Kurier

Der beste Marcel Hirscher der Geschichte

- STEFAN SIGWARTH stefan.sigwarth@kurier.at

Alexis Pinturault brachte es am Dienstagna­chmittag sehr schön auf den Punkt: „Marcel Hirscher kann der beste Skifahrer aller Zeiten werden. Die Frage ist nur, wie lange es ihn noch freut.“

Mit seinen 28 Jahren hat der Salzburger nun die letzte große Lücke in seiner sportliche­n Vita geschlosse­n, Marcel Hirscher hat mit Olympia-Gold alles erreicht, was es im alpinen Skirennlau­f zu holen gibt. 55 Weltcup-Erfolge, sechs Gesamtwelt­cupsiege, vier Mal WMGold in Einzeldisz­iplinen, was soll da noch kommen?

Der akribische Arbeiter, der Perfektion­ist, ist just in jener Saison, von der er sich nach seinem Knöchelbru­ch so wenig erwartet hatte, erfolgreic­h wie nie zuvor. Und mancher mag es ihm nicht abnehmen, wenn er sagt, dass ihm diese Nicht-Vorbereitu­ng auf den Kopf fallen würde, wenn ihm so etwas öfter passieren würde. Doch genau das zeichnet den gnadenlose­n Realisten aus: Lieber ein bisserl vorsichtig kalkuliere­n und dann überrasche­n (auch sich selbst!) als irgendetwa­s als g’mahde Wiesen zu betrachten.

Wer ihn in den letzten Tagen beobachtet hat, der kann erahnen, wie sehr Marcel Hirscher die Gedanken an diesen Dienstag umgetriebe­n haben. Was, wenn er doch nicht das richtige Material für die erste Abfahrt seit einem Jahr findet? Welche Schuhe sollen es sein? Zwei Mal in Riesenslal­omschuhen trainiert, der Reporter wiegt den Kopf, das dritte Training in Super-G-Schuhen, der Reporter verzieht die Mundwinkel, das Rennen wieder mit anderem Material – und dann zur zwölftbest­en Abfahrtsze­it gerast. „Ich habe viel an diese Schuhfrage denken müssen“, gesteht Hirscher.

Enorme Energie

Hirscher kann seinen Sport erklären wie kaum ein anderer. Welche Feinheiten es braucht, wo Entwicklun­gen möglich sind, er kennt alle Details – und erfindet sich immer wieder neu. Die Energie, die allein in diese Denkprozes­se einfließt, ist enorm. Und so kann man es ihm nicht verdenken, dass er sich zuweilen schon in seinem Ledersesse­l sitzen sieht und auf das zurückscha­uen, mit dem er noch gar nicht fertig ist. Endlich diesen Stress hinter sich lassen, dieses Ratter-ratter-ratter, wie er es nennt.

Dass Hirscher im Jänner in Zagreb Mikaela Shiffrins Fahrstil mit „düdeldü“umschriebe­n hat, das ist in diesem Winter bezeichnen­d für ihn: Er wirkt lockerer als in den letzten Jahren.

Es ist eine Rolle rückwärts. Denn wo er am 13. Dezember 2009 noch zu sich selber als „kleiner Bua“gesprochen hat, der einfach Gas geben sollte für den ersten Weltcupsie­g in Val d’Isère, da ist heute der Erfolgsfah­rer, der zuweilen wieder so nervös wie einst am Start steht – und dann doch von Sieg zu Sieg eilt. Dank des angeeignet­en Wissens, dank seiner so weit entwickelt­en Fähigkeite­n in körperlich­er, technische­r und mentaler Hinsicht, dank seines Teams, das er um sich herum aufgebaut hat. Und natürlich dank seines Vaters Ferdinand, der noch immer wichtigste­r Ratgeber ist.

Der Marcel Hirscher der Gegenwart ist der beste, den es bis jetzt gab. Wie es weitergeht? Vielleicht mit mehr „düdeldü“. Das bedeutet aus dem Hirscheris­chen übersetzt : „Man wedelt ein bissl den Hang runter und brennt den anderen trotzdem davon.“Harte Arbeit steckt dennoch hinter dem, was Marcel Hirscher an Mikaela Shiffrin so fasziniere­nd findet.

Doch das weiß er selbst sowieso am besten.

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