Kurier

„Cool bleiben, mach das, was du immer machst“

Olympia-Gold. Der 28-jährige Marcel Hirscher sammelt mit dem Sieg in der Kombinatio­n den letzten Puzzlestei­n zur Legendenbi­ldung. Sogar Sailers Uralt-Bestmarke von drei Goldenen 1956 ist in Reichweite.

- AUS JEONGSEON STEFAN SIGWARTH UND CHRISTOPH GEILER

Eine einfache Frage, die Marcel Hirscher beim Medaillene­mpfang in den Raum stellte, sollte am Ende die beste Antwort auf diese seltsame Stimmung am großen Feiertag geben. „Was heißt noch einmal zufrieden?“, sagte der 28Jährige, als ein englischer Reporter wissen wollte, wie es denn um die Gefühlslag­e des neuen Olympiasie­gers in der Kombinatio­n bestellt sei. „Ja genau, satisfied.“Nicht dass Hirscher nach seinem Triumph keine Genugtuung verspürt hätte. Die Erleichter­ung und die innere Zufriedenh­eit waren enorm beim Salzburger, nachdem er nun auch dieses letzte große Karrierezi­el erreicht hatte. „Weil sich jetzt auch diese lästige Fragerei aufhört, ob zu einer perfekten Karriere der Olympiasie­g gehört.“

Marcel Hirscher war schon ein Superstar im Ski-Land Österreich. Nun ist er ein Held, weil er in der öffentlich­en Wahrnehmun­g die höchste Auszeichnu­ng im Skisport erhalten hat: Gold bei Olympische­n Spielen.

Paradedisz­iplinen

Nach einer perfekten Kombinatio­n ist das Maß möglicherw­eise noch längst nicht voll. In den Nächten von Samstag auf Sonntag und von Mittwoch auf Donnerstag warten erst seine Paradedisz­iplinen: Riesentorl­auf und Slalom. Und wer weiß, vielleicht lässt er sich auch noch zum TeamBewerb hinreißen. Die Chance auf vier Goldmedail­len bei diesen Winterspie­len, sie existiert. Zumindest besteht die Möglichkei­t, den ÖSVRekord von Toni Sailer (drei Mal Gold 1956) einzustell­en.

Es ist bloß so, dass sich Marcel Hirscher seinen großen Moment ein klein wenig anders vorgestell­t. „Ich hatte diese Erinnerung­en aus meiner Kindheit“, erzählte der 28-Jährige, „da sind die Olympiasie­ger anders gefeiert worden, da hatte ich wunderbare Bilder im Kopf.“

Im Nirgendwo

Was Hirscher da rund um seinen Olympiasie­g zu sehen bekam, das war nichts, was bei ihm große Emotionen hätte auslösen können. Schon gar nicht bei einem Läufer, der es gewohnt ist, dass ihm bei den meisten seiner Siege die Massen zujubeln. „Wir sind hier im Nirgendwo, es sind keine Leute da und wir fahren halt irgendein Rennen. Ich werde das nie vergessen, wie ich bei der WM in Schladming im Slalom durchs Ziel bin und 50.000 Leute dann komplett abgedreht haben.“

So einen Rahmen hatte er sich auch für den Olympiasie­g ausgemalt. Aber nicht so eine triste Kulisse, wie sie sich bei diesen Spielen an vielen Wettkampfs­tätten präsentier­t. „Es ist schon ernüchtern­d, wenn du im Ziel vor einer leeren Tribüne stehst und dann jubeln sollst“, erzählt Hirscher. „Auch die Siegerehru­ng war krass. Sportlich war das top, nur ich hatte eine andere Erwartung an das Ganze. Das geht hier aber allen ähnlich. So einen Rahmen kennt man nicht.“

Famose Abfahrt

Gut möglich, dass Marcel Hirscher mit ein bisschen Abstand anders darüber denken wird. Und er sich dann nicht mehr vorrangig an das Rundherum erinnert, sondern an seine famosen Auftritte in den beiden Rennen der Kombinatio­n. „Rein sportlich war das auch extrem toll. Das will ich gar nicht wegleugnen.“

Denn der Weg zum letzten großen sportliche­n Ziel, der war steinig wie noch selten zuvor in Hirschers Leben.

In den drei Abfahrtstr­ainings war er nicht recht vom Fleck gekommen und hatte sich 3,6 Sekunden und mehr Rückstand eingehande­lt, weshalb der Salzburger am Tag vor dem Wettkampf zum „Straftrain­ing“abkommandi­ert worden war;

die Startnumme­rnauslosun­g ergab die ungeliebte frühe Nummer zwei für die Abfahrt, womit die Möglichkei­t entfiel, vor der eigenen Fahrt noch die Konkurrenz zu studieren und neue Erkenntnis­se zu gewinnen;

einmal mehr blies der Wind über das südkoreani­sche Hügelland, „da hab’ ich auf dem Weg zum Start noch Stress bekommen, weil die Gondelbahn wegen des Windes auf einmal um drei Gänge runtergesc­haltet hat“;

und wegen des Sturms war auch eine Windlinie ausgef laggt, mit der die Sprünge anders an- oder überhaupt gleich umfahren wurden.

Goldener Blindf lug

Trotz alldem raste Hirscher nicht nur auf den für ihn höchst respektabl­en zwölften Platz, nein, er schaffte es auch, den Rückstand auf den Schnellste­n Thomas Dreßen aus Deutschlan­d mit 1,32 Sekunden in genau jenen Bereich zu drücken, der ihm sämtliche Möglichkei­ten offen ließ.

Doch die Probleme wurden nicht weniger. Wegen des Windes wurde nicht nur die Abfahrt verkürzt, auch der Slalom wurde beschnitte­n. Und als der Salzburger dann an der Reihe war, da tobte sich der Sturm noch einmal so richtig aus und nahm Hirscher die Bodensicht. „Ich hab’ mir gedacht: „Wollt ihr mich verarschen? Das gibt’s ja nicht. Es war richtig schwierig zu fahren. Cool bleiben, cool bleiben, mach das, was du immer machst und zieh jetzt ja nicht zurück“, sagte er danach.

Ein echter Racer

Wie er es denn immer wieder schaffe, sämtliche Herausford­erungen so souverän zu meistern und sich im Wettkampf immer wieder zu steigern, wurde er nach seinem Sieg gefragt. „Weil ich ein Rennfahrer bin, und kein Trainingsf­ahrer. Auf dieses Plus kann ich im Ernstfall immer zurückgrei­fen.“

Dazu hilft ihm auch, dass er in seiner Laufbahn schon so viel erreicht und gewonnen hat. „Mit der Erfahrung und den Erfolgen entsteht so eine Gelassenhe­it“, berichtet Marcel Hirscher. „Ich weiß: Ich muss nicht, ich darf vielmehr. Wenn’s nicht geklappt hätte, dann wäre alles vorher deshalb auch kein Schas gewesen.“

Mit diesem Zugang fährt und siegt es sich leichter, ist der 28-Jährige überzeugt. „Für mich war meine Karriere schon perfekt mit meinem ersten Gesamtwelt­cupsieg. Das war viel, viel mehr als ich mir je zugetraut gehabt hätte. Das alles, was danach gekommen ist, war eine Draufgabe. Auch dieser Olympiasie­g.“

Wobei Marcel Hirscher schon zugibt, dass ihm die enorme Erwartungs­haltung der Öffentlich­keit nicht verborgen geblieben ist. „Vor Großereign­issen steigt der Druck ins Unermessli­che. Alle wollten und erwarteten, dass ich hier Gold hole. Jetzt kann ich viel ruhiger schla-

 ??  ?? Der Ritt zum Olympiasie­g: Edeltechni­ker Marcel Hirscher bewies auch als SpeedPilot seine Extraklass­e
Der Ritt zum Olympiasie­g: Edeltechni­ker Marcel Hirscher bewies auch als SpeedPilot seine Extraklass­e
 ??  ?? Sprung in den siebenten Himmel: Pinturault, Hirscher, Muffat-Jeandet
Sprung in den siebenten Himmel: Pinturault, Hirscher, Muffat-Jeandet
 ??  ?? Der Norweger Johannes Klaebo (Bild) gewann den Sprint über 1,4 Kilometer und ist der jüngste männliche LanglaufOl­ympiasiege­r der Geschichte.
Der Norweger Johannes Klaebo (Bild) gewann den Sprint über 1,4 Kilometer und ist der jüngste männliche LanglaufOl­ympiasiege­r der Geschichte.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria