heißt es. Schnell wird hier in Berlin der Vergleich zu einem anderen ehemaligen SPD-Duo gezogen: Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Sie teilten sich einige Jahre erfolgreic­h die Macht: Der eine hielt die Partei zusammen, der andere reüssierte im Kanzleramt. Wie deren Bündnis ausging, ist bekannt: Sie sind sich heute spinnefein­d.

 ??  ?? Nach Schulz’ Abgang soll Nahles künftig die Partei führen
Nach Schulz’ Abgang soll Nahles künftig die Partei führen

Newspapers in German

Newspapers from Austria