Kurier

„Ich fühle mich wie ein 90-Jähriger, also ganz jung“

Marcel Prawy. DerOpernfü­hrerstarbv­or15Jahren

- VON

Wir trafen uns im Café Sacher zu einem unserer vielen Gespräche. Ich konnte nicht ahnen, dass es das letzte sein würde. So gut gelaunt war er, so voller Tatendrang, so frisch.

„Setz dich, Markuserl“, sagte er und kam gleich zur Sache. „Eigentlich hab ich ein schlechtes Gewissen.“„Warum?“

„Weil ich aus einer kurzlebige­n Familie stamme. Mein Vater ist mit 59 Jahren gestorben, meine Mutter mit 35. Und ich bin jetzt über 90.“

„Wie kann man in deinem Alter so aktiv sein?“

„Ich hab ein Lebensprin­zip: Je älter man wird, desto schwerer muss man es sich machen. Ich hab immer versucht, nicht leise zu treten, sondern laut zu treten. Ich arbeite mehr, als ich je gearbeitet habe. Hier eine Gala, da ein Auftritt, eine Sendung.“

Mitten im Berufslebe­n

„Wie fühlt man sich als 90-Jähriger, der mitten im Berufslebe­n steht?“

„Ich fühle mich wie ein 90Jähriger, also ganz jung. Aber ich weiß, dass ich 90 bin, weil ich so viel erlebt habe. Manchmal sitz ich in der Oper und denk mir, warum steht der Sänger links, an dieser Stelle ist doch der Richard Tauber rechts gestanden. Das war vor 75 Jahren, und deshalb muss ich 90 sein, obwohl das alles für mich wie gestern war.“

„Wie hast du es geschafft, so jung zu bleiben?“

„Da möchte ich dir widersprec­hen. Ich war niemals jung, nie! Mein Geheimnis ist, dass ich nur das tu, was mich begeistert.“

„Du bist zu unserem Treffen mit einem Krückstock gekommen, den du aber auf der Bühne nicht verwendest.“

„Sobald der Vorhang aufgeht, brauch ich keinen Stock, da ist alles weg, auch die Arthritis im Knie. Erst nach dem Auftritt hatsch ich wieder.“

„Noch besser funktionie­rt Prawys Hirn!“

„Weil die Maschine ständig geölt wird. Ich arbeite 17, 18 Stunden am Tag, kenne weder Samstag noch Sonntag.“„Wann machst du Urlaub?“„Urlaub? Um Gottes willen! Vorigen Sommer war ich in Hallein, um in Ruhe ein Buch zu schreiben. Aber 14 Tage am Strand von Rimini liegen wär schrecklic­h für mich.“

Zufrieden?

„Bist du mit deinem Leben rundum zufrieden?“

„Manchmal sagt jemand zu mir: ,Prawy, Sie hätten Operndirek­tor werden müssen!‘ Wenn ich das höre, bin ich ein paar Sekunden depressiv. Dann kommt die Senta Wengraf und sagt: ,Vergiss nicht, niemand hat ein Leben wie du! Du bist 90, lebst und arbeitest wie ein 30-Jähriger, keinem geht es so gut wie dir.’ Dieser Satz tut mir so gut. Manchmal ruf ich die Senta an und fordere sie auf: ,Sag den Satz!’ Dann sagt sie ihn und alles ist wieder in Ordnung.“

Wenige Monate nach dem Gespräch musste Prawy ins AKH, in dem er am 23. Februar 2003 einer Lungenembo­lie erlag. Der ihn behandelnd­e Internist sagte damals zu mir: „Als er aufhörte, anzudrehen, um seine geliebte Musik zu hören, wusste ich, dass es ihm wirklich schlecht ging.“

georg.markus@kurier.at

 ??  ?? Unvergleic­hlich, unvergesse­n: Marcel Prawy, 1911–2003
Unvergleic­hlich, unvergesse­n: Marcel Prawy, 1911–2003
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria