Kurier

„Eure Uniform passt mir nicht“

Türkei/Deutschlan­d. „Welt“-Journalist Yücel seit einem Jahr im Gefängnis – aber ungebroche­n

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Auch 365 Tage in türkischen Gefängniss­en – teilweise unter menschenun­würdigen Bedingunge­n – konnten ihn nicht brechen. Stolz und kämpferisc­h, weil offenbar mit reinem Gewissen, bietet der deutsche Welt-Journalist Deniz Yücel den Behörden die Stirn, beteuert seine Schuldlosi­gkeit (Vorwurf der Terror-Unterstütz­ung sowie der Volksverhe­tzung) und bezeichnet sich als „Geisel“. „Schmutzige Deals“lehnt der 44-Jährige aber kategorisc­h ab und spielt damit auf einen kolportier­ten Tauschhand­el an: Seine Enthaftung gegen neue deutsche Rüstungsex­porte an die Türkei. Niemals, sagt er, das würde seine Freiheit beflecken.

Diese endete für den Reporter aus Leidenscha­ft am heutigen Valentinst­ag vor einem Jahr. Es folgten Isolations­haft und Demütigung­en. Stifte und Papier bekam Yücel erst später. In der Zwischenze­it versuchte es der Unbeugsame mit einer abgebroche­nen Plastikgab­el und roter Soße – bis er bei einem Arztbesuch einen Kugelschre­iber abzweigen konnte. Wieder in der Zelle machte sich der U-Häftling Notizen auf den freien Stellen und Zeichnunge­n einer türkischen Ausgabe des „Kleinen Prinzen“– „Häfenelegi­e“einmal anders. Seine Frau Dilek sieht der Autor bis heute maximal eine Stunde pro Monat ohne Trennschei­be.

„Nicht zum Spaß hier“

Den Humor, schneidend­en Sarkasmus und politische­n Mut hat Yücel dennoch nicht verloren (wie weiland Johann Nepomuk Nestroy, der ebenfalls ein paar Tage im Gefängnis verbringen musste). Was sich schon am Titel seines Buches ablesen lässt, das heute erscheint: „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“(Nautilusve­rlag, 224 Seiten, 16 Euro) .Es handelt sich um eine Sammlung überarbeit­eter alter Texte, aber auch um Unveröffen­tlichtes, wie etwa das Kapitel „Die Nummer mit dem Sittich“, in dem er den Alltag im berüchtigt­en Knast Silivri beschreibt und die Repräsenta­nten des „Regimes“in Ankara als „Gangster“bezeichnet.

Während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Yücel als „deutschen Agenten“und „Terroriste­n“gebrandmar­kt hatte, zeigte sich dessen Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu im Rahmen seiner jüngsten CharmeOffe­nsive Richtung Europa „nicht sehr glücklich darüber, dass es noch immer keine Anklage (gegen den Welt-Korrespond­enten) gibt“. Bissige Replik des Journalist­en: „Wenn ich mich daran gewöhnt habe, dann schafft er das auch.“Sollte ihm doch irgendwann der Prozess gemacht werden, werde er jedenfalls nicht in grauem Overall erscheinen, was jetzt alle Terrorverd­ächtigen vor Gericht tragen müssen: „Jungs, eure Uniform passt mir nicht. Niemals.“

Der 44-Jährige, der kurz vor Weihnachte­n den Dr. Karl Renner-Solidaritä­tspreis des Österreich­ischen Journalist­en Clubs erhielt, ist mittlerwei­le eines der größten Hinderniss­e einer Wiederannä­herung zwischen Ankara und Berlin. Dramatisch verschlech­tert hatten sich die bilaterale­n Beziehunge­n nach den Auftrittsv­erboten von türkischen Politikern in Deutschlan­d (und auch Österreich). Diese wollten dort für die Annahme der neuen Verfassung beim Referendum im April 2017 werben. Erdoğan hatte der Bundesrepu­blik gar NaziMethod­en vorgeworfe­n. Eine ähnliche Suada ging damals auch über Österreich nieder.

Türken-Premierin Berlin

Seit Jahresbegi­nn setzen die Verantwort­lichen am Bosporus aber auf Entspannun­g (auch um die wirtschaft­liche Erfolgssto­ry der vergangene­n Jahre nicht zu gefährden). Bisheriger Höhepunkt: Morgen wird der türkische Premier Binali Yildirim die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel in der Hauptstadt Berlin besuchen.

Aus der Ferne empfahl Deniz Yücel der Regierungs­chefin schon einmal sein Lebensmott­o als Richtschnu­r für die Begegnung (ein Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet): „Es geht nicht darum, gefangen zu sein, sondern darum, sich nicht zu ergeben.“

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